Die Schlepper im Hamburger Hafen sind klein, unscheinbar und richtig stark. Sie eskortieren die größten Schiffe der Welt und sorgen für eine reibungslose Wirtschaft. Dabei setzt die Crew ihr Leben aufs Spiel. Ein Tag auf Hamburgs Schlepper Ulli.

Die kühle Luft riecht nach Nordsee, Fisch und Algen. Es ist noch dunkel, aber der Sonnenaufgang kündigt sich an. Kreischende Möwen und das Dröhnen des Schiffsmotors sind die einzigen Geräusche. Kein Straßenlärm. Keine Menschen. Es ist 5:30 Uhr.

Erstmal Kaffee. Das Wasser tröpfelt durch den Filter der Kaffeemaschine. Kette nimmt einen Becher in die Hand und gießt Kaffee hinein. Er trägt ein gelbes T-Shirt, die braunen Haare sind leicht zerzaust, der Blick noch etwas müde. Mit Daumen und Zeigefinger fährt er sich durch den langen Bart. Er steigt die Treppe zur Kommandobrücke hinauf, jeder Schritt scheppert metallisch auf den Stahlstufen. Fast alles auf dem Schlepper Ulli ist aus Stahl. Schwarz, rot, weiß oder blau lackiert.

Ein halber Daumen reicht

Kette heißt eigentlich Jean-Pierre Kette, ist 39 Jahre alt und wird an Bord „Kedde“ genannt. Er ist der Schiffsführer von Ulli, einem der 14 Schlepper im Hamburger Hafen der Reederei Walter Lauk: 22 Meter lang, 6 Meter breit, 100 Tonnen schwer, 738 PS. Ein Kraftprotz. Es geht noch stärker: Schlepper, die Container- und Kreuzfahrtschiffe sicher in den Hafen eskortieren, können über 4000 PS haben. 2023 wurden rund 7,7 Millionen Container im Hamburger Hafen umgeschlagen. Mehr als 20 Schlepper unterstützen dabei – entweder beim Eskort der riesigen Pötte oder beim Umschlagen der Container, wie in diesem Fall.

Zwei Männer auf dem Schlepper im Hamburger Hafen. Foto: Karoline Gebhardt
Momo und Kette werden das Ehepaar des Hamburger Hafens genannt. Foto: Karoline Gebhardt

Ebenfalls fester Bestandteil der Crew ist Momo, Steuermann, 37 Jahre alt, am Ohr trägt er einen St. Pauli Ohrring, die Hälfte seines linken Daumens fehlt. Unfall an Bord. Der Finger wurde in einer Luke zerquetscht. „War nicht mehr viel zu machen“, sagt er. Momos Bruder René und zwei weitere Decksmänner heuern an diesem Tag ebenfalls auf dem Schlepper an. Sie sind mal hier, mal dort. Kette und Momo hingegen werden das Ehepaar des Hafens genannt. Sie arbeiten immer auf der Ulli.

Der beste Büroblick der Stadt

Die Brücke ist etwa zehn Quadratmeter groß, rechteckig. Der vordere Teil besteht aus der Kommandoanlage. Dort befinden sich jede Menge Rädchen, blaue, grüne und rote Tasten, Schaltknüppel, Navigationslampen. Davor ein schwarzer Drehstuhl, der bei Belastung hoch und runter wippt wie der Sitz eines Busfahrers. Es riecht nach Kaugummi, Männerdeo und Zigarettenrauch.

Elbphilharmonie vom Wasser aus. Foto: Karoline Gebhardt
Täglich geht es auf dem Schlepper an der Elbphilharmonie vorbei. Foto: Karoline Gebhardt

Der erste Auftrag kommt per Funk rein: Vom Lübecker Ufer im Hansahafen, schräg gegenüber vom Liegeplatz des Viermasters Peking Richtung Unikai. Dort liegt die erste Schute. Ein über 60 Meter langer Stahlkasten ohne eigenen Antrieb, mit dem Güter transportiert werden. Mehrere Schuten nebeneinander heißen Schubverbände. Täglich kümmern sich Kette und die Jungs um die Containerumfuhren im Hafen. Fahren Kaffee, Kohle, Eisensilikat, Bananen, Kupfer, Maschinenteile herum, die dann auf andere Schiffe oder LKW verladen und in die Welt transportiert werden. Meistens sind die Schiffe von Walter Lauk auf der Unterelbe unterwegs. Manchmal fahren sie auch bis nach Cuxhaven. Über 20 Stunden dauert der Einsatz dann.

Immer laut, immer nass

Momo steht auf der Schute, gibt Kette ein Handzeichen. „Können wir?“, hört man ihn durch das Funkgerät sprechen. „Los geht’s“, antwortet Kette. Er setzt zum Andocken an und bewegt die Hebel, Schalter, Joysticks. Routiniert und mit dem Blick nach vorn. Lässt er ein Steuermittel los, klickt es. Klick, klick. Hebel nach vorne. Klick. Nach hinten. Klick. Währenddessen brummt der Motor, der Auspuff rödelt. Plötzlich ertönt eine Sirene, die Kommandobrücke des Schiffs senkt sich ab. Unter der Brücke befindet sich ein Gang, der frei sein muss: „Damit unter uns niemand zerquetscht wird“, sagt Kette. Die Brücke senkt sich mittels Hydraulik auf und ab, um die Sicht für den Schiffsführer zu verbessern.

Mann auf Schiff zieht Taue fest. Foto: Karoline Gebhardt
Momo zieht die Taue zwischen Schute und Schlepper fest. Foto: Karoline Gebhardt

Im Radio läuft „Hey Joe“ von Jimi Hendrix. Kette dreht den Regler leiser und telefoniert mit dem Kranfahrer, der mit Klemmbrett und Stift am Ufer steht. Dieser ist für das Löschen, also für das Abladen der Schute zuständig. „Jo, danke dir“, spricht Kette ins Telefon und legt es beiseite. Das Löschen der Schute wird mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Die Ulli macht sich auf zum nächsten Auftrag.

Politik schafft Überstunden im Hamburger Hafen

Momo greift die schweren Taue, die die Schute an das Schiff binden, holt aus und wirft es mit voller Wucht auf den Schlepper. Der bewegt sich langsam von der Kaimauer weg, zwischen Rumpf und Kai wird Wasser aufgewirbelt. Momo kommt in die Kabine. „Ganz schön frisch heute morgen“, sagt er und setzt sich. „So’n Mädchen, der friert immer“, erwidert Kette und grinst. Dabei zündet er sich eine Zigarette an und erzählt, dass wegen der Huthi-Rebellen derzeit weniger los sei. Das geht auch anders: „Es gibt schon harte Tage,“ murmelt er, „da kommen alle auf einmal und man ist 16 Stunden unterwegs.“

René kommt mit einem Kaffee Becher in der Hand dazu und setzt sich neben seinen Bruder. „Das ist doch schön“, sagt er seufzend. Durch die offene Tür zieht frische Luft durch die Kabine, die Crew fährt vorbei am Containerschiff ACL, das wie ein riesiger Berg aus Stahl aus dem Wasser ragt. Das Schiff passiert die Elbphilharmonie, die Landungsbrücken, den Elbstrand. Eine Hafenrundfahrt für lau. Ob man irgendwann den Blick für das Schöne verliert, wenn es Alltag wird?

Schlepper im Einklang mit der Tide

Mit 11,4 Knoten, etwa 20 Kilometern pro Stunde, gleitet der Schlepper über die Norderelbe in Richtung Köhlfleet. Leichter Wellengang herrscht, die Ulli wiegt von rechts nach links. Immer im selben Rhythmus. Der Schiffsmotor brummt monoton. „Um 8:30 Uhr ist Stauwasser“, sagt Kette. Stauwasser – der Übergang zwischen Flut und Ebbe, in dem der Wasserstand für zwanzig Minuten unverändert bleibt und die Strömung gering ist. „Das ist vor allem einfacher, wenn man Taue wirft“, ergänzt Momo, „aber für das Fahren macht es keinen Unterschied.“

Kette steuert das Terminal Rhenus Dradenau an. Er reduziert die Geschwindigkeit und setzt zentimetergenau an den Schubverband an, der bereits an der Kaimauer liegt. Ein kleiner Ruck, Momo springt auf eine der Schuten und zieht die Taue mit aller Kraft stramm. „Wenn so ein Tau reißt, dann geht das durch die Haut wie Butter“, sagt er typisch Hamburgisch breit. Der Job ist gefährlich: Crewmitglieder fallen ins Wasser, Finger zerquetschen, Schiffe können zusammenstoßen. Bis auf Momos Unfall mit seinem Daumen ist ihm bislang nichts passiert.

Schiffsküche. Foto: Karoline Gebhardt
Die Schiffsküche: Hier bereiten die Männer ihre Mahlzeiten zu, wenn sie lange im Hamburger Hafen unterwegs sind. Foto: Karoline Gebhardt

Erneutes Warten – 15 Holzkisten werden nun auf die Schute geladen. Der Kranführer am Dock spielt Tetris. An vier schweren Eisenketten hängt die Ladung, die langsam und akribisch herabgelassen und abgekoppelt wird. Die Eisenketten klirren, als sie ohne Ladung wieder in die Luft gezogen werden. Währenddessen sitzen die Jungs gemütlich auf der Schute. Momo stützt seinen linken Fuß auf einen Poller, hält das Kinn in der Hand und erzählt davon, wie schlecht sich Job und Privatleben vereinbaren lassen. Er fährt nach der Arbeit nach Hause, nach Altona, gerne zu seiner Stammkneipe an der Holstenstraße. Kette wohnt wochentags auf dem Schiff. Beide haben fast ausschließlich Freunde aus der Schifffahrt.

Mittlerweile ist es warm geworden. Im Sommer heizt die Sonne den Stahl auf, im Winter ist es klirrend kalt und glatt. Kein Job, der Platz für Allüren lässt. Nach zwei Stunden ist die Schute beladen. Das Spiel geht von vorne los: Kette und Momo koordinieren per Handzeichen, Funk und Augenkontakt. Momo löst die Taue vom Poller am Ufer, hüpft zurück auf den Schlepper. Kette wendet das Boot samt Schute, grün-graues Elbwasser schäumt am Heck, der Motor dröhnt.

Karoline Gebhardt, geboren 1994 in Reinbek, ist Ex-Landesmeisterin im Bogenschießen. Zu dem Hobby kam sie durch den Film „Plötzlich Prinzessin“. Heute schaut sie lieber koreanische Filme mit Untertiteln. Bei Metal-Konzerten crowdsurft sie und landete dabei schon im legendären Club Logo auf der Bühne. Im Bachelor studierte sie Bibliotheks- und Informationsmanagement und recherchierte als Werkstudentin bei der dpa für die Katastrophen-Warn-App Nina. Für „Szene Hamburg“ testete Karo Restaurants und schmiedete für eine Reportage ein Küchenmesser. Karoline ist besessen vom Thema Quiz, ob im Pub oder im TV - sie selbst bezeichnet sich als Günther-Jauch-Ultra. Kürzel: kar

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