Malina Schilling hat einen der schönsten Arbeitsplätze Hamburgs: den Hafen. Doch mit einer Barkasse auf dem Wasser unterwegs zu sein, fordert höchste Konzentration – und birgt so manche Gefahren.

Die Hafenschleppbarkasse „Hansen Sien II“ mitsamt ihrer Schute, eine Art Anhänger für den Transport von Gütern, nähert sich dem Seeschiff, das mit Nahrungsmitteln beladen werden soll. Gut zwölf Meter Höhenunterschied, schätzt die blonde junge Frau, die am Rande der Schute steht. Plötzlich sieht sie, dass das Heck des Schiffes, dem sie sich nähern, weit aus dem Wasser herausragt. Und dass der Schiffsführer der Barkasse immer weiter auf das keilförmig nach unten verlaufende Heck des Seeschiffes zusteuert. Wild gestikulierend versucht sie, den Schiffsführer auf eine andere Route zu bringen. Doch als sie einen Blick über ihre Schulter wirft, stellt sie fest, dass ihr keine Zeit mehr zum Lotsen ihres Kollegen bleibt: Ihr Rücken und die Schiffswand liegen nur noch gut zwei Meter auseinander. Die noch in der Ausbildung befindliche Hafenschifferin Malina Schilling schreit entsetzt auf – und bringt sich in letzter Sekunde in Sicherheit.

„Wenn du beim Manövrieren einen Fehler machst, dann kannst du dich manchmal nicht mehr daraus retten“

Heute, zwei Jahre später, steht Malina selber stolz in ihrem Ruderhaus hinter dem Steuer und begrüßt über das Bordmikrofon ihre Passagiere zur großen Hafenrundfahrt. Der Motor der fünfzig Jahre alten Hafenbarkasse „Hansen Sien“ heult auf. Malina wirft einen konzentrierten Blick über ihre linke Schulter und kurbelt mit der rechten Hand kräftig das Steuerrad. Die Barkasse treibt langsam vom Anleger weg. Malina schaut wieder nach links, dann nach rechts, kurbelt das Steuerrad ein wenig in die entgegengesetzte Richtung und blickt schließlich durch die hintere Scheibe des Ruderhauses. Die Barkasse liegt nun in einer geraden Linie und die Anspannung verlässt Malinas Gesicht. Sie trinkt einen Schluck Rhabarberschorle. „Wenn du beim Manövrieren einen Fehler machst, dann kannst du dich manchmal nicht mehr daraus retten“, erklärt sie und tätschelt dabei das Steuerrad, „darum musste auch ich mein Schiff fühlen lernen.“

So auch im Sommer 2016, als der Unterschied von Hoch- und Niedrigwasser, der Tidenhub, eine Manöver-Meisterleistung von Malina abverlangte. An jenem Tag hatte Malina gerade eine Hafenrundfahrt durchgeführt und ihre Passagiere abgeladen; „zum Glück“, wie sie sagt. Schon während der Fahrt hatte sie festgestellt, dass an diesem Tag starkes Hochwasser herrschte. Umso vorsichtiger musste sie auf dem Weg zu ihrem Anleger hinter den St. Pauli-Landungsbrücken fahren. Doch die Landungsbrücke 5, die „ein minimales Stückchen tiefer als alle anderen Brücken ist“, sollte ihr beinahe zum Verhängnis werden. „Ich weiß nicht, durch was es passiert ist. Es kann sein, dass das Wasser zu hoch war, es kann aber auch sein, dass von außen durch die Fähren eine Welle kam und mich ein Stückchen hochgedrückt hat, zumindest habe ich mir mein Ruderhaus abgefahren oder besser gesagt: Es ist über meinem Kopf zusammengebrochen!“, sagt sie und zuckt ein wenig zusammen. Das, was dabei alles hätte passieren können, mag sie sich nicht ausmalen.

„Meistens fahre ich die Barkasse mit Touristen und gecharterten Leuten, aber wenn meine Kollegen mich drüben mit der Schute brauchen, um Seeschiffe zu Be- oder Entladen, bin ich natürlich auch mit dabei!“

Passieren kann bei Hafenschiffern während ihrer Arbeit viel. Darum zählen auch Reaktionsgeschwindigkeit, Umsicht, technisches Verständnis und Verantwortungsbewusstsein als die vier Kernanforderungen, die der Beruf von seinen Arbeitern abverlangt. Doch gerade dieses „immer wieder neuen Situationen ausgesetzt zu sein“ ist es, was Malina an ihrem Beruf so gefällt. „Meistens fahre ich die Barkasse mit Touristen und gecharterten Leuten, aber wenn meine Kollegen mich drüben mit der Schute brauchen, um Seeschiffe zu Be- oder Entladen, bin ich natürlich auch mit dabei!“, sagt sie.

Um eigenständig Personen befördern und gewerbliche Schifffahrt betreiben zu dürfen, musste Malina nach Beendigung ihrer Ausbildung das Hafenpatent und einen Personenbeförderungsschein machen. Diese Scheine besitzt sie seit Herbst 2015. „Sonst stünde ich auch heute gar nicht hier hinter dem Steuer, um den Leuten das Tor zur Welt zu zeigen und zu erklären“, sagt sie stolz und setzt ihre Kapitänsmütze auf. Während sie sich daran zurückerinnert, wie es kurz nach ihrem Abitur 2013 überhaupt erst dazu kam, dass sie Hafenschifferin werden wollte, lacht sie vergnügt. Damals hatte sie diesen Beruf noch gar nicht auf dem Radar. Doch als sie einen Freund, der schon Schiffsführer war, bei seinem Job begleitete, packte sie die Leidenschaft für die Schifffahrt. „Das war wie der Ja-Effekt beim Shoppen: ‚Das will ich haben!‘“, erzählt sie begeistert. Auf „das will ich haben“ folgte sogleich ein Praktikum beim Seehafenspediteur „Hermann Hansen“, dem sie auch heute noch als Festangestellte die Treue hält.

Inzwischen ist Malina der Überzeugung, dass der Hafenschiffer schon immer heimliche Berufung war. Sie habe nur eine Weile gebraucht, um die Zeichen zu verstehen: Dem Wasser fühlte sie sich schon immer verbunden und während ihrer Schulzeit hatte sie ein Projekt, in dem sie ein Bauwerk naturgetreu nachbauen sollte. Ihre Wahl fiel dabei wie von selbst auf eine Containerbrücke; einen Kran, der im Hamburger Hafen zum Be- und Entladen von Containerschiffen genutzt wird. Dieses Werk hat sie auch heute noch zuhause stehen. „Hinzu kommt, dass ich früher immer Fernweh hatte, ohne dass ich weg wollte“, sagt sie mit nachdenklichem Gesichtsausdruck, während sie die „Hansen Sien“ durch einen engen Kanal in der Speicherstadt manövriert. Doch seit sie auf dem Wasser arbeitet, sei das Fernweh-Gefühl wie weggeblasen, da „eine Wasserfläche eben überall sein könnte.“

„Ich sage immer, ich bin Michel-Schipperin. Ich muss unseren Michel sehen können, wenn ich auf dem Wasser unterwegs bin!“

Die Barkasse verlässt die Speicherstadt und läuft in den Niederhafen ein. „Guck mal Mama, was ist das da vorne für ein Schiff?“, ruft ein kleiner Junge begeistert, springt von seinem Sitzplatz auf und deutet mit dem Zeigefinger auf die noch in der Ferne liegende Cap San Diego. Malina lächelt zufrieden, nimmt das Mikrofon in die Hand und löst das Rätsel um das „unbekannte“ Schiff sogleich auf – und kann sich dabei einen kleinen Scherz nicht verkneifen. Schallendes Gelächter erklingt unten von den Sitzbänken, der Witz ist angekommen.

Malina öffnet das Schiebefenster links neben ihr und atmet die kühle Herbstluft, die in das Ruderhaus strömt, tief ein. Für ein paar Sekunden schließt sie die Augen und wirkt wie die Ruhe selbst. Wie auf ein stilles Kommando öffnet sie die Augen wieder, blinzelt dem Sonnenlicht entgegen und als sie sieht, was schräg rechts vor ihr liegt, blitzt Freude in ihren blauen Augen auf. „Da ist er ja, mein Michel“, sagt sie und lächelt warm, „ich sage immer, ich bin Michel-Schipperin. Ich muss unseren Michel sehen können, wenn ich auf dem Wasser unterwegs bin!“

Ihr Beruf ist ihre Leidenschaft, oder mit Malina Schillings Worten gesagt: „Meine Arbeit ist auch mein Hobby.“ Ein berufliches Leben außerhalb des Wassers könne sie sich ohnehin „absolut nicht mehr vorstellen“, sagt sie. Sie geht noch einen Schritt weiter und vergleicht das Hafen-Schippern mit einer Sucht, die sie immer wieder aufs Neue antreibt. „Ich bin zwar erst drei Jahre Hafenschifferin, aber es fühlt sich so an, als ob ich vorher in meinem Leben nichts anderes gemacht habe“, sagt sie lächelnd, während sie die „Hansen Sien“ am Anleger festbindet.

Die erste große Hafenrundfahrt an diesem Samstag ist vorbei. Malina holt ihre Kapitänsmütze, platziert sie neben der Außenbordtreppe und hilft den Passagieren beim Ausstieg. Der Ein- oder Andere lässt Münzen in die Kapitänsmütze fallen. Nachdem Malina den letzten Passagier verabschiedet hat, hebt sie die Mütze auf und bringt sie ohne die Ausbeute eines Blickes zu würdigen zurück an Bord. Sie holt sich eine Apfelschorle aus dem Kühlschrank und nimmt auf einer der roten Innenbänke Platz. Doch viel Zeit zum Ausruhen bleibt ihr nicht: Schon in wenigen Stunden wird sie erneut an Landungsbrücke 7 auf Passagierfang gehen.


Wie wird man Hafenschiffer/in?

Art der Ausbildung: Duale Ausbildung (abwechselnd Berufsschule „Staatliche Gewerbeschule Werft und Hafen Hamburg“ und Praxiseinführung im Ausbildungsbetrieb)

Dauer der Ausbildung: Drei Jahre, Verkürzung um ein Jahr z. B. bei Abiturienten möglich

Tätigkeitsprofil: Führen von Wasserfahrzeugen in See- und Binnenhäfen, Personenbeförderung, Schiffe be- und entladen („Löschen“), Schiffe in Liegeplätze einparken, Wartung und Instandhaltung von Schiffen, Fahrtrouten planen, Schleppvorgänge durchführen und überwachen, Navigation von Schiffen im Hafen

Anforderungen: Verantwortungsbewusstsein, Umsicht und Konzentrationsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Reaktionsgeschwindigkeit, gute Orientierung, technisches Verständnis, Kunden- und Serviceorientierung, handwerkliches Geschick, gute Mathematik-, Technik- und Deutschkenntnisse, Robustheit (Wind und Wetter)

Verdienstmöglichkeiten: Ausbildungsgehalt zwischen 520 und 855 € brutto; Einstiegsgehalt 2539 – 2799 € brutto (nach Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst TVöD)

Arbeitszeit: Schichtdienst, auch nachts und am Wochenende

Quellen: Bundeagentur für Arbeit 2016, Hamburg Port Authority 2016, Employour GmbH 2016


Lena Frommeyer ist Journalistin und Dozentin für Online-Journalismus am Mediencampus der HAW Hamburg. Sie betreut hier den Newsroom von FINK.HAMBURG. Sie schreibt u.a. für das Mobilitäts-Ressort beim SPIEGEL über Mobilität der Zukunft, Fahrradkultur, öffentlichen Nahverkehr und Verkehrspolitik. Davor hat sie unter anderem für das Stadtmagazin HAMBURG SZENE und die ZEIT gearbeitet.

Marie-Sophie Petersen