Die Mehrheit der Hamburger Bevölkerung hat „Nein” gesagt zum Test eines Grundeinkommens. Trotzdem muss Armut debattiert werden. Dafür fehlen aber die Voraussetzungen und Verständnis für verschiedene Lebenssituationen. Ein Kommentar von Antonia Telgmann und Anny Norma Schmidt.
Der Modellversuch für ein Grundeinkommen hätte für 2.000 Leute eine tiefgreifende Veränderung sein können – und für weiteren Millionen Menschen ein empirischer Erkenntnisgewinn. Über 37 Prozent Der Hamburger:innen stimmten für den Versuch 2000 Menschen eine Zeit lang durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu unterstützen. Doch der Modellversuch wurde abgelehnt. Fast 63 Prozent stimmten gegen „Hamburg testet Grundeinkommen”. Damit wurde eine Chance vertan.
Neue Erkenntnisse über die Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens wären wertvoll für Hamburg gewesen. Sie hätten die Debatte über Armutsbekämpfung in der Stadt und in Deutschland bereichert. Gerade hier in Hamburg, wo sich so viele Menschen über Bettelnde in S- und U-Bahnen beschwerten, dass der HVV seit letztem Jahr mit Geldstrafen gegen das Betteln vorgeht und sein Bettel-Verbot härter durchsetzt. Es fehlt immer mehr an Empathie oder an Bereitschaft, die Auswirkungen von Armut überhaupt wahrzunehmen. Dabei zeigt das vermehrte Betteln doch nur, wie vielen Menschen es in Hamburg so schlecht geht, dass sie fremde Personen ansprechen, ihre Lebensumstände offenlegen und um Geld bitten müssen. Hamburg hat ein Problem mit Armut.
Jede*r Fünfte gilt hier als armutsgefährdet (19,5 Prozent als Median, also der mittlere aller Werte). Damit liegt Hamburg laut den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder im Vergleich zwischen Großstädten im im Mittelfeld. Vergleicht man die Bundesländer, hat Hamburg den zweithöchsten Wert, nur übertroffen von Bremen. Was zeigt, dass Armut vor allem in Städten ein Problem ist. Nicht nur in Hamburg brauchen Menschen auf der einen Seite Unterstützung und auf der anderen Prävention.
Studien zeigen: Der Zugang zu guter Bildung minimiert das Armutsrisiko. Doch auch wenn das Hamburger Bildungssystem insgesamt in Deutschland gut abschneidet, liegt der Stadtstaat beim Thema „Bildungsarmut“ unter dem Durchschnitt. Bildungsarmut bedeutet, dass Menschen keine abgeschlossene Schulbildung haben. Und ohne einen anerkannten Abschluss haben sie in Deutschland deutlich erschwete Bedingungen, einen Job zu bekommen, der sie aus der Armut bringt.
Es fehlt das Verständnis für Armut
Beim CDU-Parteitag in Niedersachsen im August fragte sich Friedrich Merz, warum Menschen statt 520 Euro nicht lieber 2.000 Euro verdienen. An Bildungsarmut könnte es liegen. Oder an Krankheit oder an fehlender Unterstützung seit dem Kindesalter. Gründe für Armut sind vielfältig. Und ja, der Bundeskanzler ist dafür bekannt, solche anmaßenden Statements einfach mal so rauszuhauen (siehe Stadtbild-Debatte). Trotzdem: Seine Aussagen zeigen, wie wenig Verständnis Merz für Menschen in Armut hat. Und wie wenig er die Gründe und die Auswirkungen von Armut erkennt, wenn sie sich ihm zeigen.
Aussagen wie die des Bundeskanzlers stellen die Situation von Menschen in Armut auf gefährliche Weise vereinfacht und falsch dar. Daraus kann Unverständnis auf Seiten Nicht-Betroffener entstehen, sogar Abneigung. Beim Volksentscheid hatten Hamburger*innen die Chance, eine klare Richtung zu Schutz vor Armut zu einzuschlagen. Sie haben sich aber dagegen entschieden. Und damit auch gegen neue empirische, also durch Beobachtung gewonnene Erkenntnisse für eine gute Armuts-Debatte in der Politik.
Bis auf die Linke haben sich alle Parteien in der Hamburger Bürgschaft dagegen ausgesprochen, das bedingungslose Grundeinkommen zu testen. Parallel zum Abstimmungszeitraum des Volksentscheides in Hamburg machten sich Merz und die CDU/CSU wieder für eine Verschärfung des Bürgergelds stark. Zusammen mit Koalitionspartnerin SPD, die diese Verschärfung mitträgt. Das hinterlässt ein bitteres Gefühl. Wegsehen, kürzen und kriminalisieren löst Hamburgs (und Deutschlands) Armutsproblem nicht. Wir sollten weiter über Armut debattieren, denn sie lässt sich nicht einfach verbieten.







