Finanzielle Sorgen und Prüfungsdruck: Für viele Studierende bedeutet das Studium purer Stress. Hilfe erhalten sie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften von ihren Kommilitonen.
Mit seiner tiefen, rauen Stimme könnte Stefan Rahlmann auch Hörbücher aufnehmen. Doch der 36-Jährige studiert Soziale Arbeit und ist an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) als Peer im Einsatz – so nennen sich die Mitarbeiter des Peer-to-Peer-Projekts. Sie beraten und betreuen Kommilitonen, die während ihres Studiums Hilfe und Orientierung brauchen. “Jeder weiß, wie anstrengend der ganze Hochschulapparat sein kann. Doch mit einer Krankheit wird es nochmal komplizierter”, sagt Rahlmann.
Viele Studierende leiden unter Stress und Depression – auch an der HAW mit ihren mehr als 16.000 Studierenden. Der Report einer Krankenkasse zeigt, dass mehr als jedem fünften Studierenden eine psychische Erkrankung diagnostiziert wird. “Meiner Erfahrung nach sind die meisten schon vorher krank. Das heißt, dass bei vielen Studenten nicht die Hochschule der Auslöser ist. Aber der Druck auf die Betroffenen wird größer”, sagt Rahlmann.
“Ich merkte, dass ich nicht alleine bin.”
Darüber gesprochen wird im Hochschulalltag kaum. Beim Mittagessen in der Mensa oder im Seminarraum wirken Themen wie Ängste, Stress und Depression eher deplatziert. Stefan Rahlmann spricht mit den Komillitonen, die sich an ihn wenden, auf Augenhöhe. Auch er hatte im Laufe seines Studiums die Hilfe des Peer-to-Peer-Projekts in Anspruch genommen. Damals besuchte er den Dialogabend und war vom Konzept positiv überrascht: “Ich dachte, es gibt einen Referenten, dem man ein paar Fragen stellt. Aber stattdessen saßen die Leute auf Sofas herum und haben sich ausgetauscht. Das tat einfach gut, weil ich merkte, dass ich mit meinen Problemen nicht alleine bin.”
Das Netz gegen den Stress
Den Dialogabend gibt es an der HAW bereits seit 2009. Für viele Teilnehmer ist das Treffen die einzige Möglichkeit, gerade in Phasen der Isolation, Kontakt zu Kommilitonen aufzubauen. Der Dialogabend ist ein Netz, das sie auffängt. Hier gründen sie Lerngruppen oder verabreden sich zu Vorlesungen und Seminaren, damit das morgendliche Aufstehen nicht mehr so schwer fällt. Rahlmann sagt: “Wir sind keine Therapeuten. Aber wir nehmen am Campusleben teil und können deshalb die Bedürfnisse der Teilnehmer nachvollziehen.”
Der Dialogabend ist allerdings nicht die einzige Gesprächsform, die das Peer-to-Peer-Projekt anbietet. Stefan Rahlmann und sein Team geben auch individuelle Hilfestellungen. Gemeinsam mit den Betroffenen erstellen sie Stundenpläne, beantragen Fristverlängerungen, schreiben E-Mails an Professoren oder stellen Anträge an den Prüfungsausschuss. “Oft kommen die Betroffenen erst, wenn schon fast alles zu spät ist, um fünf vor zwölf sozusagen. Sie stehen vor einem riesigen verwurschtelten Knäuel. Und das ziehen wir dann gemeinsam auseinander und entzerren es.”
Hier findet ihr Hilfe
In diesen Gesprächen hilft es, dass Stefan Rahlmann selbst einmal in einer Notlage steckte. Damit geht er, wenn es nötig ist, auch offen um. Zudem tauschen sich die Peers regelmäßig aus und besuchen Fortbildungen. Dadurch können sie zum Beispiel auch Studierenden mit Autismus oder Asperger-Syndrom helfen – ein Angebot, das laut Rahlmann zurzeit sehr gut besucht sei.
Stefan Rahlmann macht die Arbeit als Peer viel Spaß. Er sagt: “Manche Fälle sind ziemlich hart. Aber wenn die Studenten ein paar Semester später wiederkommen und sich voller Freude bedanken, dass sie ihr Studiums geschafft haben, dann ist der Lohn schon höher als das, was man ertragen muss. Mir wurde damals geholfen. Für mich ist heute die Zeit, davon etwas zurückzugeben.”
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