Zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und den eigenen Vorstellungen von Zukunft wächst bei einigen jungen Erwachsenen ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Doch warum fühlen sich so viele junge Erwachsene am Ende ihrer 20er so verloren?
Titelbild: Illustration von Alina Uhrich, Icon: Illustration von Elizaveta Schefler
Es gibt so Phasen, da fühlt sich das Leben wie ein großes Brettspiel an. Während einige längst ihre Häuser auf dem Spielfeld gebaut haben und mit Kindern füllen, würfle ich noch meine nächsten Schritte aus und hoffe mal mehr, mal weniger verzweifelt auf den Sechser Pasch. Schwachsinnige Metapher oder ganz normales Feeling? Keine Ahnung. In jedem Fall fühlt sich das Spiel des Lebens gerade verdammt merkwürdig an.
Als 30-jähriger Studi bin ich irgendwo zwischen Erwachsensein und Testphase. Manche Freunde planen Familienurlaube und ihre Altersvorsorge. Andere konnten mit einer ihrer Leidenschaften einen Durchbruch feiern. Und ich? Kein Haus, kein Kind und (noch) kein Durchbruch. Stattdessen viele Fragen: Was hab ich aus den 20ern lernen können? Wo will ich hin? Und die natürlich drängendste Frage: Bin ich zu langsam?
Das Gute vorweg: Wir sind nicht allein
Diese Unentschlossenheit ist nicht nur ein Gefühl, die spiegelt sich in Zahlen wider: Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass junge Erwachsene heute später wichtige Lebensentscheidungen wie den Hauskauf oder die Familiengründung treffen, als noch vor 20 Jahren.
Gleichzeitig zeigt eine weitere Studie, dass der Anteil derer, die sich „verloren“ oder „überfordert“ fühlen, in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen ist. Wir bewegen uns also nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv in einer Phase des Übergangs – also irgendwo zwischen Startfeld und Zielgerade.
Serie „Aus den 20ern“
FINK.HAMBURG hat Personen unter dreißig befragt, welche Themen sie gerade beschäftigen. Diesen Themen wurde jeweils eine Folge der Serie gewidmet – um sie zu diskutieren, Lösungsansätze zu bieten und einen Raum zu kreieren. Flo (28) hat gesagt: “Ich merke immer mehr dieses komische Zwischenstadium, in dem ich bin. Ich hatte letztens die Erkenntnis, dass ich früher dachte, dass Leute mit 30 / Ende 20 alles im Griff haben und voll am Start sind.“
Die Serie erscheint jeden Donnerstag hier auf FINK.HAMBURG.
Die ständige Vergleichsfrage
Vielleicht liegt es an den sozialen Medien, die uns ständig zeigen, wie weit andere schon gekommen sind – oder zu sein scheinen. Neue Jobs, Verlobungen, Babyglück, Häuser mit Terrasse oder viral gehende Formate. Dazu Filter, die alles noch strahlender machen.
Natürlich gibt es auch die andere Seite: Freunde, die so gar keinen Plan haben, wo es hingeht. Jobs, die nicht halten, was sie versprachen. Ideen, die in der Schublade verstauben. Doch damit hält man sich nicht lange auf. Denn der Blick geht immer nur nach oben. Ein Symptom unserer Leistungsgesellschaft?
Irgendwie scheint es zwei Lager zu geben: die Planer und die Suchenden. Und irgendwie passe ich in keines dieser beiden Konzepte so richtig rein.
Am Ende zocken alle ein bisschen
Vielleicht ist genau das das Ding: Das Leben verläuft nicht nach einem einheitlichen Spielplan. Während die einen ihre Strategie schon klar haben, sammeln andere noch Figuren oder Karten, um ihre nächsten Züge zu machen. Und das ist okay.
Ich versuche, die Zielfelder anderer nicht zu meinen zu machen. Ihr Haus, ihr Kind, ihr Glück – das ist deren Spiel. Ich kann immer noch überlegen, welche Schritte mich glücklich machen. Vielleicht ist das gar nicht so wichtig, ob ich am Ende die meisten Punkte habe. Vielleicht geht es einfach nur darum, auf dem Weg möglichst viel Freude zu haben.
Dein Spiel, deine Regeln
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns zu sehr darauf konzentrieren, möglichst schnell irgendwo anzukommen. Aber was, wenn es gar nicht darum geht, „fertig“ zu werden? Vielleicht liegt der wahre Gewinn im Sammeln von Erfahrungen, in Umwegen und kleinen Erfolgen, die nicht in den verbrieften Spielregeln stehen. Jeder von uns spielt ein anderes Spiel. Das Beste daran ist: Die Regeln dürfen wir selbst bestimmen. Zumindest in dem Rahmen, den uns etwa unser Gesellschaftssystem vorgibt.
Was bleibt also? Ein merkwürdiges Zwischending. Das Gefühl, nicht richtig angekommen zu sein, aber auch nicht völlig verloren. Es ist okay, Fragen zu haben. Es ist okay, unsicher zu sein. Denn das Spiel des Lebens hat viele Runden – und jede davon geht anders aus.
Als Kind träumte Luca Schafiyha, Jahrgang 1994, davon, Schriftsteller zu werden. Ein ganzer Roman war dem Rheinländer dann aber doch zu viel. Journalist lautete der neue Berufswunsch. Seitdem ist viel passiert: Neben seinem Germanistik- und Politikstudium in Düsseldorf veröffentlichte Luca regelmäßig eine Kolumne in der „Rheinischen Post“. Luca arbeitete beim WDR, für die Redaktionen des „Handelsblatt“, der „Wirtschaftswoche“, „ran.de“ sowie des „Rolling Stone“. Er selbst spielt gerne Bass-Gitarre. In Bologna absolvierte er ein Erasmus-Semester – den täglichen Aperitivo auf der Piazza Maggiore vermisst er bis heute. Kürzel: sha