„Sie hat gesagt, ich wär ja scheintot!”

Helfen gegen Einsamkeit im Alter

Einsamkeit im Alter: Seit Martin Bloeck Kathrin Weber kennt, machen sie häufig gemeinsame Ausflüge. Foto: Kathrin Weber
Seit Martin Bloeck Kathrin Weber kennt, machen sie häufig gemeinsame Ausflüge. Foto: Kathrin Weber

Nachdem seine Frau starb, fühlte sich Martin Bloeck einsam. Dann lernte er über den Besuchsdienst der Diakonie Kathrin Weber kennen. Mit ihrer ehrenamtlichen Unterstützung wagt der 88-Jährige einen Neuanfang.

Der Himmel ist grau in Harburg und es regnet gefühlt aus allen Richtungen. Gut, dass der Bus direkt vor Kathrin Webers Haustür hält. Martin Bloeck, ein durchs Alter eher zart wirkender Mann mit dunklen Augen und schwarzer Schiebermütze zur Lederjacke, steigt aus. Seit mittlerweile drei Jahren macht er das an jedem Mittwochnachmittag. „Die paar Haltestellen“ sind für ihn auch bei diesem Wetter kein Problem. 

Das erste Treffen war eine Herausforderung

Kathrin Weber wartet auf ihn in ihrem kleinen Wohnzimmer – die Einrichtung ist in warmen Cremetönen gehalten. Ein beigefarbenes Ecksofa steht vor einer eierschalenfarbenen Wand. Durch das große Fenster wirkt der Raum trotz schlechtem Wetter freundlich und hell. Das ist ihr sehr wichtig, „vor allem im Winter“, sagt sie. 

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Besuchsdienst gegen Einsamkeit im Alter
Kathrin Weber und Martin Bloeck treffen sich jeden Mittwoch zum Mittagessen

Foto Valerie Pfeiffer

Kathrin Weber ist ehrenamtliche Helferin der Diakonie. Als sie Herrn Bloeck kennenlernte, saß er in „einer dunklen Wohnung, völlig grimmig und seine Haut erschien grau zu sein”, erzählt sie. „Ich habe zu meiner Standortleiterin damals gesagt, das schaffe ich nicht, das ist eine zu große Herausforderung!“  

Plötzlich allein

Martin Bloecks Frau war ein paar Wochen zuvor gestorben. „Da bin ich in ein tiefes Loch gefallen – ist klar, ne”, sagt er. Um nicht nachdenken zu müssen, habe er sich in Hausarbeit gestürzt. Da er keine Angehörigen in Hamburg hat, sei ihm dann irgendwann die Idee gekommen, dass er sich anders helfen muss. „Da hab ich versucht, jemanden zu finden. Ich brauch ja jemanden, der mir ein bisschen beisteht, wenn irgendwas ist.”  

Rund 40 Prozent der über 65-jährigen Hamburger*innen leben in Einpersonenhaushalten

Allein zu leben, bedeute zwar nicht zwangsläufig, dass Menschen einsam sind. Der Tod des Partners oder der Partnerin könne aber dazu führen, dass sich ältere Menschen schnell isoliert fühlen, sagt Ingeborg Schlumbohm von der Fachstelle Hamburger Hausbesuch für Seniorinnen und Senioren.

Prävention gegen Einsamkeit im Alter

Rund 40 Prozent der über 65-jährigen Hamburgerinnen und Hamburger leben in Einpersonenhaushalten, heißt es in einer Mitteilung des Senats an die Hamburger Bürgerschaft von 2017. Um die selbstständige Lebensführung von älteren Menschen zu fördern und Vereinsamung im Alter zu vermeiden, startete die Stadt Hamburg 2018 ein neues Projekt. Nach einer Testphase in Harburg und Eimsbüttel versendet die Fachstelle Hamburger Hausbesuch für Seniorinnen und Senioren inzwischen Gratulationsschreiben an alle Hamburger*innen, die 80 Jahre alt werden. Neben den Glückwünschen enthält das Schreiben ein freiwilliges Besuchsangebot.

„Wir freuen uns, wenn auch jüngere Menschen ihre Eltern oder Großeltern auf das Angebot hinweisen, damit die dann schon Bescheid wissen, wenn sie Post bekommen“, sagt Schlumbohm. Der einmalige Termin bestehe aus einem  Informations- und Beratungsgespräch im eigenen Zuhause. Vordergründig gehe es zunächst darum, ein offenes Gespräch zu führen, „gleichzeitig wollen wir aber auch bestimmte Themen ansprechen, die die Seniorinnen und Senioren beschäftigen könnten und – falls gewünscht – Kontakte zu bestehenden Hilfsangeboten vermitteln”, erklärt sie.

Manchmal braucht es mehr als ein bisschen Glück

Martin Bloeck erinnert sich nicht mehr ganz genau, wer ihm den entscheidenden Tipp gab – im Alter werde man dann doch auch ein bisschen vergesslich, sagt er. „Ich hatte irgendwie versucht eine Betreuungsfirma für mich zu finden, aber das Unternehmen, das ich gefragt habe, konnte und wollte das nicht übernehmen. Die haben dann, glaub ich, den Vorschlag gemacht, ich solle doch zur Diakonie gehen.“ 

„Ich bin ja eigentlich ein ernsthafter Mensch, also mich bringt man nicht so schnell zum Lachen”, erzählt der ältere Herr. Frau Weber habe es geschafft, ihn da rauszuholen. „Aber das hat ein bisschen gedauert“, wirft Kathrin Weber ein. „Ich hab ihn einfach nicht rausgekriegt und dann hab ich gedacht, nee entweder der macht das mit und lässt sich an die Hand nehmen oder ich kann das nicht mehr“, sagt sie.

DASS ER IM RAHMEN DES BESUCHSDIENSTES DER DIAKONIE FRAU WEBER GETROFFEN HAT, BEZEICHNET HERR BLOECK ALS EIN GROSSES GLÜCK.

Das habe sie ihm dann auch gesagt. „Ja, da hab ich was zu hören bekommen”, erzählt Martin Bloeck schmunzelnd. „Sie hat gesagt, ich wär ja scheintot! Das hat mich damals so fasziniert, dass eine fremde Frau mir sowas an den Kopf geschmissen hat und da habe ich mir gedacht, das ist die Richtige, die versteht mich.“

Kathrin Weber verordnete ihm damals erst einmal eine „Lichttherapie”. Dafür besorgte sie eine Rotlichtlampe unter die Herr Bloeck sich jeden Tag setzen sollte, wenn er seine Zeitung las. Die Mutter von sechs erwachsenen Kindern sagt, das sei einfach Lebenserfahrung, die sie auf diese Idee gebracht habe. Sie sei dann aber auch oft vorbeigekommen, um Karten mit ihm zu spielen, stundenlang. „Wir haben uns den Esstisch praktisch so hingestellt, dass da immer die Strahlen hinkamen“, so Weber. Dass er im Rahmen des Besuchsdienstes der Diakonie Frau Weber getroffen hat, bezeichnet Herr Bloeck als ein großes Glück.

Wie kann man sich freiwillig engagieren?

Der Besuchsdienst der Diakonie könne ganz unterschiedlich gestaltet werden, erklärt sie und geht in die Küche. Dabei spricht sie weiter: „Mir persönlich ist es am liebsten, wenn ich möglichst viel zu tun habe, aber das kommt ja darauf an, wie viel Zeit man sich nehmen kann und möchte“, ruft Kathrin Weber um die Ecke des Raumes. Anderen Menschen reiche es vielleicht zu denken: „Okay, ich gehe einmal die Woche auf anderthalb Stunden Kaffee und Kuchen vorbei oder lese etwas vor.“

Anlaufstellen für Freiwillige und Betroffene

Eine hamburgweite Zusammenstellung der ehrenamtlichen Besuchsdienste und von Angeboten zur Unterstützung im Alltag findet ihr in dieser Broschüre zum Herunterladen.

Der Bedarf für ehrenamtliche Hilfe sei jedenfalls da, auch jüngere Leute könnten sie immer gebrauchen. Nachdem jede*r Freiwillige ein Einführungsseminar besucht, richte sich das jeweilige Engagement dann nach der Situation aller Beteiligten.  

Nicht nur Einsamkeit

Kathrin Weber ist es wichtig klarzustellen, dass ihre ehrenamtlichen Einsätze nicht immer in direktem Zusammenhang mit Einsamkeit stehen. „Ja, es sind häufig einsame Menschen“, aber es seien auch anders gelagerte Fälle, die ihr begegnen. Manchmal gehe es zum Beispiel einfach um die stundenweise Entlastung der Partnerin oder des Partners von pflegebedürftigen Menschen – „die wird oft vergessen“.

Auch eine Besuchsauswertung der Fachstelle Hamburger Hausbesuch für Seniorinnen und Senioren zeigt, dass die Gesprächsschwerpunkte der Besuchten vordergründig eher auf den Themen gesundheitliche Situation, Mobilität und Wohnsituation liegen. Soziale Kontakte seien zwar auch häufig angesprochen worden, das Thema Einsamkeit dagegen deutlich seltener. Ingeborg Schlumbohm sieht hierin aber durchaus einen vorgelagerten Zusammenhang. „Denn wenn zum Beispiel die Mobilität zurückgeht, kann dies in Einsamkeit umschwenken“, sagt sie. 

Ein Neuanfang

„Komm Martin, ich hab die Kekse extra aufgemacht, magst du sowas Süßes hier?” Martin Bloeck winkt lachend ab: „Also verwöhnen, das macht sie zu gerne!“, sagt er. Inzwischen kocht Kathrin Weber jeden Mittwoch ein Mittagessen für ihn. Weil sie sich so gut verstehen, machen sie danach gerne noch gemeinsame Ausflüge. „Wir waren schon oft mal unterwegs, sind in Städte gereist, Lüneburg und Lübeck. Letzte Woche waren wir in Hamburg auf dem Dom“, sagt er und es liegt ein Schwärmen in seiner Stimme.

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Engagieren gegen Einsamkeit im Alter
Kathrin Weber und Martin Block kennen sich inzwischen schon über drei Jahre. Seitdem sie sich treffen, geht es Martin Bloeck wieder besser.

Foto. Kathrin Weber

„Wir haben aber damals erstmal direkt mit dem Michel angefangen, als du mir gesagt hast, dass du den noch nicht richtig kennst“, erzählt Kathrin Weber. Er sei eben ein echter Harbuger, betont Herr Bloeck: „Ich wohne schon über 60 Jahre in der gleichen Straße.“ Als Formbauer für die Phoenix AG habe er Flugzeugteile gegossen, aber sei in seinem Leben trotzdem nur zwei oder drei Mal verreist. „Meine verstorbene Frau war da auch nicht so interessiert. Und das hat sich dann so eingebürgert.“  

Sie könne sich das kaum vorstellen, wirft Kathrin Weber ein. „Ich bin zwar hier geboren, aber in Italien groß geworden. Dann bin ich wieder hier in Deutschland und auch immer zeitweise in der Türkei gewesen.“ Sie habe viele Berufe gelernt und ausgeführt. Wie unterschiedlich ihre beiden Leben verlaufen sind, scheint erstaunlich.

Mal schauen, wo die Reise hingeht

Martin Bloeck steht Veränderungen nicht so aufgeschlossen gegenüber. Er habe sich bei vielen Dingen lange gesträubt, gibt er zu. Sich ein Smartphone zu besorgen, sei für ihn zum Beispiel eine große Überwindung gewesen. Frau Weber habe ihn dazu gebracht und heute sei er sehr froh darüber: „Ich komm’ heute auch noch nicht mit allem zurecht, aber ich übe!”

Gegen die Fensterscheiben prasseln dicke Regentropfen. Draußen setzt gerade der nächste Schauer ein. Heute sei das Wetter zu schlecht für einen Ausflug, da sind sich beide einig. Stattdessen schauen sie gemeinsam eine Reisedoku. Mal schauen, wo es heute hingeht.

Valerie Pfeiffer, Jahrgang 1994, träumte einst davon, für ihren Heimatverein 1.FC Köln zu spielen – im Männerkader. Beim Festkomitee Kölner Karneval machte sie eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau. Dreimal half sie dabei, den Rosenmontagszug zu organisieren und trug dort dann Warnweste statt Kostüm. In Friedrichshafen studierte sie Kommunikation, Kultur und Management, und arbeitete nebenher in einer Agentur für Gesundheitskommunikation – obwohl der Karneval am Bodensee Fasching heißt. In Hamburg sieht es bei diesem Thema noch finsterer aus, trotzdem entwickelte Valerie zuletzt digitale Veranstaltungsformate für die “ZEIT”. (Kürzel: val)