Ob Schanze, Altona oder Wilhelmsburg – Hamburg ist voller Kunst. Wir alle kennen sie, wir alle sehen sie. Und zwar nicht nur in Galerien und Museen, sondern auch auf der Straße. Eine Reportage über zwei Street-Artists und das Recht auf Mitgestaltung.
In dem Raum riecht es nach frischer Farbe und der Geruch von Lack beißt in der Nase. Auf einem großen, bunt verschmierten Holztisch stehen Behälter mit Acrylmarkern. In einer Ecke stapeln sich Getränkekisten, befüllt mit Spraydosen jeglicher Farbe. Die Wände sind voller Sticker, überall hängen kleine Kunstwerke, viele davon findet man auch auf Hamburgs Straßen wieder.
In dem Atelier des Street-Art-Duos HalloKarlo wird gesprayt, geklebt, modelliert und installiert. Der Raum in der Rindermarkthalle wird von vielen Künstler*innen gemeinschaftlich genutzt. Am Ende des Raumes steht Karlo, angelehnt an ein offenes Fenster und dreht sich eine Zigarette. Karlo ist ausgebildeter Erzieher. Während der Ausbildung hat er seinen heutigen Künstlerpartner kennengelernt. Mittlerweile arbeiten das Duo seit 15 Jahren zusammen. Angefangen habe alles mit einem grimmig schauenden, weißen Kater, erzählt Karlo. Damals sei Hello Kitty überall gewesen. Als Antwort darauf haben sie immer diesen Katerkopf gezeichnet. Heute bringen sie neben ihrem Markenzeichen auch weitere Motive auf die Straße. Und warum machen Sie das?
Meine Stadt, mein Bezirk, mein Zuhause, mein Block
„Wir wollen mit unserer Kunst das Stadtbild mitgestalten“, sagt Karlo und pustet Zigarettenrauch aus dem Fenster. „Neben der Freude an dem Tun, haben wir auch ein Recht auf Stadt.“ Diesen Anspruch haben eigentlich fast alle Künstler*innen, die auf die Straße gehen. Schließlich ginge es auch um den Aspekt, dass in der Gesellschaft keiner gefragt werde, was wir im öffentlichen Raum zu sehen bekommen. Großflächenplakate von Fairtrade Schokolade an den U-Bahnstationen, Online-Dating-Reklame an der Litfaßsäule oder folierte Linienbusse mit Gesundheitsempfehlungen: Werbung sei das perfekte Beispiel dafür.
„Ich will mein Viertel mitgestalten, ich will, dass die Menschen unsere Sachen sehen, sie stehen bleiben. Ich will ein Output haben, der Menschen dazu bewegt, sich Gedanken zu machen, die fernab sind vom Mainstream und der Werbung.“
Karoviertel, Wilhelmsburg oder Ottensen – egal im welchem Stadtteil, die Orte für Kunst, sagt Karlo, seine mal gezielt, häufig jedoch willkürlich ausgesucht. Dennoch mit der Hoffnung, dass die Leute darauf aufmerksam werden.
Karlo drückt seine Zigarette aus und zeigt mit einer kurzen Kopfbewegung auf einen Entwurf, der hinter ihm in der Ecke steht. Ein Graffiti. Der Malgrund besteht aus Holz. Das Bild zeigt eine Bombe. Neben der Bombe liegt ein Totenkopf und im Hintergrund wächst ein riesiger Blumenstrauß. Diese Bombe sei ein Motiv von HalloKarlo, sagt er, und stehe sinnbildlich für den Szenenbegriff „Bombing“, also einen Marker setzen. „Vergleichbar wie mit einem Hund, der durch die Straßen geht und an jeden Baum pinkelt, um so sein Revier zu markieren.“
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Sich Gehör verschaffen
Eine Woche zuvor. Schanze. Street-Art-Künstlerin Fraujule* sitzt auf einer Holzbank vor einem Wohnhaus. Sie trägt ein schwarzes St.-Pauli-Totenkopfshirt, in der Hand hält sie eine Tasse Kaffee. Auch für sie ginge es darum, sich Gehör zu verschaffen und die Viertel, die Straßen, in denen man sich bewege, mitzugestalten.
Fraujule* bringt alte Porzellanteller mit Botschaften an Hausfassaden an. Botschaften wie „Liebe ist ein Tuwort“, „Kein Mensch ist illegal“ oder „Art is not a crime“. Street-Art sei eine Chance, um Verbindungen zu schaffen. Denn Kunst finde draußen statt und sei so für Menschen sichtbar und zugänglich, sagte Fraujule*. „Es ist jedes Mal eine kleine Revolution im öffentlichen Raum. Egal, mit welcher Intention, ich greife in einen Raum ein, und das ist weder von der Stadt noch von Gesellschaft geplant oder abgestimmt.“
Verboten schön: Vandalismus oder Kunst?
Egal ob ein festgeklebter Teller oder eine an die Hauswand gesprayte Katze. Street-Art kann in manchen Fällen verboten sein und als Sachbeschädigung gelten. „Es gibt viele Grauzonen, aber ein Szenestadtteil lebt davon, dass es bunt ist. Das Stadtbild dieser Viertel ist geprägt von Street-Art“, so Karlo.
Wie Hamburg mit Graffitis umgeht: Nach Angaben der Stadtreinigung Hamburg werden Kunsterwerke und Graffitis die rassistische, sexistische, homophobe oder nicht Gesetzes konforme Inhalte zeigen, umgehenden entfernt – wenn sie von Fachkräften endeckt oder gemeldet werden. Weitere Reinigungen finden nach Auftrag der einzelnen Bezirke statt. Für Motive auf privaten Grund müssen die Eigentümer*innen sich eigenständig kümmern.
Menschen, die an bemalten Wänden vorbeilaufen, reagieren sehr unterschiedlich. Die einen freuen sich über die Kunstwerke oder wünschen sich sogar explizit ein Motiv auf ihrer eigenen Hauswand. Die anderen wiederum beschweren sich über die „Beschmutzung“, demontieren oder übermalen die Bilder, erklärt Karlo: „Im Endeffekt liegt der Wert dieser Kunst immer im Auge des Betrachters. Nach dem Motto: Ist das Kunst oder kann das weg?“
Im Allgemeinen dulde die Stadt Hamburg sehr viel: „Es gibt genug Wände und Spots, die seit Jahren bestehen. Würde die Stadt wollen, dass alles grau und sauber ist, würden sie sich viel aktiver für eine Reinigung einsetzen.“ Die Kunst und die Szene sei auch wertvoll für die Stadt, so Karlo. Aus seiner Sicht mache sie Hamburg ein Stück weit attraktiver. Trotzdem komme es immer auf das Motiv und den Ort an.
Street-Art bringt uns allen etwas
Der Begriff Street-Art beschreibt eine Kunstform im öffentlichen Raum und umfasst verschiedene Stilrichtungen sowie Techniken. Ihr Ursprung liegt in der Graffiti-Bewegung der 1970er Jahre in New York. Street-Art ist auch in sofern politisch, als das Künstler*innen sich das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe rausnehmen und öffentlichen Raum ungefragt mitgestalten. Häufig verweisen die Inhalte auf gesellschaftspolitische Misstände.
Street-Art bringt nicht nur Kunst, sondern Themen auf die Straße. Nicht immer, aber meistens. Karlo legt eine handvoll Sticker auf den Tisch. Die Motive zeigen die Karlo-Katze und ein Dreiecks-Männchen, das eine Flagge mit der Aufschrift „FCK NZS“ hält.
Kunst auf der Straße passiert oft am Rande der Legalität und ist eine Form der Selbstermächtigung: „Der Ursprung von Street-Art war schon immer politisch. Alleine durch die Intention, etwas mitzugestalten. Egal, ob bewusst oder unbewusst.“, so Karlo.
Auf dem Laptop von Annika Eifert, Jahrgang 1999, sind schon viele Flüssigkeiten gelandet – Kaffee, Früchtetee, Nagellackentferner. Die gebürtige Hessin studierte in Erfurt Kommunikationswissenschaft und Management. Während dieser Zeit leitete sie das Non-Profit-Onlinemagazin „UNGLEICH“, das die Lebensqualität im Osten hervorhebt. Ein Praktikum im Social-Media-Team von „OMR 5050“ brachte sie schließlich nach Hamburg. Sie selbst nennt sich „TikTok Opfer“ und ist für jeden Trend zu haben. Bildschirmzeit? Bleibt ihr Geheimnis. Ihr Laptop ist immer noch in ständiger Gefahr – und deshalb gut versichert. Kürzel: ika