Fast die Hälfte aller jungen Deutschen fühlt sich einsam – das ist das erschreckende Ergebnis einer aktuellen Studie. Über die Einsamkeit zu reden ist ein erster Schritt, aber wir müssen auch unseren Medienkonsum hinterfragen. Ein Kommentar.
Die Zahlen bestätigen eine traurige Realität: Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung fühlen sich knapp die Hälfte aller 16- bis 30-Jährigen in Deutschland einsam. Nicht nur ältere Menschen sind von Einsamkeit betroffen. Auch junge Deutsche leiden zunehmend unter dem Gefühl, allein zu sein. Dieser Trend ist während der Corona-Pandemie in Erscheinung getreten, hat sich aber seither kaum verbessert.
Das Thema ist prompt auf der Agenda der Bundesregierung gelandet. Ende Juni hat das Bundesfamilienministerium eine Aktionswoche gegen Einsamkeit veranstaltet. Auch der NDR hat reagiert und die Benefizaktion „Hand in Hand für Norddeutschland“ im Kampf gegen die Einsamkeit angekündigt. In allen Bundesländern fühlen sich Menschen alleine – auch in Hamburg. Es sei ein “zunehmendes Problem”, so Dr. Bettina Radeiski, Professorin am Department Soziale Arbeit an der HAW Hamburg. “Der Arbeiter-Samariter-Bund Hamburg (ASB Hamburg) betrachtet Einsamkeit als eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft.”
Dem Thema Einsamkeit wird also endlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Aber reicht es aus, mit anderen darüber zu reden? Oder müssen wir tiefer an die Ursachen herangehen, vielleicht sogar etwas an unserer inneren Einstellung ändern?
Warum wir einsam sind: Klima, Kriege, Krise
Expert*innen wie Dr. Bettina Radeiski zufolge gilt Alleinsein als die neue Zivilisationskrankheit. Als ursächliche Faktoren benennt die Bertelsmann Studie Risikogruppen: Menschen mit geringem Einkommen, niedriger Bildung oder Migrationshintergrund leiden besonders unter Vereinsamung. Auch Singles sind stärker gefährdet. Die Autoren gehen außerdem davon aus, dass ein „allgemeiner Krisenmodus“ und wechselnde „Kommunikations- und Umgangsformen“ für die Entstehung von Einsamkeit eine Rolle spielen.
Die Berstelsmann-Studie: “Wie einsam sind junge Erwachsene im Jahr 2024?”
– Die Daten für die Studie wurden im März 2024 erhoben
– Es wurden 2.532 Menschen im Alter von 16 – 30 Jahren befragt
– Insgesamt fühlen sich 46 Prozent der Studienteilnehmer*innen einsam
– Zehn Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich stark einsam fühlen
– Weitere 35 Prozent fühlen sich moderat einsam
– Einsamkeit ist besonders stark im Alter von 19-22 Jahren vertreten
– Junge Frauen sind häufiger von Einsamkeit betroffen als Männer
– Zu den Risikogruppen zählen außerdem Menschen ohne Erwerbstätigkeit oder Schulabschluss sowie
Bürger*innen mit Migrationshintergrund und Alleinstehende
Klimawandel, Kriege, Corona. Die Liste der aktuellen Krisen ist lang. Dass man sich in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen überfordert und von anderen missverstanden fühlt, klingt verständlich. Vor allem während der Corona-Pandemie waren viele von ihren Mitmenschen isoliert und gewissermaßen zur Einsamkeit verurteilt. Die Autoren der Studie räumen jedoch ein, dass die aktuellen Zahlen nicht mehr allein auf die Corona-Pandemie zurückgeführt werden könnten. Und Krisen hat es – leider – immer gegeben. Was hat sich also verändert, dass wir es anscheinend mit einer neuen Dimension von Einsamkeit zu tun haben?
Soziale Medien: Vertrauensverlust führt zu Isolation
Interessant scheint hier vor allem ein Punkt, der in der Studie erwähnt wird. So schreiben die Autor*innen, dass wechselnde „Kommunikations- und Umgangsformen“ eine Rolle bei Einsamkeit spielen könnten. Diese müsse man weiter untersuchen. Ergänzt man den Fakt, dass immer mehr junge Menschen soziale Medien als „Kommunikations- und Umgangsform“ nutzen, ergibt sich langsam ein Bild. Denn laut Studie tun sich einsame junge Menschen schwer damit, anderen Mitmenschen und Institutionen zu vertrauen.
Fehlendes Vertrauen ist eine schlechte Voraussetzung für den Kampf gegen Einsamkeit. Doch die Begriffe „Vertrauensverlust“ und „Soziale Medien“ werden oft in einem Satz genannt. Hier besteht möglicherweise ein Zusammenhang, den wir besser verstehen müssen.
Wenn über Social Media im Zusammenhang mit Einsamkeit gesprochen wird, dann immer in zwei Richtungen. Einerseits ist es super praktisch, um mit Leuten in Kontakt zu bleiben oder neue Leute kennenzulernen. Auf der anderen Seite fühlt man sich nicht wirklich besser. Man sieht all diese perfekten Leben und denkt: “Mensch, bei mir läuft es nicht so gut.“ Da kann man sich schnell einsam fühlen.
– Prof. Bettina Radeiski
Fakt ist: Tiktok, Instagram und Co. sind unser Fenster zur Welt. Gleichzeitig stiften sie maximale Verwirrung in unseren Köpfen. Es fällt schwer, die tägliche Bilderflut in den sozialen Medien auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, wenn manipulatives und irreführendes Verhalten dort zum Alltag gehören. Was wir mögen, das „liken“ wir, was uns abstößt, blenden wir aus. Was wahr ist und was nicht? Können wir kaum noch erkennen. Damit entsteht ein verzerrtes Bild von Realität.
Wird KI jetzt unsere beste Freundin?
Wonach jeder sich sehnt, sind Likes und Zustimmungswerte. Aber unsere Vorstellung von sozialer Akzeptanz beruht auf Bildern, die zum Teil nicht echt sind. Die Erwartungen an uns selbst und an unsere Mitmenschen sind unrealistisch geworden. Scham und Entfremdung können die Folge sein.
Wen wundert es da, dass wir uns mittlerweile lieber einer KI anvertrauen, um Gefühle wie Einsamkeit zu besprechen? Eine aktuelle Studie zeigt, dass KI-Tools für einige Menschen die bessere Möglichkeit bieten, um eigene Probleme wie Einsamkeit zu offenbaren. Der Grund: Die Angst vor negativer Bewertung gilt als geringer. KIs verurteilen uns nicht, wir können ihnen anonym unsere Probleme anvertrauen, brauchen uns nicht zu schämen. KI, unser neuer bester Freund. Ist das die Zukunft?
Um aus der Einsamkeit zu finden, muss es auch andere Mittel geben. Einen klaren Blick auf die Realität zu erlangen, gelingt indem wir über unsere Gefühle reden. Am besten mit Menschen, die uns Halt geben und authentisch sind. Dabei ist es vielleicht ratsam, das Smartphone in die Tasche zu packen und sich häufiger im realen Leben zu begegnen.
In der Dominikanischen Republik erkundete Diana Waschelitz, geboren 1991 in Bad Segeberg, Leguaninseln und Krokodilfarmen. Sie studierte in Hamburg Amerikanistik sowie Medien- und Kommunikationswissenschaften. Diana war schon Qualitätskontrolleurin für Asos und plante Containerrouten für Hapag-Lloyd. Für ein Erasmussemester ging Diana nach London. Die Mentalität und die Buchläden in Bloomsbury gefielen ihr so gut, dass sie gleich für zwei Jahre blieb. Wieder zurück in Hamburg verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit Mats, ihrem Mops. Kürzel: dia