Der Schlagermove an den Hamburger Landungsbrücken. Foto: Adrian Lack/pixabay

Der Schlagermove rollt am Wochenende mit 50 Trucks durch St. Pauli. Das Event ist aus der Zeit gefallen, findet unsere Autorin. Ein Kommentar.

Am 25. Mai zieht der Schlagermove durch St. Pauli. Ein Event, das in seinem heutigen Umfang nicht mehr angemessen ist. Startete der Schlagermove 1997 noch mit 50.000 Teilnehmenden, sind es mittlerweile über 400.000, also acht Mal so viele. Fast eine halbe Million Schlagerfans, die den kleinen Stadtteil in ein Open-Air-Konzert des schlechten Geschmacks verwandeln. Dort feiern also knapp 20-mal so viele Gäste wie Einwohner*innen – rund 22.000 Menschen leben auf St. Pauli.

Folgen davon sind diverse Einschränkungen: Bereits am Freitag wird die Glacischaussee gesperrt, am Samstag folgt die Sperrung der Reeperbahn und umliegender Straßen. Großzügig stellt der Veranstalter sicher, dass die Anwohner*innen der bunten Masse auch noch spontan entfliehen können, indem er auf seiner Website zwei Fluchtmöglichkeiten über Seitenstraßen mitteilt. Heißt: Lieber vorher die Biege machen!

Schlagermove wird zum Ballermann

Das weitaus größere Problem sind aber Besucher*innen, die sich nach dem dritten Getränk nicht mehr im Griff haben. Dann heißt es grabschen, grölen, göbeln. Ähnlich wie auf anderen Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest oder dem Kölner Karneval bietet auch der Schlagermove Raum für sexuelle Belästigung. Awareness-Konzept? Fehlanzeige. Persönliche Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass einige Männer ihren Anstand verlieren: schnalzende Zungen, anzügliche Blicke, oder gar ein Klaps auf den Hintern. Im vergangenen Jahr wurden auf kulturellen Veranstaltungen in Hamburg 24 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung  erfasst.

Was reingeht, muss auch irgendwo wieder raus. Wenn der Zug mit seinen 50 Trucks vorübergezogen ist, dann erinnern nicht nur verlorene Perücken, Blümchen-Haarbänder und Plastikbecher daran, sondern auch Körperflüssigkeiten. Ganz St. Pauli stinkt dann nach Urin und Erbrochenem. Zwar bemühen sich die Veranstalter in diesem Jahr um genügend Toiletten und sprechen sich gegen Wildpinkler*innen aus. Allerdings funktioniert das nur in der Theorie. Dixi-Klos ist es einfach nicht vergönnt, bei sommerlichen Temperaturen frisch zu duften.

St. Pauli für dumm verkaufen

Der Veranstalter des Schlagermoves will laut eigenen Angaben gemeinsam mit der Hamburger Entsorgungsgesellschaft eine Säuberung der Hauptstraßen bis 22 Uhr sicherstellen. Die Reeperbahn soll bis drei Uhr nachts vom Müll befreit und eine Endreinigung bis Dienstag abgeschlossen sein. Weitere Maßnahmen sind Zwischenreinigungen von Anwohner*innenstraßen und das Angebot, auf Hinweise von Bewohner*innen Reinigungsteams vorbeizuschicken. Wenn aber schon im Vorfeld die Notwendigkeit solcher Einsätze bekannt ist, dann sind solche Maßnahmen nichts anderes als Beschwichtigungsversuche. Ein angemessener Umgang mit der Kritik wäre, den Standort des Schlagermoves zu hinterfragen, statt den Kiez mit 500 Dixi-Klos zu schmücken.

Der Schlagermove ist nichts als ein Freifahrtschein, um sich danebenzubenehmen. Laut Veranstalter soll er der „Aufrechterhaltung des Kulturguts Schlager“ dienen. Dieses Kulturgut wird dort aber eher durch Bierduschen, Sexismus, Wildpinkeln und Lärm repräsentiert und nicht durch Musik. St. Pauli soll Vergnügungsviertel bleiben – das heißt nicht, die Reeperbahn zum Ballermann zu machen.

Karoline Gebhardt, geboren 1994 in Reinbek, ist Ex-Landesmeisterin im Bogenschießen. Zu dem Hobby kam sie durch den Film „Plötzlich Prinzessin“. Heute schaut sie lieber koreanische Filme mit Untertiteln. Bei Metal-Konzerten crowdsurft sie und landete dabei schon im legendären Club Logo auf der Bühne. Im Bachelor studierte sie Bibliotheks- und Informationsmanagement und recherchierte als Werkstudentin bei der dpa für die Katastrophen-Warn-App Nina. Für „Szene Hamburg“ testete Karo Restaurants und schmiedete für eine Reportage ein Küchenmesser. Karoline ist besessen vom Thema Quiz, ob im Pub oder im TV - sie selbst bezeichnet sich als Günther-Jauch-Ultra. Kürzel: kar

1 KOMMENTAR

  1. Sehr geehrte Frau Gebhardt,
    Ich finde ihren Artikel super einseitig, denn was Sie wohl nicht sehen, ist die Freude, die dieses Event jährlich den Teilnehmern bringt. Ich komme aus der Generation Schlager und habe jedes Jahr sehr viel Spaß und Freude. Und ja es ist eine Massenveranstaltung und ja es gibt auch Leute, die das zum “Wildpinkeln” und zum, wie Sie es formulieren “sich danebenzubenehmen” nutzen. Aber gibt es die nicht immer bei solchen Veranstaltungen? Gerade wenn Alkohol im Spiel ist?
    Was ich hervorheben möchte, ist die freundliche Stimmung, die unter den Besuchern herrscht. Hier feiert jeder mit Jedem. Mal von dem einem Vorfall abgesehen.
    Meiner Meinung ist der Schlagermove noch lange nicht aus der Mode gekommen und wenn in der Gegend wohnt, dann ist das leider einer der Nachteile. Genauso sieht es beim Marathon aus, bei dem ja auch ettliche Straßen gesperrt werden müssen. Oder der Triathlon. Auch da sind die Anwohner sicher super genervt. Das kann ich verstehen. Aber der Vorteil ist, dass sie den besten Blick auf diese Veranstaltungen haben.
    Vielleicht versuchen Sie in ihrem nächsten Artikel einmal alle Seiten zu bertrachen.
    Freundliche Grüße

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