Das alte Karstadt-Kaufhaus mit dem Schriftzug
Das Projekt "Jupiter" ist beendet. Foto: Antonia David

Im „Jupiter” gehen die Lichter aus. Nach drei Jahren ist die kreative Zwischennutzung des ehemaligen „Karstadt-Sport” vorbei. Was mit dem Gebäude passiert, ist unklar – zunächst steht es wohl leer.

Eine kleine Welt geht im ehemaligen „Karstadt-Sport” unter. Bei dem Abschied des „Jupiter” am letzten Aprilwochenende liegen lose Bretter herum, eine ganze Etage wirkt bereits verwaist. Holzbalken und Rigipswände trennen Atelierflächen und nachhaltige Modegeschäfte vom La Tribune Noire Café, in dem Besuchende mit Panoramablick auf den gegenüberliegenden Mediamarkt Espresso und Mate genießen. Voll wird es trotz großer Abschiedsparty nicht. Nur 200 Menschen dürfen sich wegen baulicher Mängel gleichzeitig im Inneren des Planeten aufhalten.

Die Hamburger Kreativgesellschaft nutzt das ehemalige Kaufhaus seit Juni 2021 im Rahmen des Projekts „Frei_Fläche” als Kunst- und Kreativraum. Statt Sportequipment stehen im Eingangsbereich Plastikstrandschirme und Getränkekisten, auf denen sich Menschen im Kunstlicht niederlassen. Rolltreppen verbinden vier Etagen voller Fotografie, Malerei und Mode mit der Bar der Hanseatischen Materialverwaltung „im Exil” im Obergeschoss. Auf der Terrasse fanden hier bei einem 360-Grad-Blick auf die Stadt legendäre Parties statt – bis die Nachbarn sich beschwerten. Heute genießen die Besuchenden ihre Kaltgetränke in Ruhe bei Sonnenschein.

Ursprünglich sollte die kreative Zwischennutzung 2022 schon wieder enden. Die Stadt verlängerte drei Mal – im Juni ist nun endgültig Schluss.

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Jupiter Abschiedsfeier
Besuchende genießen die Sonne auf der Abschiedsfeier.

Antonia David

Jupiter als Chance für Kreative

Ins Erdgeschoss schallt lauter Drum and Bass vom Straßenfest herein. Dies hält die Ladeninhaber*innen nicht davon ab, ihre Boxen ebenfalls voll aufzudrehen. Einer davon ist Raphael Rohr. Er wird lieber Raph genannt und verkauft im Vintage Store „second future” gebrauchte Kleidung. Der Laden ist dekoriert mit Schallplattencovern und einer alten Camel-Werbung. Sein Freund Levin du Hamél gehört zum Kollektiv „twentythree”, das im August 2023 unter dem Titel „Jupiter23″ junge Künstler*innen in das „Jupiter” einlud, um ihre Arbeiten zu zeigen. Unter anderem dabei: Graffiti-Street-Art, analoge Fotografie und eine avantgardistische Modenschau.

Für Raph und Levin bot das „Jupiter” eine einmalige Chance. Für 1,50 Euro pro Quadratmeter konnten die beiden Gebäudeflächen mieten. „Die Kreativgesellschaft hat einen guten Job gemacht, weil sie einer Menge Leuten eine Plattform gegeben hat, die nie die Chance gehabt hätten, zu so guten Konditionen Projekte umzusetzen”, meint Levin. „Direkt am Hauptbahnhof ist natürlich optimal”, fügt Raph hinzu und gibt sich dabei Mühe, die elektronische Musik im Store zu übertönen.

Städtische Förderung endet

Das „Jupiter” galt in den Augen der Hamburger Bürgerschaft als Antwort auf zwei Herausforderungen des urbanen Lebens: den Mangel erschwinglicher Räume für Kreativschaffende und den Leerstand von Einzelhandelsflächen. Das Programm Frei_Fläche umfasst weitere Flächen, zum Beispiel am Alten Wall und im Hanseviertel, und wurde von der Stadt mit rund 6,6 Millionen Euro gefördert. Mit ihrer Einschätzung war die Bürgerschaft nicht allein: die Jury des Polis-Award, ein Preis für Stadt- und Projektentwicklung, würdigte das „Jupiter” mit dem ersten Platz für reaktivierende Zentren.

Warum soll es jetzt vorbei sein mit dem Projekt? Kurz gesagt: Es ist der Stadt zu teuer – und war von Anfang an nur temporär angelegt. René Gögge, Abgeordneter der Grünen Fraktion Hamburg, setzte sich 2022 gemeinsam mit Abgeordneten der Grünen und der SPD noch für eine Verlängerung der Förderung aus Haushaltsmitteln ein. Zuvor war das Projekt mit Coronamitteln finanziert worden. Nach Ablauf der letzten Förderperiode stellten die Abgeordneten jedoch keinen neuen Antrag – obwohl das Projekt aus Sicht der Grünen laut Gögge ein voller Erfolg war. Es seien erhebliche Investitionen in Sicherheits- und Brandschutzmaßnahmen nötig, die nicht der öffentlichen Hand, sondern dem privaten Eigentümer oblägen, so Gögge. Er betont, dass die öffentliche Hand nicht in der Verantwortung sei, ein privates Projekt dauerhaft zu finanzieren, das von Beginn an als Impulsgeber auf Zeit gedacht war. Nun liege es, wie ursprünglich vorgesehen, am Eigentümer, die angestoßene kreative Nutzung weiterzuentwickeln.

Ob dies geschehen wird, ist unklar. Eine Sprecherin der Eigentümerin R+V Versicherung sagte gegenüber FINK.HAMBURG, die Zwischennutzung des ehemaligen „Karstadt-Sport-Gebäudes” sei eine attraktive Möglichkeit gewesen, in prominenter Lage in der Hamburger Innenstadt temporären Leerstand zu vermeiden und Kulturschaffenden Raum zu bieten. Zur künftigen Nutzung könne sich die R+V jedoch nicht äußern. Egbert Rühl, Geschäftsführer der Kreativgesellschaft geht davon aus, dass das Gebäude zunächst leer stehen wird.

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Jupiter Abschiedsfeier
Die Abbauarbeiten im 'Jupiter' haben begonnen.

Antonia David

Eine Etage weiter oben wuselt Celina Behn von der Hamburger Kreativgesellschaft durch die Ausstellung „CALL ME #8” – die achte Absolvierenden-Ausstellung des Studiengangs Kommunikationsdesign der HAW Hamburg. Eine Soundinstallation verliest über eine Website zufällig zusammengewürfelte Protestslogans wie „Hungerstreik für Verkehrsbeunruhigung”. Ein bedrucktes Polyestertuch zeigt ein Neugeborenes auf der Brust einer Frau. Hier lässt Celina Behn die Zeit im „Jupiter” Revue passieren: „Wir sind sehr froh und glücklich, dass die Zwischennutzung über fast drei Jahre so viele wechselnde Projekte aus verschiedensten Bereichen der Kreativwirtschaft und Kultur ermöglichen konnte”. Die Projektmanagerin schaut mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: „Eine Zwischennutzung hat irgendwann ein Ende, und je erfolgreicher sie lief, desto mehr schaut man mit einem lachenden und einem weinenden Auge dem Abschied entgegen”.

Egbert Rühl pflichtet Behn bei: „Es ist viel Wehmut da, weil wir hier einen Ort geschaffen haben, den man sich so gar nicht vorstellen konnte”.  Er fügt hinzu: „Es war von Anfang an temporär angelegt. Damit muss man sich auch abfinden”.

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Jupiter Abschiedsfeier
Die Ausstellung 'Call Me #8' im 'Jupiter'

Antonia David

Bauliche Mängel sind ein weiteres Hindernis

Dass das Gebäude ursprünglich für die Nutzung als Kaufhaus konzipiert wurde, bringt gewisse Herausforderungen mit sich: „Kaufhäuser als Modell haben ausgedient“, stellt Rühl nüchtern fest. Ein weiteres Problem sind bauliche Defizite. Bei einer Ortsbegehung im Februar 2025 stellte das Bezirksamt Hamburg-Mitte unter anderem fest, dass Notausgänge blockiert und beschädigt waren. Auch das Brandschutzkonzept zeigte Schwächen. Die Kreativgesellschaft begrenzte deshalb die Zahl der Besuchenden auf 200.

Der Koloss in der Mitte der Innenstadt steckt voller Potenzial – das hat die Hamburger Kreativgesellschaft bewiesen. Er war Spielwiese, Gastgeber für dutzende Parties, alternatives Shoppingerlebnis. Aber er ist auch ein baufälliges Kaufhaus, dessen Unterhaltung die Stadt Millionen gekostet hat.

Auf der Abschiedsfeier ist die Stimmung gut: „Ein bisschen melancholisch bin ich zwar, aber das Event heute ist fantastisch”, sagt Raph zwischen Bikerjacken und Shirts mit 90’s Prints. Wo es nun hingeht? Am liebsten ins „magische Dreieck” : Schanze, St. Pauli, Karoviertel. Eine langfristige Alternative gibt es für den jungen Kreativen aktuell nicht.

ton

Toni David wurde am letzten Tag des Jahres 1999 in Hannover geboren, ihre Eltern bildeten Clowns aus. Als Vegetarierin an einer Wursttheke zu arbeiten, war für Toni trotzdem kein Witz. Die Stadt „ohne Akzent“ verließ sie 2020 Richtung Hamburg für ihr Politikstudium. Würde sie einen Film produzieren, behandelte dieser die absurden Datingsituationen in einer Großstadt. Nischenthemen sind ihr wichtig: In einem Radioprojekt sprach Toni zum Beispiel über alternative Bestattungen. Nicht lachen kann sie über Mietwucher und Rassismus im Journalismus.

Kürzel: ton

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