Theresa Rothberg ist Spitzenkandidatin der Grünen für die Bezirkswahlen 2024. Wie sie die aufgeheizte Stimmung im Land wahrnimmt und welche Schutzmaßnahmen die Partei ergriffen hat, um sich gegen Gewalt zu schützen, erzählt sie im Interview mit FINK.Hamburg.
Interview: Mirjam Hutten
Im vergangenen Jahr wurden 1219 Straftaten gegen Mitglieder der Grünen verübt. Damit führt die Partei diese traurige Statistik mit Abstand an. Vor allem im Wahlkampf, bei Infoständen, Hausbesuchen oder beim Plakatieren werden Politiker und Politikerinnen immer wieder Zielscheibe für verbale und physische Angriffe. Theresa Rothberg tritt 2024 für die Grünen bei den Bezirkswahlen an. Die 28-Jährige engagiert sich seit 2020 in der Kommunalpolitik. Wie sie die angespannte Stimmung wahrnimmt und ob sie selber schon Zielscheibe geworden ist, erzählt sie FINK.Hamburg im Interview.
FINK.HAMBURG: Wie erleben Sie den Wahlkampf dieses Jahr?
Theresa Rothberg: Beim letzten Wahlkampf 2021 war die Stimmung uns gegenüber noch sehr positiv. Jetzt gibt es an vielen Orten in Deutschland Anfeindungen und sogar Gewalttaten. Zum Glück seltener in Hamburg. Wir hatten einen Vorfall in St. Pauli, wo unser Wahlkampftisch umgestoßen wurde. Ich wurde auch schon auf der Straße angebrüllt mit den Worten: “Ihr seid Scheiße!” Insgesamt habe ich schon das Gefühl, dass die Stimmung viel aufgeheizter ist.
Sind Kommunalpolikter*innen häufiger von Gewalt betroffen, als Bundespolitiker*innen?
Rothberg: Ich glaube, wir sind leichtere Ziele. Letzten Samstag hat Annalena Baerbock auf dem Fischmarkt gesprochen – mit sehr viel Security. Da erreicht sie niemand. Aber wenn wir auf der Straße sind, beschützt uns keiner. Ein Problem ist auch, dass die Leute nicht differenzieren können. Ich kann nicht viel zum Thema Krieg sagen, das beschäftigt mich natürlich auch sehr, aber das ist nicht unsere Entscheidung. Wir entscheiden vor Ort in Hamburg-Mitte, wo ein Baum gepflanzt wird oder ein Spielplatz hinkommt. Aber das können viele nicht auseinanderhalten.
Solange die Leute Kritik schreiben, ist alles gut, aber dann kommen auch Kommentare wie: „Die Grünen sind das Auffangbecken der Gesellschaft.”
Gibt es denn Unterschiede zwischen den Stadteilen?
Rothberg: Also, wenn wir in der Innenstadt sind, wo wir hohe Zustimmungswerte haben, dann sind da eher Leute, die sagen: “Wir haben euch schon gewählt.” An anderen Orten, wie in Billstedt, kann es schon passieren, dass einem die Tür vor der Nase zugeknallt wird.
Wie sieht es mit verbaler Gewalt in den sozialen Netzwerken aus?
Rothberg: Solange die Leute Kritik schreiben, ist alles gut, aber dann kommen auch Kommentare wie: „Die Grünen sind das Auffangbecken der Gesellschaft.” Oft wird auch einfach nur persönlich stark beleidigt, das verbergen wir dann in den Kommentaren. Ein Kommentar ist mir noch besonders im Kopf geblieben. Da hat eine Person unter ein Foto von mir gepostet: “Und an Silvester, wenn dich 20 Habibis gleichzeitig beglücken, überdenkst du deine Meinung.”
Wie gehen sie mit solchen Kommentaren um?
Was glauben sie sind die Hauptursachen für die Zunahme der Gewalt?
Rothberg: In den letzten Jahren hat eine zunehmende Emotionalisierung der Politik stattgefunden. Fakten zählen einfach nicht mehr so viel wie Emotionen. Das sorgt dafür, dass viele Leute nur noch auf ihre Emotionen hören. Diese Emotionen äußern sich dann auch in Form von Gewalt. Außerdem wird es auch gesellschaftlich immer normaler, dass so etwas passiert. Es wird in den Medien bekannt gemacht und dadurch gibt es mehr und mehr Trittbrettfahrer.
Die Grünen sind bundesweit am meisten von Gewalt betroffen. Wie erklären Sie sich das?
Rothberg: Wir sind für einige Leute zu einem Feindbild geworden. Ich kann gar nicht sagen, wo das seinen Anfang genommen hat. Ich glaube, es ist sehr einfach zu sagen, die Grünen seien an allem schuld. An dieser Stelle würde ich mir auch eine sachliche Auseinandersetzung mit Themen wünschen, auch im politischen Diskurs. Es sollte weniger um die Parteizugehörigkeit gehen, abgesehen von der AfD, sondern um gute Ideen. Diese müssen wieder mehr diskutiert werden. Das ist in der Politik ein bisschen verloren gegangen.
“Ich lasse mich davon nicht einschüchtern. für mich ist das nur noch mehr Motivation, Ein jetzt erst recht.”
Wie schützen Sie sich vor Gewalt gegen euch?
Rothberg: Wir machen das inzwischen so, dass bei Wahlkampfaktionen immer mindestens drei Leute geschickt werden. Veranstaltungen mit weniger als drei Personen finden nicht mehr statt, das war früher anders. Da standen auch schon mal nur zwei Leute am Stand. Wir versuchen zu deeskalieren: nicht auf Sticheleien einzugehen. Außerdem reden wir nach kritischen Vorfällen über die Situation: Wie habe ich mich gefühlt? Was hat das bei mir ausgelöst?
Bremsen diese Gewalttaten ihren Enthusiasmus, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Rothberg: Nein überhaupt nicht. Zumindest lasse ich mich davon nicht einschüchtern. Ich meine, ich bin die Spitzenkandidatin. Wenn es zu physischer Gewalt im Bezirk käme, würde es wahrscheinlich gegen mich oder Manuel, weil wir die Gesichter der Kampagne sind. Aber für mich ist das nur noch mehr Motivation, jetzt erst recht.
Welche Rolle spielen ihrer Meinung nach die Medien bei der Eskalation?
Rothberg: Ich denke, dass es sehr wichtig wäre, Geschwindigkeit bei Themen rauszunehmen und auch versuchen, objektiver zu sein. Momentan wird ein Feindbild gegen das andere gesetzt. Viele Medien haben einen Ton drauf, der sehr grenzwertig ist.
Mirjam Hutten, geboren 1999, interviewte für die Schülerzeitung schon Auma Obama, die Schwester des ehemaligen US-Präsidenten. Ursprünglich wollte sie das Familienhotel “Am Torturm” übernehmen und studierte daher Wirtschaftswissenschaften in ihrer Heimatstadt Würzburg. Sie entschied sich jedoch gegen das Hotel und bekam ein Stipendium als Videojournalistin der Media School Bayern. Für den Münchner Sender M94.5 moderierte sie das Format “Pocket News” und lief vor der Kamera einen Halbmarathon aus dem Stand. Zurück in Würzburg schrieb Mirjam für die “Main-Post” einen Artikel über das Organspende-Tattoo und ließ es sich auch gleich stechen. Ihr Ziel: Podcasts für die “Süddeutsche Zeitung” entwickeln und Michelle Obama interviewen.
Kürzel: jam