Jamaika ist Geschichte, eine Neuauflage der großen Koalition scheint der letzte Ausweg zu sein. Jetzt äußert sich auch Olaf Scholz ausführlich zu den anstehenden Sondierungsgesprächen und zur Situation der SPD.
Noch am Wahltag trat SPD-Chef Martin Schulz vor Genossen und Presse und verkündete, dass seine Partei nicht für eine neue große Koalition zur Verfügung stehen werde. Insbesondere FDP und Grüne machten das den Sozialdemokraten zum Vorwurf. Der Tenor: die SPD stehle sich aus der Verantwortung und erzwinge ein Jamaika-Bündnis. Seitdem sind über elf Wochen vergangen – ein Rekord. Union, FDP und Grüne sondierten wochenlang unter gegenseitigen Sticheleien und offen ausgetragenen Machtkämpfen über eine mögliche Koalition – ohne Erfolg.
Seitdem herrscht praktisch Stillstand in der Regierungsbildung. Gespräche der Parteivorsitzenden bei Bundespräsident Steinmeier brachten jedoch Bewegung in die Sache: Die SPD folgte dem Appell des Staatsoberhauptes und stimmte auf ihrem Sonderparteitag vergangene Woche für “ergebnisoffene Gespräche” mit CDU und CSU –gegen zum Teil massiven parteiinternen Widerstand, vor allem der Jusos. Im Januar sollen die GroKo-Sondierungen starten.
Scholz fordert Zurückhaltung
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz stellt im Interview jedoch klar, dass die GroKo kein Dauerzustand sei: “Große Koalitionen führen fast unvermeidlich dazu, dass die politischen Kontroversen nicht mehr zwischen den beiden Parteien im Zentrum der Republik geführt werden, sondern der politischen Mitte und den Rändern”, so der SPD-Vize. Sorgen bereitet ihm auch, dass die AfD im Falle einer GroKo die Oppositionsführung übernehmen würde: “Herrn Gauland als Oppositionsführer mag sich niemand so recht vorstellen”.
Bereits vorab ruft Scholz alle Beteiligten zur Zurückhaltung bei den Verhandlungen auf: “Es wäre nicht klug, in dieser Phase rote Linien zu ziehen oder Punkte für unverhandelbar zu erklären”. Genau daran seien nämlich die Jamaika-Sondierungen gescheitert. “In den Gesprächen muss sich jetzt vor allem zeigen, ob das gegenseitige Vertrauen ausreicht und die Beteiligten ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, was für Deutschland jetzt nötig ist”, so der frühere Bundesarbeitsminister und SPD-Generalsekretär.
Kommt Jamaika doch noch?
Doch was passiert, wenn auch die GroKo-Sondierungen zu keinem Ergebnis kommen? Erst vergangene Woche sorgte FDP-Vize Wolfgang Kubicki für Wirbel: Das “RedaktionsNetzwerk Deutschland” zitierte ihn mit den Worten: “Eines ist doch klar: Scheitert die Groko, haben wir eine andere Lage.” Eine Aussage, die viel Interpretationsspielraum für eine mögliche Wiederaufnahme der Jamaika-Gespräche lässt. FDP-Chef Christian Lindner wiegelte via Twitter jedoch sofort ab:
Widersprüchliche Wahlprogramme werden sich nicht in Luft auflösen.In dieser Wahlperiode ist #Jamaika für niemanden mehr ein Thema.Wolfgang ist wohl falsch interpretiert worden. Minderheitsregierung würden wir konstruktiv begleiten.Union muss sich von SPD nicht erpressen lassen.CL https://t.co/E52V8FDYv1
— Christian Lindner (@c_lindner) 5. Dezember 2017
Alternative Minderheitsregierung
Jenseits einer großen Koalition scheint es daher nur noch zwei Möglichkeiten zu geben: eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Ersteres wurde erst kürzlich vom CDU-Wirtschaftsrat vorgeschlagen, da eine neue GroKo “nur mit dem Preis weiterer unbezahlbarer Leistungsversprechen in der Sozialpolitik zu bekommen ist”, so das Parteigremium in einem Beschluss. Auch das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn hat sich gegenüber der “Bild am Sonntag” im Falle eines Scheiterns für eine unionsgeführte Minderheitsregierung ausgesprochen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte eine solche Option bislang jedoch ausgeschlossen.
Am Ende stehen Neuwahlen
Der Weg zu Neuwahlen wäre sehr steinig, insbesondere für die Kanzlerin: Das Grundgesetz sieht vor, dass der Bundespräsident dem Bundestag einen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vorschlägt. Erst wenn dieser in zwei Wahlgängen mit absoluter Mehrheit — also mindestens der Hälfte aller Abgeordneten — nicht gewählt wird, wird der Bundeskanzler mit relativer Mehrheit — also den meisten Stimmen — gewählt. Erst dann kann der Bundespräsident entscheiden, ob er den gewählten Kandidaten zum Bundeskanzler ernennt oder das Parlament auflöst und den Weg für Neuwahlen freimacht.
Auf die Frage, ob ein erneuter Wahlkampf finanzielle Probleme für die Sozialdemokraten bedeuten könnten, kontert Bürgermeister Scholz: “Nein, die SPD ist in jeder Situation finanziell in der Lage, einen Wahlkampf zu organisieren”.
oli/dpa