Demis Volpi hat schon viel von der Welt gesehen – und an etlichen Orten getanzt und choreografiert. Seit Beginn dieser Spielzeit ist er der neue Intendant des Hamburg Balletts und löst somit John Neumeier ab. Er verrät uns im Interview, wieso Tanz die Menschen zusammenbringt, und was das Ballett für ihn so besonders macht.
FINK.Hamburg: Du hast die Leitung des Hamburg Balletts übernommen. Was hat dich an dieser Entscheidung besonders gereizt?
Demis Volpi: Das ist eine einmalige Chance. Diese Kompanie mit ihren außergewöhnlichen Möglichkeiten zu leiten, bietet mir eine enorme Gelegenheit. Es bedeutet nicht nur, meine choreografische Arbeit weiterzuentwickeln, sondern auch die Ballettgeschichte aktiv mitzugestalten. Gleichzeitig möchte ich das Repertoire kontinuierlich erweitern und dabei einen lebendigen Austausch mit der Stadt Hamburg pflegen. Es unglaublich reizvoll, das Erbe von 51 Jahren unter der Leitung von John Neumeier weiterzuführen.
FINK.Hamburg: Was möchtest du von diesem Erbe beibehalten und wo siehst du Raum für eigene Interpretationen?
Demis Volpi: Interessanterweise geht es für mich gar nicht um Veränderung im klassischen Sinne, sondern vielmehr um Weiterdenken und Entwicklung. John Neumeiers Arbeiten haben immer den Menschen im Mittelpunkt, und dieser hat sich in den letzten 50 Jahren verändert. Was also unbedingt bewahrt werden muss, ist die Ehrlichkeit und Menschlichkeit, die Neumeier in seine Arbeit und in die Kompanie eingebracht hat. Ich finde es spannend, diesen Ansatz in anderen Tanzstilen zu entdecken und dem bestehenden Repertoire neue Perspektiven hinzuzufügen oder gegenüberzustellen.
„Ich möchte, dass das Publikum im Theater träumen und fühlen kann.”
FINK.Hamburg: Welche Rolle spielt Diversität im Ensemble?
Demis Volpi: Diversität auf und hinter der Bühne und im Ensemble und Programm ist natürlich etwas, woran wir kontinuierlich arbeiten müssen, damit sich jede*r darin wiederfinden kann. Das ist ein sehr vielschichtiger, komplexer Prozess, den wir auch strukturell auf unterschiedlichen Ebenen denken müssen. Denn es geht ja um weit mehr als äußere Erscheinungsmerkmale. Für mich gehört es da dazu, früh ansetzen und zum Beispiel stärker in Schulen zu gehen, um Kinder und Jugendliche zu erreichen, die vielleicht sonst keinen Zugang zum Ballett hätten. Wenn beim Vortanzen alle aus ähnlichen Hintergründen kommen, sehen sie natürlich oft auch ähnlich aus. Ich glaube, dass jeder Mensch, jedes Kind, mit Bewegung in Berührung kommen sollte.
FINK.Hamburg: Was ist deine Vision für das Hamburg Ballett in den nächsten Jahren?
Demis Volpi: Ich habe mir vorgenommen, dass wir auf der einen Seite weiterhin narrative Ballettstücke schaffen, die den Menschen Geschichten nahebringen. Aber ich möchte auch neue Tanzsprachen erforschen, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren. Die Qualität des Tanzes muss dabei immer an oberster Stelle bleiben. Ich möchte, dass das Publikum im Theater träumen und fühlen kann. Dass es versteht, was passiert.
FINK.Hamburg: Hast du Tipps für Studierende oder Kunstinteressierte, die sich auch im künstlerischen Bereich verwirklichen möchten?
Demis Volpi: Ich glaube, man muss sehr ehrlich zu sich selbst sein, wenn man wirklich etwas Eigenes schaffen möchte. Diese Ehrlichkeit bedeutet auch, dass man resilient bleiben muss, weil man nicht immer sofort Anklang finden wird mit dem, was man ausdrücken möchte. Ich denke, Kritik kann sehr schmerzhaft sein, aber man sollte sich immer daran erinnern, dass vielleicht einfach noch nicht die richtigen Menschen mit der Kunst in Berührung gekommen sind.
FINK.Hamburg: Wie gehst du mit Kritik um?
Demis Volpi:
Durch meine Kunst öffne ich mich ja auf eine sehr ehrliche, tiefgehende Weise und natürlich treffen mich dann einige Reaktionen. Manche Künstler*innen lesen keine Kritiken, aber ich gehe da anders heran: Ich überlege mir genau, welche Meinungen mir aus welchen Gründen wichtig sind und welche vielleicht auch nicht. Es ist wichtig, Kritik wahrzunehmen und zu verstehen, was andere darin sehen und was man über die eigene Arbeit daraus lernen kann. Aber man sollte sich nicht von Wertungen runterziehen lassen. Denn es geht immer weiter. Das nächste Projekt, das nächste Stück – es hängt von einem selbst ab, wie es weitergeht, nicht von anderen.
FINK.Hamburg: Als Tänzer*in sieht man seine Familie wahrscheinlich nicht so oft. Wie geht man damit am besten um?
Demis Volpi: Das stimmt. Gerade in einem internationalen Ensemble wie unserem. Dafür entsteht innerhalb des Ensembles eine starke Gemeinschaft. Wir teilen viel miteinander, was uns Kraft gibt. Man ist nicht allein – im Gegenteil, man erfährt viel Unterstützung durch die Gruppe.
Foto: Kiran West