Seeleute arbeiten eigentlich immer. In Hamburg gibt es einen Ort, an dem sie sich für ein paar Stunden entspannen können und Snacks aus der Heimat knabbern. Ein Besuch im Seemannsclub Duckdalben.
Acht Monate auf See, zwölf Stunden Arbeit am Tag. Leben und arbeiten auf einem 380 Meter langen Stahlkasten, beladen mit mehr als 8000 Containern. Tag für Tag die gleichen 24 Menschen sehen. Kaum Internet, keine Verbindung nach Hause und nur wenige Tage an Land. Das ist der Alltag vieler Seeleute.
Der Duckdalben bietet da eine willkommene Abwechslung. Er liegt zwischen Hecken und Büschen abgeschirmt von den Kränen der Terminals, die ein paar Meter weiter schrill quietschend Container verladen. Betritt man den Seemannsclub, steht man in einer hellen Eingangshalle mit sechs Meter hohen Decken. Bunte Telefonboxen erinnern an vergangene Zeiten. An den Wänden hängt ein Sammelsurium von Erinnerungsstücken der Gäste: Holzmasken, selbst gemalte Bilder von Seeleuten und das Fell einer Wildkatze, das wie ein Teppich über die Wand gespannt ist. Im Hintergrund läuft entspannte Gitarrenmusik. Alle ankommenden Seeleute werden mit einem freundlichen „Hello my friend“ begrüßt.
So auch Jomely Alipoy Centinales. Der Filipino wird erst in acht Monaten wieder zu Hause sein, so lange lebt und arbeitet er auf einem Container-Schiff. Seit 2010 ist Centinales die meisten Monate im Jahr auf einem Containerschiff. Den Seemansclub hat er schon etliche Male besucht: „Der Duckdalben ist mein Zuhause in Hamburg“, sagt er. Drei Tage bleibt er in der Stadt, dann geht es weiter über Antwerpen nach Südamerika. In die Hamburger Innenstadt fährt er nicht – dafür fehlt das Geld.
Ein Stück Heimat aus dem Kioskregal
Der Hamburger Hafen verbindet die Hansestadt mit 950 Häfen in 178 Ländern und ist damit der drittgrößte Hafen Europas. Deshalb wird Hamburg auch “Das Tor zur Welt” genannt. Für die Seeleute ist der Duckdalben das Tor zu Hamburg. Benannt wurde das Seefahrtheim nach den Pfählen, die zum Anlegen der Schiffe in das Hafenbecken gerammt werden. Seit 1986 betreibt die Deutsche Seemannsmission den Club. Im Jahr 2023 besuchten knapp 32000 Seeleute den Seemannsclub. Er ist Kneipe, Laden und Museum zugleich.
Hinter der kleinen Bar steht Sozialbetreuer Kevin Döll und reicht einem Seemann aus Montenegro zwei Bier über den Tresen. Neben der Bar bildet sich eine kleine Schlange, eine Gruppe Filipinos wartet darauf, im Shop bedient zu werden. Auf fünf Regalen sind Pflegeprodukte, Chips, Schokolade, verschiedene asiatische Nudelsuppen und Snacks aufgereiht. „Wir verkaufen alles für den täglichen Bedarf, tauschen Geld und verkaufen SIM-Karten. Viele Seeleute haben keine Zeit, in die Stadt zu fahren, und hier sind die Preise fair und die Auswahl teilweise größer als bei den Lieferanten, die auf die Schiffe kommen.“
Manches im Regal würde man im klassischen deutschen Supermarkt nicht finden, eine Tüte Schweinekruste steht neben einer bunten Tüte Boy Bawang. Der gepuffte und gewürzte Mais ist ein beliebter Snack für philippinische Seeleute. „Für viele Seeleute ist das ein Stück Heimat, das sie auch in der Ferne schmecken können“, sagt Döll. Der Verkaufsschlager sei aber die Schokolade, rund eine Tonne verkauft der Seemannsclub im Monat. „Das hat einen einfachen Grund: Schokolade ist Dopamin zum Essen“, sagt Döll und blickt auf die leeren Regale im kleinen Lager.
Ein Ankerpunkt im Hafen
Die Mitarbeitenden vom Duckdalben holen die Seeleute von ihren Schiffen ab und betreuen sie seelsorgerisch. Zu lange Arbeitszeiten, niedrigen Löhnen und ein hohes Verletzungsrisiko sind Probleme, die an Bord häufig auftreten. Hinzu kommen psychische Belastungen, da die Seeleute durch die monatelange Arbeit von ihren Familien und Freunden isoliert sind.
„Wir verstehen uns auch als Sprachrohr für Seeleute.“
„90 Prozent der Produkte in unseren Supermarktregalen werden mit Containerschiffen transportiert. Oft sieht niemand, dass Menschen an Bord sind“, sagt Döll. Die Seemannsmission versteht sich als Sprachrohr der Seeleute. „Wir machen auch Besuche an Bord und schauen, wie es den Menschen dort geht. Bis sich die Seeleute wirklich öffnen, ist es viel Vertrauensarbeit“, sagt Kevin Döll. Dass Seeleute ihren Job riskieren, indem sie streiken oder Missstände öffentlich machen, kommt selten vor, denn sie sind auf den Job und das Geld angewiesen.
Der Sozialbetreuer zeigt auf die Tische im vorderen Teil des Raums, an dem kleine Grüppchen sitzen. „Egal, ob zum Reden, Einkaufen oder Entspannen. Ich glaube hier ist der Ankerpunkt im Hamburger Hafen, an dem die Seeleute festmachen können und mal vom Alltagsstress abschalten können“, sagt er.
Von Manila nach Hamburg
Billardkugeln klackern aneinander. Die Holzdecke des großen Aufenthaltsraums ist mit Rettungsringen gepflastert, orangefarben leuchten sie von oben herab. Die Seeleute haben sie von ihren Schiffen aus Marseille, Panama, Sri Lanka, Hong Kong mitgebracht und mit Filzstift ihre Namen darauf geschrieben. An einem der Billardtische spielt Centinales mit seiner Crew. Sie sind zu viert, alles Filipinos, wie die Hälfte aller Seeleute, die 2023 im Duckdalben waren.
Die Philippinen sind eine Seefahrernation. Im Jahr 2022 kamen rund 21 Prozent aller Seeleute von den Philippinen. Für Reedereien in aller Welt sind sie billige Arbeitskräfte. „An Bord verdiene ich dreimal so viel wie auf den Philippinen“, sagt Rhekha Melenderez Morales. Er ist Koch in der Crew, in der auch Centinales arbeitet.
Centinales steht rauchend auf der Terrasse und prostet seinen Kollegen im Aufenthaltsraum zu. „Hier bin ich frei. Ich kann entspannt etwas trinken, Billiard oder Basketball spielen und mir neue Kleidung besorgen.“, sagt er. Morales, der Koch, steht mit einem Kö in der einen Hand und einer Bierflasche in der anderen Hand neben dem Billardtisch: „Früher war ich hier, um Geld zu verschicken oder die Telefonboxen zu nutzen, heute kann ich fast alles digital machen. Aber ich komme immer noch gern her, um den Stress loszulassen.“
In der Kneipe sitzt Sozialbetreuer Döll mit einer anderen Gruppe philippinischer Seefahrer an einem der Tische. Einer von ihnen spielt Gitarre und stimmt „All of you“ von John Legend an. Alle singen ausgelassen mit und wippen zur Musik. Kevin Döll sagt: „An Bord entstehen oft Lebensgemeinschaften durch Arbeitsgemeinschaften, hier im Duckdalben ist es auch so. Für viele ist der Ort ein kleines Zuhause.“
Mit einem Bachelorabschluss in Tourismusmanagement liegt ihr Fernweh nahe: Patricia Zippel, Jahrgang 1997, hat schon alle Kontinente bereist - nur Australien fehlt ihr noch. In Hamburg ist sie schon seit 2020. Für das Netzpiloten Magazin produzierte sie hier einen Podcast über Themen wie digitale Kunst oder nachhaltige Handys. Danach absolvierte sie ein Redaktionsvolontariat bei dem Magazin “Flow”. Sprachlich bleibt Patricia ihrer Geburtsstadt Gera treu. Nischel, Ganker oder Konsum - typisch ostdeutsche Wörter sammelt sie mit einer Freundin in einer Whatsapp-Gruppe. Ihr Plan: Diese ins Norddeutsche schmuggeln, vielleicht auch auf die FINK-Website. Kürzel: zip