Klage gegen Correctiv: Ulrich Vosgerau klagt gegen die Berichterstattung über das Potsdam treffen.
Ulrich Vosgerau Teilnehmer eines Treffens rechter Kreise in Potsdam, klagt gegen die Berichtserstattung von Correctiv. Foto: Marcus Brandt/dpa

Es war die Recherche des Jahres. Im Januar 2024 hat Correctiv“ über ein Treffen von rechten und rechtsradikalen Kreisen in Potsdam berichtet. Hunderttausende haben danach an Demos gegen Rechts teilgenommen. Jetzt klagen Teilnehmer gegen die Recherche. 

Ein Jahr nach dem Enthüllungsbericht des Medienhauses „Correctiv“ über ein Treffen rechter und rechtsradikaler Kreise in Potsdam gehen Teilnehmer gerichtlich gegen Kernaussagen vor. CDU-Mitglied Ulrich Vosgerau und andere haben beim Landgericht Hamburg Klage gegen aus ihrer Sicht falsche Behauptungen in dem Artikel eingereicht, teilte der Anwalt Carsten Brennecke mit. Diese richte sich gegen „Correctiv“ und die für den Bericht verantwortlichen Journalist*innen.

Das hatte das Medienhaus LTO, das sich mit Rechtsthemen beschäftigt, berichtet. Eine Sprecherin des Hamburger Gerichts bestätigte den Eingang zweier Klagen gegen „Correctiv”. Das Medienhaus erklärte, man bleibe bei der Darstellung.

Hunderttausende demonstrierten gegen Rechts

Nach dem „Correctiv”-Bericht im Januar 2024 hatten hunderttausende Menschen in ganz Deutschland gegen Rassismus und Ausgrenzung demonstriert. In Hamburg kam es am 19. Januar 2024 zu einer Demonstration mit so vielen Teilnehmenden, dass sie abgebrochen wurde.

An dem Potsdamer Treffen im November 2023 hatten neben Politiker*innen von AfD und CDU unter anderen der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, teilgenommen. Sellner hatte dort nach eigenen Angaben über sogenannte Remigration gesprochen. Wenn Rechtsextremist*innen den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Eine große Menschenmenge steht am Jungfernstieg. Man sieht viele unterschiedliche Flaggen.
Am Sonntag könnten wieder Tausende in Hamburgs Innenstadt demonstrieren. Foto: Lisa Scheide

Vosgerau bestreitet Plan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger

CDU-Mitglied Vosgerau wirft „Correctiv“ nach Angaben seines Anwalts vor, in der Berichterstattung den Eindruck erweckt zu haben, bei dem Treffen sei es um Pläne zur Ausweisung deutscher Staatsbürger*innen gegangen. Nach Vosgerau sei dies falsch und stelle damit eine falsche Tatsachenbehauptung dar. Über die Passage: “An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können.“ muss nun die Pressekammer des Landgerichts Hamburg urteilen.

Diese Formulierung habe dazu geführt, dass andere Medien in der Folgeberichterstattung eine Diskussion über eine „Ausbürgerungsidee“ als Tatsache dargestellt hätten, wogegen Vosgerau bereits mehrfach erfolgreich gerichtlich vorgegangen sei, so Brennecke.

Trotz Klage – „Correctiv“ steht hinter Recherche

Bislang habe Vosgerau gegen die Kernaussagen des „Correctiv-Berichts nur nicht geklagt, da sich die gewählte Formulierung an der Grenze zwischen einer Wertung – also einer zulässigen Meinungsäußerung – und einer Falschbehauptung bewege. Dies stelle sich im Lichte der erfolgten gerichtlichen Entscheidungen nun anders dar.

„Correctiv“-Chefredakteur Justus von Daniels sagte, die Klage sei noch nicht offiziell zugestellt, man warte die genaue Formulierung der Kläger ab. Aber er steht weiter hinter der Recherche: „Es bleibt dabei: Auf dem Treffen ging es um die Vertreibung von Millionen Menschen, auch „nicht assimilierten“ Staatsbürgern.“

Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung

Bei presserechtlichen Verfahren geht es in der Regel um eine Abwägung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Meinungsäußerung. Der Schutz der Meinungsäußerung ist sehr weit gefasst. Dagegen gerichtlich vorzugehen ist deutlich schwerer als gegen eine Tatsachenbehauptung. Bei solch einer Behauptung ist das Medienhaus in der Beweispflicht, dass die berichteten Behauptungen stimmen.

Ein*e Journalist*in darf zum Beispiel nicht berichten, dass einer Umfrage zufolge Gendern die deutsch Sprache verschlechtere, solange es keine Umfrage gab. Als Kommentar wäre der Beitrag zulässig. In dem Beispiel klingt diese Abwägung offensichtlich, bei presserechtlichen Verfahren ist dies meist deutlich komplizierter.

Sellners „Remigrationszielgruppe“

Was bei dem Potsdamer Treffen im Einzelnen besprochen wurde, ist nicht unabhängig zu überprüfen. In öffentlichen Äußerungen bezog Sellner „Remigration“ nicht nur auf Asylbewerber und Ausländer, sondern auch auf deutsche Staatsbürger*innen. So schreibt Sellner in seinem 2024 erschienenen Buch „Remigration – Ein Vorschlag“: „Die dritte Kategorie der Remigrationszielgruppe betrifft eingebürgerte Migranten, die sich nicht assimilieren wollen oder können und eine Belastung für die Gesellschaft darstellen.“

Schon heute trete in bestimmten Fällen der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ein, „dies kann gesetzlich auf weitere Fallgruppen erweitert werden“, schreibt Sellner. „Von den zwölf Millionen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund (Stand 2022) sind vermutlich zwischen 2,6 und 4,3 Millionen Doppelstaatler. Gerade wenn Doppelstaatler einer Zielgruppe der Remigration angehören und entsprechende Probleme verursachen, ist gegebenenfalls die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft anzudenken.“

Klage gegen preisgekrönte Recherche eingereicht

Die Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ von „Correctiv“ gewann diverse Preise. Unter anderem hat Netzwerk Recherche den Leuchtturm-Preis für besondere publizistische Leistungen 2024 an „Correctiv“ vergeben. Auch das Medium Magazin hat die an der Recherche beteiligten Journalist*innen als Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2024 ausgezeichnet.

tog/dpa

Till Tognino, Jahrgang 2000, auf Bumble auch als der Junge mit dem „Colgate Lächeln“ bekannt, wollte eigentlich Goldschmied werden. Am Ende wurde es dann aber doch ein Journalismusstudium in seiner Heimat Magdeburg. Und siehe da - it’s a match. Seitdem schmiedet Till statt Goldketten lieber pointierte Texte. Mal für das MDR Fernsehen, dann für namibische Radiosender oder eine deutschsprachige Wochenzeitung in Spanien. Als selbsternannter „Politik-Nerd“ konnte er schon mit 13 alle Minister*innen aus Angela Merkels damaligem Kabinett aufzählen. Wenn er nicht gerade jemandem erklärt, was ein Überhangmandat ist, fotografiert er gerne. Lieblingsmotive: Papageien und Frösche aus Costa Rica, wo er acht Monate lang in einem Nationalpark gearbeitet hat. Kürzel: tog

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