Seit dem 31. Mai findet in Hamburgs weiterführenden Schulen wieder Präsenzunterricht statt. Wir wollten wissen, wie es sich anfühlt, nach Monaten des Fern- und Wechselunterrichts wieder dem normalen Schulalltag nachzugehen. Zwei Schülerinnen und ein Lehrer berichten von ihrem Alltag nach der Schulöffnung.
Von Ole-Jonathan Gömmel und Mia Holland
Die 17-jährige Flora besucht die elfte Klasse, ihre 15-jährige Schwester Juno die neunte Klasse des Gymnasiums Lerchenfeld im Stadtteil Uhlenhorst. Beide sind sehr froh, wieder am Präsenzunterricht teilnehmen zu können – auch wenn von einem “normalen” Schulalltag noch keine Rede sein kann.
Ein Stück weit weg von der Normalität
Flora: “Bevor der Präsenzunterricht losging, bin ich nur zu wichtigen Anlässen wie beispielsweise Klausuren in die Schule gegangen. Jetzt freue ich mich wirklich sehr, dass wir wieder in Präsenz lernen. Ich kann mich da viel besser konzertieren. Und obwohl man über ein halbes Jahr nicht in dieser Situation war, fühlt es sich angenehm vertraut an, mit der gesamten Klasse im Raum zu sitzen. Es fühlt sich auf jeden Fall normaler an als der Online-Unterricht.
So wie vor Corona fühlt sich der Unterricht allerdings noch nicht an. Weil an unserer Schule Bauarbeiten gemacht werden, ist die gesamte Oberstufe ein bis zwei Kilometer entfernt in eine Berufsschule verlegt worden. Das ist total komisch. Da ist auch niemand außer uns, die Flure sind alle so leer. Und die ganzen kleinen Flitzer, also die Fünftklässler, die sonst so viel herumlaufen und herumschreien, sind alle nicht da. Ich mochte das immer total gerne.
Aber dadurch sind die Corona-Regeln auch nicht so streng. Wir müssen uns zweimal die Woche testen, aber die Masken nehmen wir auf dem Hof alle ab. Da ist echt viel Platz, weil wir wenig Leute sind. Das liegt auch daran, dass nicht alle die Präsenzpflicht wahrnehmen. Die ist ja noch von der Schulbehörde aufgehoben. Dadurch haben wir häufig organisatorische Probleme. Wenn pro Klasse nur zwei Schüler online am Unterricht teilnehmen, dann muss das für diese zwei organisiert werden. Aber das machen nur manche Lehrer, manche machen es nicht.
Wir sind echt noch ein Stück weit weg von der Normalität, wie sie vor Corona war. Auch die Lehrer sind noch sehr unkoordiniert. Die müssen ja im Moment vom Hauptgebäude zu dem Gebäude der Berufsschule pendeln. Da geht viel Unterrichtszeit verloren. Aber wenn der Unterricht stattfindet, dann fühlt es sich schon recht normal an. Es melden sich immer noch die gleichen Leute, es fehlen immer noch die gleichen Hausaufgaben. Der Unterricht selbst renkt sich also recht schnell wieder ein.”
Toleranz und Respekt als Schlüssel
Juno: “Ich konnte mich sehr schlecht zu Hause konzentrieren. Mir hat einfach der feste Rhythmus gefehlt: täglich aufstehen, in die Schule gehen, einen festen Zeitplan haben – die Lern-Atmosphäre ist dann viel besser. Zu Hause macht man halt doch viele andere Sachen. Ich bin beispielsweise häufig spät aufgestanden und habe die Dinge auf den letzten Drücker gemacht.
Vor dem Präsenzunterricht hatte ich bereits einige Zeit Hybrid-Unterricht. Das heißt, die Hälfte der Klasse war anwesend. Seit Montag sind wir wieder alle da. Das war erstmal komisch, alle meine Mitschüler wiederzusehen. Und es ist alles noch etwas unorganisiert. Die Lehrer sind halt auch noch etwas durcheinander.”
Flora: “Ja, das stimmt. Aber ich denke mir auch immer, dass es momentan echt ok ist. Es ist einfach für jeden Einzelnen, alt oder jung, total nervig. Und man kann auch auf Keinen sauer sein. Ich versuche auch, den Lehrern respektvoll gegenüber zu sein, die haben es nicht weniger schwer als ich. Und letztendlich wollen wir alle die Normalität zurück. Da hoffe ich einfach auf das nächste Schuljahr.”
Die Suche nach der Arbeitshaltung
Für den 39-jährigen Markus Wendt* begann die Woche trotz Schulöffnung etwas ruhiger. Er ist Lehrer einer neunten Klasse an einer Stadtteilschule im Hamburger Osten:
Markus: “Mit der Schulöffnung am Montag begann für die Schüler:innen meiner Klasse ihre dreiwöchige Praktikumszeit. Meine ersten Schultage bestanden daher hauptsächlich daraus, mit Betrieben aus der lokalen Fußgängerzone zu telefonieren, um den Schüler:innen einen Platz zu besorgen, die noch keinen gefunden hatten. Die Suche gestaltete sich anfangs schon etwas schwierig – durch die Schulöffnungen und die neuen Lockerungen waren Betriebe diese Woche aber nun doch aufgeschlossener gegenüber Praktika. Bis auf vier Schüler:innen hat nun jede:r einen Platz bekommen.
Ich selber genieße aktuell die Stimmung an der Schule. Im Lehrerzimmer herrscht eine auffällig gute Atmosphäre und auch die Mensa ist wieder zum Leben erwacht. All das macht mir Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Besonders freue ich mich darauf, einige Schüler:innen besser kennenzulernen.
Ich unterrichte beispielsweise seit letztem Jahr einen Oberstufenkurs, den ich bis jetzt fast ausschließlich mit Maske gesehen habe. Wenn es bald vielleicht wieder möglich ist, diese an den Plätzen abzunehmen oder mal gemeinsam rauszugehen, würde mir das für meinen Unterrichtsstil auf jeden Fall helfen.
Generell ist es so, dass an unserer Schule nun jedoch erst einmal die zwischenmenschlichen Beziehungen im Fokus stehen. Bedeutet: Wir starten jetzt nicht direkt mit Unterricht oder drücken den Schülern vor den Sommerferien noch Tests rein. Unser Ziel ist es, dass sich alle wieder an das Umfeld Schule, die Mitschüler:innen und Lehrkräfte gewöhnen und das Ganze dann vielleicht auch bald wieder genießen können.
Um den Alltag nach den Sommerferien wieder einigermaßen normal zu meistern, denke ich, dass viele Schüler:innen und auch Lehrer:innen ihre Arbeitshaltung wiederentdecken müssen. Dieses Gefühl, nichts gebacken zu bekommen, dass während des Fern- und Wechselunterrichtes echt häufig vorkam, hat diesbezüglich doch einige Spuren hinterlassen.”
*Name geändert