Donald Trump hat es geschafft. Er wurde von den Amerikaner*innen erneut zum Präsidenten der USA gewählt. Wieso aber wählen Frauen einen Mann, der ihre Rechte und Würde mit Füßen tritt?
„Republicans are hotter“, steht in roten Lettern auf ihrem weißen T-Shirt, knapp über der Brust. Eine Halskette mit Kreuz hängt um ihren Hals, ihre Lippen formen einen Schmollmund. „Swipe to see my face after you tell me you voted for TRUMP!!!” steht unter Morgonn McMichaels Instagram Post. Swipe nach rechts: Der Schmollmund wird zum breiten Lächeln, die braunen Augen gucken direkt in die Handykamera. Süß.
Die 24-jährige Amerikanerin ist eine von schätzungsweise über 130 Millionen wahlberechtigten Frauen in den Vereinigten Staaten. Und rührte die Werbetrommel für Donald Trump, der am 5. November 2024 erneut zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Auf Instagram folgen ihr über 47.000 Menschen. Ihr Content: eine Mischung aus hübschen Selfies, auf denen sie Make America Great Again Caps trägt und Straßenumfragen, in denen sie Gegner*innen von Trump auflaufen lässt.
Schon in jungen Jahren
Ähnlichen Content verbreitet Hannah Faulkner auf ihrem Instagram-Account. Sie ist erst 17 Jahre alt und hat über 11.000 Follower*innen. Auf ihrem Profilfoto posiert sie neben Donald Trump, beide halten ihre Daumen nach oben. In ihren Videos spricht sie im eigens eingerichteten Heim-Studio oder auf Veranstaltungen über die Gefahren der Trans-Community, Gott, die Rolle der Frau in der Familie und natürlich: Donald Trump. Und obwohl sie für konservative und veraltete Frauenrollen einsteht, den Mann über die Frau stellt, handelt sie nicht danach. Sondern baut sich als junge Frau eine Onlinepräsenz auf – selbstbewusst, unabhängig, eigenständig. Ist das nicht ein Widerspruch?
Donald Trump fällt seit Jahrzehnten durch frauenfeindliche Äußerungen auf, wurde 2023 sogar wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Seit den 1970er Jahren beschuldigten ihn mindestens 26 Frauen wegen Vergewaltigung, Nötigung und Belästigung. Besonderes Aufsehen erregte eine Videoaufzeichnung von 2005, die gut zehn Jahre später an die Öffentlichkeit gelangte und für weltweite Empörung sorgte: „Grab ‘em by the pussy“, sagt Trump in diesem Video. Er könne einfach nicht die Finger von schönen Frauen lassen, sie ließen es sich gefallen, solange man populär sei. Dass ein Mann, der offen und ohne Scham frauenfeindlich auftritt, von Frauen gewählt und aktiv unterstützt wird, ist ein Paradoxon – und doch warten viele seiner Unterstützerinnen oder Sympathisantinnen mit Argumenten auf statt mit Ahnungs- oder Interessenlosigkeit. Das Phänomen der weiblichen Befürwortung ist komplexer als es scheint.
Religion als Wegweiser
Penny Gallagher* lebt in Michigan und wählte Kamala Harris. Ihre Mutter allerdings nicht: „Ich habe darüber nachgedacht, dieses Jahr ein Gespräch mit meinen Eltern darüber zu führen, weil meiner Meinung nach so viel auf dem Spiel steht, aber ich habe mich dagegen entschieden – ich wollte keinen Streit.” Die Gründe ihrer Mutter kennt sie dennoch: „Der einzige Grund, warum meine Mutter wählt, ist, dass sie Pro-Life ist und nicht an Abtreibung glaubt,“ sagt sie.
Religion ist in den USA ein großes Thema. 2020 bekannten sich über 70 Prozent der Bevölkerung zum Christentum. Die weißen Evangelikalen machen nach Angaben des Public Religion Research Institute (PRRI) 13,6 Prozent der US-Bevölkerung aus. Vor allem Präsident Donald Trump konnte auf ihre Unterstützung zählen: 2016 wählten ihn rund 77 Prozent der weißen Evangelikalen, 2020 waren es sogar etwa 84 Prozent. Ihre Beweggründe: Pro-Life. Der Oberste Gerichtshof hatte vor zwei Jahren das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt, nachdem Trump während seiner Präsidentschaft drei konservative Richter ernannt und den Konservativen damit eine Mehrheit im Supreme Court verschafft hatte.
“Ich würde Trump wählen”
Auch wenn vor allem Männer ihre Stimme für Donald Trump abgegeben haben, gibt es sie. Die Frauen, die die Republikanische Partei wählen und damit Donald Trump. 45 Prozent der Frauen stimmten bei dieser Wahl für Donald Trump, während 53 Prozent die Demokratische Partei wählten.
Lina Bauer* kommt aus der Nähe von Hamburg und lebt seit 2016 in Oregon. Sie ist nicht wahlberechtigt, sagt aber: „Ich würde für Trump wählen, keine Frage.” Warum? „Zusammenfassend sind mir diese Punkte wichtig: Wirtschaft, sichere Grenzen und sichere Städte, Meinungsfreiheit und Frieden. Außerdem habe ich die Hoffnung, dass sich durch die Partnerschaft mit Robert F. Kennedy Jr. etwas an der Gesundheitspolitik ändert. Da finde ich das MAHA Movement (Make America Healthy Again) super”, erklärt Bauer.
Ein vereintes Amerika?
Trumps Verhalten Frauen gegenüber spielt also für viele von ihnen eine nebensächliche oder gar keine Rolle. Vielmehr rücken andere Aspekte, Werte, die tief in der republikanischen Identität verankert sind, in den Vordergrund. Und Trump rückt als Person mit all seinen Entgleisungen in den Hintergrund. Bauer sagt, „nur weil Frauen Trump wählen, heißt es ja nicht, dass sie für Trump als Person wählen, obwohl es die natürlich auch gibt. Sie wählen für seine Politik und für all das, was er versuchen will, umzusetzen, und gegen die letzten dreieinhalb Jahre unter Biden und Harris. Trump und Vance geben vielen die Hoffnung auf ein erneut vereintes Amerika.“ Weitere Gründe seien laut Bauer eine bessere Wirtschaft, eine geregelte Einwanderung und ein Ende der Kriege in der Ukraine und Israel. Sie sagt, Donald Trump sei der einzige Präsident gewesen, der keine neuen Konflikte begonnen habe. Das stimmt soweit – allerdings gab es in Trumps erster Amtszeit, ebenso wie unter seinem Vorgänger Barack Obama, tausende Drohnenangriffe gegen mutmaßliche Terroristen vor allem in Afghanistan.
Gallagher bestätigt das. Waren Trumps frauenfeindliche Äußerungen für sie ein starkes Argument gegen eine Stimme für ihn, so blenden das viele andere Frauen aus: „Ich glaube, die meisten Frauen, die sich konservativen und rechten Kreisen anschließen, sind sehr religiös und daher gegen Abtreibung. Deshalb wählen sie Trump.”
“The whole world is laughing at us”
Sophie Witthöft macht derzeit ein Auslandssemester in Long Beach, Kalifornien, und nennt ähnliche Gründe wie Gallagher und Bauer: „Die amerikanischen Frauen, die ich hier kennengelernt habe, wählen Trump. Im Grunde gibt es aber nur den Beweggrund, dass die Familien, in denen die Frauen aufwachsen, alle Republikaner sind und damit recht konservativ. Hier sind auch viele Menschen sehr religiös und familienverbunden, sodass sie diese Tradition nicht brechen wollen.” Witthöft sagt, dass viele Amerikaner sich für Trumps Verhalten schämen würden: „Es fallen häufig Formulierungen wie „the whole world is laughing at us”. Das ändere aber nichts daran, dass sie weiterhin die Republikanische Partei wählen würden.
Die politische Sozialisation und damit auch das Wahlverhalten wird maßgeblich von den Eltern geprägt. Sie sind häufig diejenigen, die ihren Kindern zum ersten Mal einen Zugang zu Politik vermitteln. Während der 1960er Jahre untersuchten Forscher*innen die politische Sozialisation in den USA und fanden dabei heraus, dass Eltern ihren Kindern eine Parteipräferenz mitgeben, die sie langfristig beeinflusst und die wie ein Filter funktioniert. Für Trump-Anhängerinnen landen in diesem Filter seine Schwurbeleien, Eskapaden, Straftaten. Dieser Erklärungsansatz ist auch bekannt als Michigan-Modell. Das Zweiparteiensystem verstärkt das.
Aller Vorwürfe zum Trotz
Auch in Bauers Umfeld haben Frauen Trump gewählt. Sie vermutet, dass der direkte Vergleich zwischen der ersten Amtsperiode von Donald Trump und den darauffolgenden vier Jahren unter Joe Biden ausschlaggebend dafür ist. „Unter Trump ging es vielen Amerikanern viel besser als unter der letzten Regierung“, sagt sie. Ihrer Einschätzung nach hätten diese Eindrücke mehr Gewicht als Trumps Frauenfeindlichkeit: „Da viele der Vorwürfe 25 Jahre oder noch länger her sind, schenken ihnen viele keinen Glauben. Sie finden es fraglich, dass die ganzen Vorwürfe erst in letzter Zeit ans Licht gekommen sind.”
Nun ist Trump erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden – aller Vorwürfe zum Trotz haben die Amerikaner*innen für ihn entschieden. Gallagher ist fassungslos und hat Angst um ihre Zukunft. „Ich bin sehr traurig und enttäuscht. Ich habe Angst, in den nächsten vier Jahren eine Familie zu gründen. Amerikaner sind so dumm.”
*Die Namen zweier Protagonistinnen wurden geändert.
Lagewoche zur US-Wahl 2024
Donald Trump ist wieder Präsident in den USA. Am 5. November haben die Vereinigten Staaten ihren neuen Präsidenten gewählt. Kamala Harris hat als zweite Frau gegen Donald Trump verloren. Wie geht es weiter? Was bedeutet Trumps Präsidentschaft für die USA und den Rest der Welt? Wie ist die Stimmung in Deutschland und Hamburg? FINK.HAMBURG versorgt euch eine gute Woche lang mit den neuesten Infos rund um die Wahl.
Karoline Gebhardt, geboren 1994 in Reinbek, ist Ex-Landesmeisterin im Bogenschießen. Zu dem Hobby kam sie durch den Film „Plötzlich Prinzessin“. Heute schaut sie lieber koreanische Filme mit Untertiteln. Bei Metal-Konzerten crowdsurft sie und landete dabei schon im legendären Club Logo auf der Bühne. Im Bachelor studierte sie Bibliotheks- und Informationsmanagement und recherchierte als Werkstudentin bei der dpa für die Katastrophen-Warn-App Nina. Für „Szene Hamburg“ testete Karo Restaurants und schmiedete für eine Reportage ein Küchenmesser. Karoline ist besessen vom Thema Quiz, ob im Pub oder im TV - sie selbst bezeichnet sich als Günther-Jauch-Ultra. Kürzel: kar