Die Ladenfront einer ehemaligen Fleischerei in Eimsbüttel. In den Fenstern hängen Plakate für ein Yogastudio, das mittlerweile seinen Platz eingenommen hat.
Die ehemalige Traditions-Fleischerei Wagner musste nun einem Yogastudio weichen. Foto: Simon Laumayer

Hohe Mieten, Online-Boom, und, so klagen die Händler, zu wenig Unterstützung von der Stadt: Hamburgs Einzelhandel steckt in der Krise. Auch im Stadtteil Eimsbüttel müssen immer mehr Läden dichtmachen. Ein Besuch vor Ort.

Eine Straßenecke in Hamburg Eimsbüttel. Die Außengastronomie eines Croque-Restaurants ist mit schlichten, mattgrauen und akkurat platzierten Tischen bestückt. Darauf verteilt liegen elegant designte Menükarten. Der Bereich wirkt sorgsam kuratiert und ist fein säuberlich durch Blumenkübel abgegrenzt. Einen halben Meter weiter nach links reicht bis kurz vor die Gehwegkante ein wildes Sammelsurium an Leder- und Jeanswaren. Schwere Lederjacken, alte Levis-Jeans, auf Hochglanz polierte Stiefel. Es riecht nach alter Kleidung und ein wenig nach gebackenem Käse – von nebenan.  

Mittendrin in diesem Wimmelbild sitzt Helmut Hofer, Besitzer des Ladens OK Leder, auf einem schwarzen Klappstuhl. Er wirkt müde. Kundschaft ist gerade keine da. Dass jemand ein Interview mit ihm führen will, scheint den 80-Jährigen kaum zu überraschen. In den 90ern, erzählt Hofer, war er schon einmal in den Medien. Damals wurde er für fast ein Jahr als Staatsgeisel im Iran festgehalten. Sogar das amerikanische Fernsehen habe darüber berichtet, erzählt er, mit einem Anflug von Stolz im Gesicht.   

 “Neu, alt und antik”  

Doch das ist lange her. Seither ist das Leben des ehemaligen Geschäftsmannes ruhiger geworden. Sein Laden befindet sich in bester Lage, wenige Gehminuten von der Osterstraße entfernt, dem Zentrum und Herz Eimsbüttels. Seit fast einem Vierteljahrhundert verkauft er hier Jacken aus Leder, Markenjeans und Schuhe. „Neu, alt und antik“, beschreibt er das Konzept seines Ladens. 

Zwei Einzelhändler aus Hamburg. Links sitzt ein Mann vor seinem Leder-Laden, rechts steht ein Mann in seinem Brillengeschäft.
Die Eimsbütteler Einzelhändler Helmut Hofer (links) und Karsten Maaß (rechts) vor ihren Läden. Foto & Montage: Simon Laumayer

Als Hofer das Geschäft Anfang 2000 übernahm, sah er in der attraktiven Lage und dem günstigen Mietpreis einen guten Deal. Seitdem hat sich das Viertel stark verändert. Der Bevölkerungsstand im Bezirk ist auf ein Rekordhoch angewachsen, die Mietkosten für Wohnungen und Ladenflächen sind drastisch gestiegen. Immer mehr Ladengeschäfte können sich die hohen Mieten nicht mehr leisten. Zuletzt musste mit der Fleischerei Hans Wagner bereits ein Traditionsbetrieb schließen. Den Platz hat nun ein Yogastudio eingenommen.

Der Umsatz? „War schon mal erheblich besser“

Hofer ist die teils prekäre Lage seiner Kolleg*innen bewusst. Das liegt seiner Meinung nach vor allem an der Profitorientierung vieler Vermieter*innen. „90 Prozent der Vermieter sind geldgierig, ‘moneyminded’“, findet er. Er selbst habe aber Glück. Den Mietvertrag zu guten Konditionen habe er schon lange und mit seinem Vermieter ließe sich reden.  

Dennoch könnte das Geschäft besser laufen. Die Leute, so Hofer, würden sich immer weniger für seine hochwertigen Lederwaren interessieren. „Es gibt günstige Kunstlederstoffe, die sind teilweise gar nicht mehr zu unterscheiden von Leder“, sagt er. Der Umsatz? „War schon mal erheblich besser“, gesteht Hofer und seufzt nachdenklich. Hinzu komme, dass er den Laden komplett allein betreibe. Für eine*n Angestellte*n würden seine finanziellen Mittel nicht ausreichen. Auch um seine Gesundheit mache er sich Sorgen. Er habe es mit der Niere, könne kaum noch schlafen.  

Lange, so Hofer, könne er den Laden nicht mehr behalten. Aktuell sei er auf der Suche nach einer Nachfolge. Angebote gibt es reichlich, aber Hofer hat einen speziellen Wunsch: In dem kleinen Laden in der Telemarkstraße sollen auch weiterhin Lederwaren verkauft werden.  

Einzelhändler kritisieren: Steigende Mieten, zu wenig Unterstützung

Wie schwer es kleine Einzelhandelsbetriebe in Eimsbüttel in den letzten Jahren hatten, weiß auch Christoph Thiele vom Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt Eimsbüttel. Das Zentrum ist Teil des Bezirksamts Eimsbüttel und eine Behörde der Stadt Hamburg.

Dass die Einzelhändler zu kämpfen haben, liege, so Thiele, neben dem Boom des Onlinehandels vor allem an den stark gestiegenen Mieten für Ladenflächen. „Viele Einzelhändler können sich ihren Laden nicht mehr leisten und müssen schließen“, sagt Thiele. Dass viele Immobilien mittlerweile von renditeorientierten Investmentfirmen vermietet werden, verschärfe die Problematik zusätzlich. Immer mehr Ladenflächen stehen leer. Allein von 2006 bis 2021 mussten über 80.000 Einzelhandelsbetriebe in Hamburg aufgeben, wie aus einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Studie zum Entwicklungspotenzial des Einzelhandels aus dem Februar hervorgeht. Dieses Jahr könnten laut Schätzungen des Handelsverbands Nord  weitere 150 hinzukommen, schreibt der NDR.

Die Stadt tue aktuell noch zu wenig zur Unterstützung des Einzelhandels, räumt Thiele ein. Viele Einzelhändler*innen hätten in den vergangenen Jahren das Vertrauen in die Politik verloren, fühlten sich alleingelassen. Dabei gäbe es laut Thiele auch Wege für die Einzelhändler*innen, selbst aktiv zu werden. Zum Beispiel in Interessengemeinschaften. Das sind Zusammenschlüsse von Einzelhandelsbetrieben in den Quartieren, die sich untereinander austauschen und ihre Anliegen gemeinsam an die Stadt tragen. „Da kann jeder Grundeigentümer in die Lenkungsgruppe. Und Lenkungsgruppe heißt lenken!“, betont Thiele. „Da kann man die Richtung mitsteuern. Aber meinen sie, das tut jemand? Das sind immer wieder dieselben Gesichter. Es interessiert keinen, oder es fehlt die Zeit.“   

“Wir werden ausgenutzt ohne Ende”  

Szenenwechsel. Ein grauhaariger Mann im hellblauen Hemd kramt in einer der unteren Schubladen eines Brillenregals und holt eine schlichte Lesebrille mit milchig weißem Rahmen hervor. Die Kundin ist sofort begeistert – die soll es sein! Etui? Brauche sie nicht, die nehme sie gleich so mit. 

Karsten Maaß heftet zufrieden den Beleg ab. So könnte es immer laufen bei Optik Daniel in der Osterstraße. Tut es aber nicht, so Maaß. Schuld daran ist in seinen Augen vor allem der Online-Handel. „Das Internet hat alles verändert. Der Preiskampf ist enorm groß und man ist immer teurer als das Internet.“ Große Ketten seien in der Lage, sich teilweise anzupassen. Als kleines Ladengeschäft könne man da aber einfach nicht mithalten.   

Viele Kund*innen kämen nur noch in seinen Laden, um Brillen anzuprobieren und sie danach günstiger online zu bestellen. „Wir werden ausgenutzt ohne Ende“, klagt Maaß. Dann ringt er sich ein kurzes Lächeln ab. Er wolle nicht so negativ klingen, aber es sei eben schwer.

Auf die Frage, ob er selbst mal mit dem Gedanken gespielt hätte, seine Brillen online anzubieten, winkt Maaß ab. Die dahinterstehende Logistik sei für einen Laden seiner Größe kaum zu stemmen und am Ende auch nicht profitabel. Er schicke auf Nachfrage gern auch Produkte zu, aber ein Internetshop mit allen Auflagen? „Kann ich nicht und will ich auch nicht.“  

Eimsbüttel früher: mehr Einzelhandel, weniger Gastronomie

Maaß hat das Ladengeschäft 2003 von seinem Vater übernommen. Insgesamt gibt es Optik Daniel schon seit über 100 Jahren. Früher, erinnert sich Maaß, sah das Viertel noch anders aus. Mehr Einzelhandel, weniger Gastronomie. Auch kannte man damals seine “Nachbarn”. Heute sei das anders: „In vielen Geschäften arbeiten nur noch Aushilfen. Die kennen mich nicht und ich muss sie auch nicht kennen.“  

Auf die Frage, ob er sich von der Stadt genügend unterstützt fühle, winkt Maaß ab: „Die Stadt unterstützt uns nicht. Die haben uns schon so viele Steine in den Weg geworfen. Man muss halt sehen, dass man irgendwie durchkommt.“ Er selbst sei froh, wenn er in Rente gehen könne. Für seine Branche hat er trotzdem einen Wunsch: Eine Steuer auf Pakete und das Ende von kostenlosen Rücksendungen im Onlinehandel.  

Wirtschaftsbehörde erarbeitet Förderprogramm  

Dass sich die Lage des Einzelhandels in Eimsbüttel verbessern müsse, liege auf der Hand, sagt Christoph Thiele. Das sei auch der Hamburger Wirtschaftsbehörde bewusst. Dort arbeite man bereits an einem Förderprogramm, in dessen Zentrum ein strategisches Quartiersmanagement stehen soll. 

Quartiersmanager*innen sind “Kümmerer*innen” in den Quartieren. Sie sind Ansprechstationen für Einzelhändler*innen und vermitteln zwischen ihnen und der Stadt.

So soll es mehr Mittel zur Finanzierung von Quartiersmanager*innen geben. Auch bessere Regelungen, um Leerstand zu vermeiden, sind vorgesehen. Ein Verbot von Rücksendungen oder eine Paketsteuer sind laut der Wirtschaftsbehörde allerdings kaum umsetzbar. Ob und wie die geplanten Maßnahmen dem Einzelhandel helfen können, bleibt abzuwarten. Fraglich ist auch, ob es OK Leder dann überhaupt noch geben wird. Karsten Maaß von Optik Daniel hat sein Fazit bereits gezogen: „Ich bin 56, nach mir die Sintflut“, sagt er. Von der Stadt jedenfalls erwarte er nichts mehr.

Simon Laumayer, Jahrgang 1992, ist mit 16 Jahren schon Schulmeister im Bouldern geworden. Seit seinem Bachelorstudium Kulturwissenschaften in Lüneburg verdient er sogar Geld damit - als Routenbauer in der Boulderhalle. Auch im Urlaub klettert der gebürtige Hamburger. In einem selbst ausgebauten Van, einem Gärtnermobil, geht es zu Felsformationen, am liebsten in die Schweiz. Als Pressesprecher hat Simon mehrere Jahre fürs Lüneburger Musik- und Kulturfestival “Lunatic” gearbeitet und für den “Rolling Stone” schon den Indie-Künstler Sam Fender interviewt. Privat dröhnt allerdings Hiphop aus den Boxen seines Vans.
Kürzel: sil

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