Sonntagmittag im Heilwigpark: Über 150 Frauen, viele neu in Hamburg, treffen sich zum Hamburger Ladies Stroll. Ein einfacher Spaziergang will aus Fremden Bekannte machen.
Es ist noch ruhig im Heilwigpark in Harvestehude. Die Sonne kämpft gegen die Wolkendecke an, während ein paar Ruderer auf der Alster vorbeigleiten. Es ist Sonntagmittag, kurz vor zwölf, eine Frau steuert zielgerichtet auf drei Parkbänke zu. Sie bleibt stehen, lächelt nervös und schaut sich um. Noch ist sie alleine, doch bald darauf gesellen sich weitere Frauen zu ihr. Einige tragen Perlenkette und auffälliges Make-up, andere Kapuzenpullover, Jeans und ausgetretene Sneaker.
Es fühlt sich an wie der erste Schultag: Keine kennt die andere und alle sind ein wenig nervös.
Sie kommen aus allen Richtungen: schlendern über die Wiese oder steigen die gegenüberliegenden Treppe hinab. Die Blicke wandern nervös zwischen Boden und Handys hin und her, während sie sich in kleinen Grüppchen an den Parkbänken versammeln. Schließlich bricht eine der Frauen das Schweigen: “Hallo, ich bin Lina. Wie heißt du?” Es fühlt sich an wie der erste Schultag: Keine kennt die andere und alle sind ein wenig nervös. Sie sind alle hier, um neue Bekanntschaften zu machen undvielleicht sogar Freundschaften zu schließen. “Der Hamburger Ladies Stroll (HLS) ist eine Community für Girls”, erklärt die Gründerin Ronja Schulz, 26 Jahre alt. Schulz hat die Idee auf einem TikTok aus New York entdeckt.
Ein einfaches Video hat dort eine kleine Bewegung ins Leben gerufen. Die Idee: Frauen, die sich fremd sind, sollten während eines Spaziergangs die Möglichkeit haben, Kontakte zu knüpfen und Freundinnen zu finden – online vernetzen und offline treffen.
Anfang März fand der erste Stroll – englisch für Spaziergang – statt. 26 Frauen nahmen daran teil. “Dann ist es einfach explodiert”, sagt Schulz. Beim zweiten Stroll seien ungefähr 200 Frauen gekommen. Schulz ist selbst sehr oft umgezogen und erst zum Studieren im Oktober nach Hamburg gezogen. “Am Anfang habe ich auch noch einige Girls kennengelernt,” jetzt sei sie allerdings mehr mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt. Sie hält dabei ihr Handy an sich gedrückt. Die Organisation läuft komplett über Social Media. Auf der Instagram Seite des HLS wird angekündigt, wann der nächste Spaziergang stattfindet, und dort vernetzen sich auch die Frauen.
Auch an diesem Sonntag versammeln sich weit über 150 Frauen im Heilwigpark, hauptsächlich im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Ronja steigt auf eine der Parkbänke und versucht, die Menge zu begrüßen. Doch die Frauen unterhalten sich mittlerweile schon so laut, dass ihre Bemühungen beinahe untergehen. Schulz gibt das Signal zum Start und die Gruppe setzt sich in Bewegung über die Streekbrücke und entlang der Alster. Die Frauen gehen zu zweit oder dritt nebeneinander, die Gruppe erstreckt sich über etwa 300 Meter. Sie fallen auf, viele Schaulustige drehen sich auffällig unauffällig nach ihnen um.
fast 60 Prozent der unter 30-Jährigen zumindest manchmal einsam, besonders belastet sie fehlende Freundschaften.
“Eigentlich bin ich nur hier, um ein gutes Gespräch zu führen”, sagt Berit Weis. Die 26-jährige Studentin war für ein halbes Jahr im Ausland, zurück in Hamburg habe sie noch nicht so einen festen Freundeskreis gefunden. “Meine engen Freunde sind über ganz Deutschland verteilt, das ist halt sehr schade.” Mit Mitte 20 sei es einfach schwieriger in einer fremden Stadt neue Freundschaften zu knüpfen, doch hier haben alle das selbe Ziel, Leute kennenlernen, sagt Berit.
Einsamkeit bei jungen Erwachsenen
Vielen auf dem Spaziergang scheint es ähnlich zu gehen; sie sind neu in die Stadt gezogen, Freunde finden, ist nicht einfach. Nach einer Umfrage des NDR fühlen sich fast 60 Prozent der unter 30-Jährigen zumindest manchmal einsam, besonders belastet sie fehlende Freundschaften.
Einigen ist das Schritt-Tempo zu schnell, sie lassen sich zurückfallen. Der riesige Pulk vom Anfang hat sich aufgelöst, die Frauen wirken nicht mehr wie eine Gruppe, sondern gewöhnliche Sonntagsspaziergängerinnen. Trotz der Größe der Gruppe ist die Atmosphäre ungezwungen und entspannt. Die Teilnehmerinnen reden gelöst miteinander, sie schätzen die lockere Atmosphäre und die Unverbindlichkeit der Situation, so sei es viel einfacher ins Gespräch zu kommen, sagt Anna Loik auf Englisch. “Es ist mein zweites Mal auf dem Stroll”, erzählt die 25-jährige Softwareentwicklerin aus der Ukraine. Auch sie kennt das Gefühl, neu in der Stadt zu sein und schwer Anschluss zu finden: “Meine Freunde sind alle in verschiedenen Ländern, in Hamburg habe ich einfach noch keine engen Freunde.” Beim letzten Mal habe sie schon zwei junge Frauen kennengelernt. Sie haben sich danach wieder verabredet für einen Spieleabend und zum Kaffee trinken.
Freunde finden, lieber offline oder online?
Die Nachfrage nach Freundschaften haben längst auch Dating-Apps erkannt. Bumble for Friends ermöglicht Menschen, online Freunde zu finden. Doch laut einer NDR-Umfrage suchen die meisten jungen Leute Freundschaften lieber offline, um eine tiefere und authentischere Verbindung aufzubauen. Die Gründerin, Ronja Schulz, hat selbst schon Bumble genutzt, um Freunde zu finden. Doch auch sie stellt fest, das sei einfach nicht das gleiche, wie direkt mit Menschen zu reden. Man merke einfach schneller, ob es passe oder nicht.
“Ich musste lernen, alleine Sachen zu machen, und das war nicht immer schön.”
Allein kommen, zusammen gehen, das hoffen hier viele. Malin Deutsch ist erst vor drei Monaten nach Hamburg gezogen: “Ich musste lernen, alleine Sachen zu machen, und das war nicht immer schön.” Doch Anschluss hier zu finden, sei nicht immer leicht, sagt sie im Laufen: “Es ist schwierig für mich, weil ich aus Amerika komme und manche Freundesgruppen hier ein bisschen cliqui sind”, erklärt Malin. Sie schaut nach vorne: „Oh ich glaube, es ist schon vorbei.“ Die Gruppe gerät langsam ins Stocken und hält an.
Am Schwanenwik beendet Ronja den Spaziergang offiziell. Schnell noch ein Bild für Instagram. „Alle bitte einmal in die Kamera lächeln!“. Danach löst sich die Gruppe nach und nach auf. Einige bleiben, sie wollen zusammen weiterziehen zu einem Flohmarkt in Eppendorf oder einem Café nahe der Alster.
Mirjam Hutten, geboren 1999, interviewte für die Schülerzeitung schon Auma Obama, die Schwester des ehemaligen US-Präsidenten. Ursprünglich wollte sie das Familienhotel “Am Torturm” übernehmen und studierte daher Wirtschaftswissenschaften in ihrer Heimatstadt Würzburg. Sie entschied sich jedoch gegen das Hotel und bekam ein Stipendium als Videojournalistin der Media School Bayern. Für den Münchner Sender M94.5 moderierte sie das Format “Pocket News” und lief vor der Kamera einen Halbmarathon aus dem Stand. Zurück in Würzburg schrieb Mirjam für die “Main-Post” einen Artikel über das Organspende-Tattoo und ließ es sich auch gleich stechen. Ihr Ziel: Podcasts für die “Süddeutsche Zeitung” entwickeln und Michelle Obama interviewen.
Kürzel: jam