Virtual Reality, Künstliche Intelligenz und immersive Games sind nur etwas für junge Leute? Von wegen. In Hamburg zeigen innovative Projekte, wie digitale Technologien Senior*innen dabei helfen, körperlich und geistig fit zu bleiben und nicht zu vereinsamen.
In Hamburg-Poppenbüttel können Senior*innen an einem digitalen Spielwürfel trainieren. Eine von ihnen ist die 85-jährige Ines Thomson. Seit drei Jahren trainiert sie dort einmal die Woche gemeinsam mit anderen Bewohner*innen. Bei diesem Training spielt sie gegen eine andere Bewohnerin. Sie jagen der goldenen Kugel hinterher. Ein Spiel, das das Herz-Kreislauf-System trainiert. Ihr Ziel für dieses Jahr: so fit zu werden, dass sie beim jährlichen E-Fitness-Turnier eine Medaille gewinnt. Die beiden Seniorinnen empfinden die digitale Ausstattung ihres Seniorenheims als echte Bereicherung – Berührungsängste mit Technik? Die haben sie nicht. Immer mehr Senior*innen entdecken, wie Technik und digitale Innovationen ihren Alltag bereichern können.
Alt trifft neu
Eine aktuelle Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt, dass mehr als 40 Prozent der Senior*innen in Deutschland regelmäßig das Internet nutzen, um mit Freund*innen und Verwandten in Kontakt zu bleiben oder Informationen zu suchen. Digitalisierung im Alter wird dabei nicht nur als Kommunikationshilfe wahrgenommen, sondern zunehmend auch als wertvolle Unterstützung zur Förderung der eigenen Gesundheit und Lebensqualität. Insbesondere Technologien, die Bewegung, kognitive Fähigkeiten und soziale Interaktionen fördern, werden immer beliebter. In Hamburg gibt es zwei Beispiele dafür, wie Technik das Leben im Alter verbessern kann: den „Exercube” im Hospital zum Heiligen Geist und das Virtual-Reality-Projekt „Wenn Gedanken auf Reisen gehen“ im Stadtdomizil.
Bewegung in einer digitalen Spielwelt
Der „Exercube” ist eine digitale Trainingswelt, die ältere Menschen zu mehr Bewegung anregt. Die Teilnehmenden betreten eine Box, die sie auf drei Seiten mit Projektionen umgibt. Mit ihren eigenen Bewegungen steuern sie das Spiel – ohne zusätzliche Geräte wie Controller. Das Spielsystem passt sich automatisch an die körperlichen Fähigkeiten der Nutzer*innen an, sodass auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder sogar im Rollstuhl teilnehmen können.
„Der Unterschied ist das körperliche und kognitive Training, was andere Sportgeräte nicht haben. Es ist sehr komplex, da man Körper und Geist gleichzeitig trainiert“, erklärt Ole Behr, der Leiter der Physiotherapie. „Therapie ist sonst oft problembezogen, aber hier steht der Spaß im Vordergrund und die Menschen merken gar nicht, wie effektiv sie trainieren.“
Die Kombination aus körperlicher Bewegung und kognitiven Aufgaben macht das Training besonders effektiv. Die Teilnehmenden müssen auf wechselnde Aufgaben reagieren, Punkte auf den Projektionsflächen treffen und ihre Bewegungen koordinieren. Als das Projekt vor drei Jahren begann, wurde der „Execube” zum ersten Mal in einer solchen Umgebung eingesetzt. Eigentlich wird er im Fitness- und Leistungsbereich genutzt. Anfängliche Bedenken, dass der Spielwürfel für die Bewohner*innen zu futuristisch sei, hätten sich nicht bestätigt. „Die Nachfrage war von Anfang an riesig, wir hatten keine Berührungsängste bei den Senior*innen, sondern einfach nur Begeisterung“, sagt Behr.
„Die Fortschritte der Teilnehmenden sind beeindruckend“, sagt Trainerin Merethe Saltvedt-Ranft während eines Trainings. Ein Beispiel sei Ines Thomsen. „Sie hat vor einem Jahr mit einfachen Standübungen begonnen, heute bewegt sie sich sicher durch den ganzen Würfel.“
Auch für Schlaganfall-Patient*innen eignet sich der Spielwürfel: „Solche Patienten können sonst nicht so viel machen, aber hier können sie auch nur mit einem Arm trainieren und ich übernehme den anderen Arm. Sie blühen hier richtig auf, kommen mehrmals die Woche und machen sichtbare Fortschritte“, sagt Saltvedt-Ranft. Die Begeisterung der Bewohner*innen zeigt sich nicht nur in der Teilnahme – für viele ist der „Exercube” ein echtes Highlight der Woche. Das wöchentliche Training wird einmal im Jahr mit einem Turnier gekrönt, bei dem die Bewohner*innen in drei Gruppen je nach Bewegungslevel gegeneinander antreten.
Virtuelle Reisen, die Erinnerungen wecken
Während beim „Exercube” die Bewegung im Vordergrund steht, zeigt das Pilotprojekt „Wenn Gedanken auf Reisen gehen“, wie sehr auch Erinnerungen zur Lebensqualität beitragen können. Mit speziell entwickelten Virtual-Reality-Brillen können die Bewohner*innen an Orte reisen, die sie sonst nie erreichen würden – von Traumreisezielen bis hin zu bedeutenden Plätzen aus ihrer Vergangenheit. Die Technik ist so ausgelegt, dass auch bettlägerige Menschen Orte wie die Alpen oder die Karibik in der virtuellen Welt erkunden können.
Das Projekt wurde im Stadtdomizil im Schanzenviertel im vergangenen Jahr für etwa sechs Monate durchgeführt. In dieser Zeit wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtdomizils geschult, so dass das Projekt nach der sechsmonatigen Förderzeit eigenständig weitergeführt werden kann. Bei dem Projekt handelt es sich um ein Präventionsprogramm, das von der Mobil Krankenkasse finanziert wird.
„Das Projekt umfasste nicht nur die VR-Brille. Es gab auch Gruppenangebote von externen Trainer*innen. Das waren Gruppen mit den Schwerpunkten Bewegung und Gedächtnis“, sagt Sarah Heib, Leiterin des Betreuungsdienstes. Ergänzend kamen Veranstaltungen wie Filmabende zu bestimmten Reisezielen mit landestypischem Essen oder Bewegungsangeboten hinzu. „In den Kleingruppen sollen Gespräche entstehen und die Bewohner*innen sollen die Möglichkeit haben, sich austauschen“, so Heib.
Ziel ist es, die VR-Brille auch jetzt nach Projektende langfristig in der Stadtresidenz einzusetzen. „Wir wollen unseren Senioritas nicht den Anschluss an die Zeit verwehren, nur weil sie alt und krank sind“, sagt Heib.
Wie digitale Innovationen das Älterwerden angenehmer machen können
Laut dem achten Altersbericht der Bundesregierung spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle bei der Förderung der Lebensqualität älterer Menschen. Der Bericht zeigt, dass digitale Technologien sowohl physische als auch soziale Aspekte des Lebens stärken können – vorausgesetzt, sie sind niedrigschwellig und einfach zu bedienen.
Hier setzen auch die Hamburger Projekte an. Der „Exercube” und die VR-Brille zeigen, dass ältere Menschen nicht von technologischen Entwicklungen ausgeschlossen sind. Im Gegenteil: Sie profitieren davon, wenn Technologien gezielt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden. Sie schaffen Möglichkeiten für ältere Menschen, aktiv zu bleiben und fördern das Miteinander: Enkel und Großeltern können in solchen Projekten gemeinsam virtueller Landschaften erkunden oder gemeinsam in eine digitale Spielwelt abtauchen. Trainerin Merethe erzählt von Senior*innen, die regelmäßig ihre Enkelkinder mitbringen und gemeinsam mit ihnen im „Exercube” spielen. Es geht nicht nur um das Training oder Technik an sich – es geht um Teilhabe, Mobilität und Selbstbewusstsein im Alter.
Mit einem Bachelorabschluss in Tourismusmanagement liegt ihr Fernweh nahe: Patricia Zippel, Jahrgang 1997, hat schon alle Kontinente bereist - nur Australien fehlt ihr noch. In Hamburg ist sie schon seit 2020. Für das Netzpiloten Magazin produzierte sie hier einen Podcast über Themen wie digitale Kunst oder nachhaltige Handys. Danach absolvierte sie ein Redaktionsvolontariat bei dem Magazin “Flow”. Sprachlich bleibt Patricia ihrer Geburtsstadt Gera treu. Nischel, Ganker oder Konsum - typisch ostdeutsche Wörter sammelt sie mit einer Freundin in einer Whatsapp-Gruppe. Ihr Plan: Diese ins Norddeutsche schmuggeln, vielleicht auch auf die FINK-Website. Kürzel: zip