Steigende Lebenshaltungskosten = steigende Mieten: Das ist für immer mehr Hamburger*innen die traurige Realität. Schuld sind Indexmietverträge, die in Großstädten immer üblicher werden. Doch diese sind unfair und unmenschlich. Ein Kommentar von Simon Laumayer.
Ende Juni wurden die Ergebnisse des letzten Zensus veröffentlicht. Die Daten aus 2022 zeigen, was für viele Hamburger*innen längst spürbare Realität ist: Hamburger Wohnraum ist teuer. So teuer sogar, dass die Stadt deutschlandweiter Spitzenreiter bei der Höhe der Nettokaltmieten ist. 9,16 Euro kostet ein Quadratmeter demnach im Schnitt – knapp zwei Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.
Der Zensus ist eine bundesweite, statistische Erhebung, die alle zehn Jahre stattfindet. Im Zentrum steht die Frage danach, wie Menschen in Deutschland leben, wohnen und arbeiten. Gemessen wurden 2022 neben der Bevölkerungsgröße, Demografie und Wohnsituation auch erstmals die durchschnittliche Höhe der Nettokaltmiete.
50.000 fehlende Wohnungen
Ein Grund dafür dürfte vor allem der immense Mangel an Wohnraum sein. Letztes Jahr fehlten der Hansestadt nach Schätzungen des Mietervereins zu Hamburg bereits knapp 50.000 Wohnungen. Dieses Jahr dürften noch ein paar dazukommen – und das bei lahmendem Wohnungsbau. Wer sich wohnlich verändern möchte, muss folglich bereit sein, einige Kompromisse in Kauf zu nehmen: Astronomische Mieten, Vorlage von Gehaltsnachweisen und Schufa-Auskünften schon bei der Bewerbung, Wohnungsbesichtigungen mit zwanzig oder mehr Mitbewerber*innen. Seit ein paar Jahren müssen sich viele Hamburger Mieter*innen aber noch mit einem zusätzlichen Ärgernis rumschlagen: der Indexmiete.
„Die Frage nach einem sozialen und gerechten Wohnungsmarkt ist nicht zuletzt auch eine Frage des gesellschaftlichen Friedens.”
Wer von dieser bislang nichts gehört hat, kann sich glücklich schätzen und wohnt aller Wahrscheinlichkeit nach selbst nicht in einem Ballungsgebiet. Zur Erklärung: Die Indexmiete erlaubt es Vermietern, die Mietkosten jährlich an die Steigungsrate der Inflation anzupassen. Ohne Mietpreisbremse und ohne Kappungsgrenzen oder ähnliche Regulationen. Was sich wie die Tagträumerei wirtschaftsliberaler Hardliner anhört, ist für viele Mieter*innen in Hamburg bereits Alltag: 15 Prozent aller Haushalte sollen bereits Indexmietverträge haben. Der Mieterbund geht davon aus, dass ein Drittel bis die Hälfte aller Neuverträge die Klausel beinhalten – Tendenz steigend. Mieterverbände forderten zuletzt mehrfach ein Verbot der Indexmiete bei Neuverträgen – bislang ohne Erfolg.
Mieter*innen durch Indexmiete in Bedrängnis
Dass es für Vermieter*innen möglich ist, ihre Mieter*innen für inflationsbedingt steigende Kosten zur Kasse zu bitten, ist unfair und unmenschlich. Ein Anstieg der Miete bei ohnehin schon hohen Lebenshaltungs- und Energiekosten stellt für viel Haushalte eine nicht stemmbare Doppelbelastung dar. Vor allem, weil Löhne und Gehälter in der Regel nicht automatisch der Inflation angepasst werden.
So kamen zuletzt laut einer Umfrage des NDR 15 Prozent der Befragten Hamburger*innen mit Indexmietvertrag mit ihren Mietzahlungen in Verzug. Bei Verträgen ohne diese Klausel waren es nur fünf Prozent. Wer nun argumentiert, man könne so einen Vertrag ja auch ablehnen, der hat wohl noch nie mit knappem Budget versucht, in Hamburg eine passende Wohnung zu finden.
Die Indexmiete steht symptomatisch für die marode Lage des Wohnungsmarktes in deutschen Großstädten. Dass ein weitreichendes politisches Eingreifen in den Wohnungsmarkt unvermeidlich ist, liegt auf der Hand. Eine bloße Verlängerung der Mietpreisbremse, wie sie die Ampel-Regierung im Juli beschließen möchte, ist bei Weitem nicht ausreichend und verkennt die Lebensrealität vieler Mieter*innen. Ein Verbot von Indexmieten oder eine wirksame Deckelung potenzieller Mieterhöhungen wäre zwar keine langfristige Lösung für die Miet-Misere, aber ein wichtiges Signal dafür, dass die Stadt die Belange von Mieter*innen ernst nimmt und bereit ist, auch in ihrem Interesse zu handeln.
Über die Hälfte aller Deutschen wohnen zur Miete. Die Frage nach einem sozialen und gerechten Wohnungsmarkt ist daher, gerade in Zeiten hoher Inflation, nicht zuletzt auch eine Frage des gesellschaftlichen Friedens. Eine überzeugende Antwort auf diese Frage findet Hamburg bislang leider weiterhin nicht.
Simon Laumayer, Jahrgang 1992, ist mit 16 Jahren schon Schulmeister im Bouldern geworden. Seit seinem Bachelorstudium Kulturwissenschaften in Lüneburg verdient er sogar Geld damit - als Routenbauer in der Boulderhalle. Auch im Urlaub klettert der gebürtige Hamburger. In einem selbst ausgebauten Van, einem Gärtnermobil, geht es zu Felsformationen, am liebsten in die Schweiz. Als Pressesprecher hat Simon mehrere Jahre fürs Lüneburger Musik- und Kulturfestival “Lunatic” gearbeitet und für den “Rolling Stone” schon den Indie-Künstler Sam Fender interviewt. Privat dröhnt allerdings Hiphop aus den Boxen seines Vans.
Kürzel: sil