Vom digitalen Zwilling eines Apfelbaums bis zu KI-gestützten Prognosen für Ernte und Krankheitsbekämpfung. Das Projekt Samson will mithilfe von Digitalisierung den Obstanbau effizienter und nachhaltiger gestalten.
Foto: Simon Laumayer
Im Alten Land kämpfen Obstbäuer*innen gegen den Klimawandel und sinkende Erträge. Das Projekt Samson setzt dabei auf digitale Lösungen, um diesen Herausforderungen entgegenzuwirken. Mithilfe von innovativen Technologien wie digitalen Zwillingen von Bäumen und autonomen Fahrzeugen sollen Ressourcen gespart und der Obstanbau optimiert werden. Durch die präzise Erfassung und Analyse jedes einzelnen Apfelbaums wollen Forscher*innen und Landwirt*innen gemeinsam Lösungsansätze finden.
Samson – das steht für Smarte Automatisierungssysteme und -services für den Obstanbau an der Niederelbe. Mit der Niederelbe ist das Alte Land gemeint, welches das größte, zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas ist.
Digitalisierung im Obstanbau
Zu milde Winter und niedrige Supermarktpreise sorgen für einen Ertragsrückgang im Obstanbau. Viele Supermärkte bieten neben regionalen Produkten aus Deutschland auch Obst aus dem Ausland an – und das zu deutlich niedrigeren Kilopreisen. So auch Äpfel. Apfelbäuer*innen im Alten Land kämpfen jedes Jahr erneut ums Überleben. Aufgrund von unnatürlich hohen Temperaturen in der kalten Jahreszeit fangen die Apfelbäume früh an zu blühen. Kommt dann jedoch noch einmal der Frost, sorgt der Temperaturabsturz für erhebliche Schäden an den Apfelblüten. Schuld daran ist der Klimawandel.
Die Obsthöfe würden immer größer werden, da immer weniger Bäuer*innen dem Preisdruck standhalten könnten, so Peer Stelldinger, Professor für Theoretische Informatik, Bildverarbeitung und Maschinelles Lernen an der HAW. Die Obstbäuer*innen seien gezwungen, ihre Obsthöfe abzutreten. Oft würden dann benachbarte Landwirte die Höfe übernehmen. Weiter erklärte Stelldinger: „Die Schwierigkeit, die dadurch erwächst, ist, dass der einzelne Obstbauer gar nicht mehr den gesamten Obsthof in allen Einzelheiten beobachten kann und damit auch keinen Überblick mehr hat, wie die einzelnen Bäume sich verhalten.”
Um diesen fehlenden Überblick auszugleichen und Obstbäuer*innen zukünftig zu unterstützen, nutzt das Team des Projektes Samson entsprechende Technologien. Jeden einzelnen Baum digital zu erfassen soll es möglich machen, die Bedürfnisse der Bäume herauszufiltern und gezielt reagieren zu können.
Moritz Hentzschel, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projektes, testet die sensible Technik im Esteburg Obstbauzentrum Jork. „Wir hier an der Esteburg beraten die anderen Projektpartner*innen. Wir nehmen die Daten auf und bieten die entsprechende Infrastruktur.” Vor Ort befinden sich sowohl verschiedene Versuchsparzellen als auch unterschiedliche Apfelsorten. Beispielsweise erfolgt das Erfassen eines digitalen Zwillings mithilfe einer Sensorbox, die die Daten von jedem einzelnen Apfelbaum sammelt.
Die HAW als Projektpartner
Die HAW Hamburg übernimmt zwei Schwerpunkte im Projekt, wie Stelldinger – einer der Projektverantwortlichen – erklärt: „Der eine Schwerpunkt ist die bildbasierte Auswertung der Obstbäume. Das heißt, die Obstbäume werden mithilfe von Videokameras erfasst und dann katalogisiert, sodass man letzten Endes eine Art digitalen Zwilling für jeden einzelnen Obstbaum auf dem gesamten Hof hat.” Der zweite Bereich liegt in der Entwicklung von Prognosemodellen. Mit diesen könne man langfristige Entwicklungen vorhersagen und entsprechende Maßnahmen ableiten.
Bei dem Projekt Samson geht es darum, mithilfe von Digitalisierung den Obstanbau im alten Land zu unterstützen.
Auch Studierende der HAW Hamburg können sich an dem Projekt beteiligen. Beispielsweise nutzen interessierte Student*innen das Projekt als Teil ihrer Abschlussarbeit, so Stelldinger. Weitere Projektpartner*innen sind das Esteburg Obstbauzentrum Jork, das Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung, die Technische Universität Hamburg und die Hochschule 21 in Buxtehude.
Anwendungsfelder im Projekt Samson
Individuelle Maßnahmen an jedem einzelnen Baum durchzuführen, ist eines der Hauptziele von Samson. Ein weiteres Ziel ist es, die Technologie so umzusetzen, dass sie möglichst einfach nutzbar ist. Sieben Anwendungsfelder stehen dabei im Fokus:
- Apfelqualität: Ein spezielle entwickeltes Tracking-System bewertet nach der Ernte die Apfelqualität, um zu sehen, inwieweit Bewässerung und Pflanzenschutz den Ertrag beeinflussen bzw. beeinflusst haben. Zuerst werden die Äpfel erfasst, danach mithilfe von KI-Analysemethoden analysiert. Anschließend bewertet man die Daten, um den nächsten Zyklus entsprechend zu optimieren.
- Autonome Fahrzeuge: AurOrA steht für Autonomer Obstplantagenhelfer Altes Land und ist der Name eines autonomen Roboters. Er kann Apfelkisten sowie einen Standard-Wassertank (circa 1000 Liter) transportieren und so einzelne Bäume gezielt bewässern. Dies beschleunigt unter anderem den Ernteprozess. Dadurch entsteht eine höhere Effizienz und der Arbeitsaufwand verringert sich. Das System verfügt über diverse hochmoderne Sensoren, wie beispielsweise einen Ultraschallsensor.
- Digitaler Zwilling: Obstbäuer*innen können fortan den Lebenszyklus ihrer Anbausysteme überwachen und anhand von Fotos analysieren. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz erhält jeder einzelne Apfelbaum einen digitalen Zwilling, wodurch anschließend automatisch der jeweilige Gesundheitszustand ermittelt wird.
- Wetterstationen: Die entwickelte Technologie ermöglicht es Obstbäuer*innen, das Wetter in Echtzeit zu überwachen und ihre Anbaumethoden anzupassen. Sie liefert präzise Daten zu Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Niederschlag und Wind, um Bewässerung, Schädlingskontrolle und Erntezeiten zu optimieren.
- Frostschutz: Obstbäuer*innen können mithilfe der Wetterstationen in Echtzeit überwachen, wann und wie viel Wasser einzelne Felder benötigen und die Bewässerung automatisch anpassen. Dies erfolgt durch Pumpen, die mit einem smarten Farm-Managementsystem verbunden sind. So erkennen die Obstbäuer*innen eine Frostgefahr frühzeitig und können entsprechend dagegen vorgehen.
- Vorhersagemodelle: Zum Einsatz kommen prädiktive und präskriptive Analysemethoden, um akkurate Prognosen zu erhalten. Dabei werden Faktoren wie Wetter, Umwelt und Schädlinge berücksichtigt. Ein Ziel dabei ist es, Landwirt*innen Handlungsempfehlungen zu geben, die mithilfe von transparenten und nachvollziehbaren Ergebnissen, unterstützt durch Explainable AI, erfolgen. Explainable AI wird dafür genutzt, die Arbeitsweise und Entscheidungen von KI-Modellen für Menschen transparent und nachvollziehbar zu erläutern.
Prädiktive Analysen sagen voraus, was passieren könnte (z.B. zukünftige Verkaufszahlen oder mögliche Ausfälle). Die prädiktive Analyse bildet eine Grundlage für die präskriptive Analyse.
Präskriptive Analysen empfehlen, was als Nächstes zu tun ist, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen (z.B. Optimierung von Beständen oder Auswahl der besten Marketingstrategie).
- Schadeinflüsse: Als Forschungsgrundlage dienen Schädlingen und Krankheiten, die für den Menschen gut sichtbar sind. Beispiele sind Obstbaumkrebs, Apfelmehltau und Blutlaus. Die optischen Sensorsysteme nehmen äußere Auffälligkeiten wahr, wodurch die KI-Auswertung perspektivisch eine bessere Schaderkennung besitzt. Das System generiert anschließend individuelle Empfehlungen für die einzelnen Bäume.