Das Hamburger Start-up Chris’ Kochtüte verkauft an verschiedenen U-Bahn-Stationen portionierte Lebensmittel in Papiertüten für ein Gericht zum Selbstkochen. Ist das die Zukunft?

Der Wind pfeift um den U-Bahnhof Hoheluftbrücke. Es ist kalt. Der Regen prasselt unaufhörlich. Menschen laufen in Richtung Busstation, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Andere sprinten die Treppen zum Bahnsteig hoch, um die einfahrende Bahn noch zu erwischen. Es ist ein stetiges Kommen und Gehen. Die einzige Konstante: der Mann mit der roten Mütze inmitten des Gewusels …

Chris' Kochtüte. Foto: Nina Maurer
Chris’ Kochtüte. Foto: Nina Maurer

Vor einigen Jahren sah es an der Hoheluftbrücke noch anders aus. Regen und Sturm gab es zwar damals schon, Hamburger konnten sich an der U-Bahn-Haltestelle aber noch gleichnamige Burger bei McDonald’s kaufen. Diese Zeiten sind vorbei. Heute steht anstelle der Fast-Food-Kette ein Edel-Supermarkt und im Eingang der Station Robert Wetzorke von Chris’ Kochtüte: der Mann mit der roten Mütze. Er verkauft keine fertigen Burger und fettigen Fritten, sondern portionierte Lebensmittel und ein Rezept für ein Gericht zum Selbstkochen. Das Konzept: eine einfache Zubereitung mit möglichst frischen, regionalen und saisonalen Lebensmitteln. Auch Müll, vor allem Plastik, soll vermieden werden.

Was ist drin in Chris’ Kochtüte?

Wetzorke ist ein Freund und Mitarbeiter von Christoph Zettler, dem Gründer, Inhaber und Namensgeber des Unternehmens. Zwei bis drei Mal pro Woche steht er an der Hoheluftbrücke. Immer von 16:30 Uhr bis 19 Uhr. Oder bis die letzte Tüte weg ist. Bei jedem Wetter.

Eine Tüte Risotto für zwei Personen enthält:

• zwei Rote-Bete-Knollen
• eine Zehe Knoblauch
• zwei rote Zwiebeln
• zwei Handvoll Risottoreis
• drei Zweige Rosmarin
• jeweils zwei Päckchen Honig und Butter
• circa zwei Esslöffel Gemüsebrühe
• jeweils ein Stückchen Parmesan und Ziegenkäse

Heute verkauft er Rote-Bete-Risotto mit Ziegenkäse und frischem Rosmarin. Eine Portion kostet 6,50 Euro, zwei Portionen 10,90 Euro. Auch den Mango-Möhren-Eintopf vom Vortag bietet Wetzorke an. Es soll ja nichts weggeschmissen werden.

Der Blick in die Papiertüte zeigt: Auf Nachhaltigkeit wird Wert gelegt. Honig, Butter und Ziegenkäse sind zwar in Plastik verpackt, Reis, das Pulver für die Brühe und der Parmesan aber in Papiertüten. Zusätzlich befindet sich in der Kochtüte ein Rezept auf braunem Papier: „Es ist Feierabend. Glückwunsch! Jetzt abschalten und entspannt kochen“, leitet es ein.

Rote-Beete-Risotto von Chris' Kochtüte. Foto: Christoph Zettler
Rote-Bete-Risotto von Chris’ Kochtüte. Foto: Christoph Zettler

Ein Konzept – viel Konkurrenz

Der Verkauf von Lebensmitteln samt Rezept ist nicht einzigartig in Hamburg. Wetzorke kennt einen Grund für die steigende Nachfrage: “Die Leute sind zunehmend genervt von langen Schlangen im Supermarkt.” Dieser Stress werde ihnen von Unternehmen wie Chris’ Kochtüte abgenommen. Doch die Konkurrenz ist groß: Anbieter wie HelloFresh oder KommtEssen beliefern Haushalte sogar.

Laut Wetzorke suchen VerbraucherInnen aber auch den persönlichen Kontakt. Man kenne sich, die KundInnen kämen immer wieder und es entstünden tolle Gespräche. Das mache das Konzept der Kochtüte besonders. „Alle meine Kunden gehen mit offenen Augen durch die Welt“, sagt Zettler, der sich den Verkauf seiner Kochtüte an der Hoheluftbrücke zeitlich mit Wetzorke teilt.

An der Station Wandsbek Markt verkauft ihr Kollege Henry täglich Kochtüten. Als er einmal im Urlaub war, habe es regelrechte Hilferufe auf dem Instagram Account von Chris’ Kochtüte gegeben, berichtet Zettler. „Oh no, wenn Wandsbek Urlaub hat, muss ich hungern :D” und “Ich hab auch sooooo Hunger und kein Henry da 😓”, schrieben KundInnen.

Das Konzept trifft den Geist der Zeit

Chris von Chris' Kochtüte. Foto: Christoph Zettler
Chris von Chris’ Kochtüte. Foto: Christoph Zettler

Zettler war vorher Bankkaufmann. Die Idee für Chris’ Kochtüte entstand aus seinem eigenen Bedarf heraus. Oft habe er sich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause gefragt, was er am Abend kochen solle. Wie viel Zeit und Stress er sparen würde, wenn an seiner U-Bahn-Haltestelle jemand eine fertige Kochtüte verkaufen würde. Da es diesen Menschen nicht gab, setzte er die Idee 2015 schließlich selbst um – mit Erfolg! Insgesamt verkauft sein Team pro Woche 200 Tüten, Tendenz steigend. „Ich glaube das wird noch mehr werden, weil das Produkt unendlich viel Sinn macht“, sagt Zettler.

Die Wissenschaft gibt ihm recht. Laut Studien des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat drei Viertel der Deutschen Spaß am Kochen. Trotzdessen kocht nicht einmal jeder Zweite täglich. Und falls doch, muss das Gericht möglichst einfach zubereitet sein und schnell gehen. In Großstädten wie Hamburg legt mehr als jeder Zweite Wert darauf. Auch Qualität, Regionalität und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Dr. Sybille Adam, Professorin für Ernährungswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, freut diese Entwicklung: „Ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln und Ressourcen, zum Beispiel saisonale und nachhaltige Aspekte, sollten mehr gefördert werden – allein schon für einen gesunden Lebensstil und bewussten Umgang mit der eigenen Gesundheit.”

Chris’ Kochtüte trifft somit den Geist der Zeit: Fleisch bezieht das Start-up hauptsächlich vom Bio-Schlachter und es bestehen Kooperationen mit lokalen Obst- und Gemüseanbietern. Außerdem dauere jedes Gericht laut Zettler nicht länger als eine halbe Stunde. „Initiativen wie Chris’ Kochtüte, die Menschen zum Selberkochen bewegen, sind auf jeden Fall zu unterstützen“, sagt Dr. Adam.

Die Nachfrage steigt

Nicht nur an der Hoheluftbrücke sondern auch an den anderen beiden Haltestellen, Schlump und Wandsbek Markt, ist die Nachfrage groß. „Du hast überall Leute, die gerne gut essen!“, sagt Zettler. Seine Philosophie lautet: Egal wie schlecht ein Tag gewesen sein mag – mit einem selbst gekochten Essen könne man ihn gut beenden. Allerdings gibt es auch viele Menschen, die das anders sehen: „Manche Leute würden lieber eine Tablette mit allen Nährstoffen einwerfen, anstatt den Kochlöffel in die Hand zu nehmen”, so Zettler, „aber es gibt immer mehr Menschen, die verstehen, was gute Ernährung ausmacht.“

Auch Wetzorke berichtet, dass einige wenige Personen keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Sie könnten ihre Mahlzeit günstiger selbst einkaufen, außerdem stünde er mit seinem Rad im Weg. „Es ist ja auch nicht für Jedermann gemacht“, sagt Wetzorke mit einem Lächeln auf den Lippen. Für ihn schaffe die Kochtüte schöne Momente – in der Küche sowie im Verkauf. Immer wieder spreche er mit Kindern, die Kochen toll finden und sich Gerichte wünschen. Aber auch ältere Menschen blieben stehen. Denn das Lastenfahrrad mit der großen Holzbox auf dem Vorderrad erinnere sie an Bauchläden aus ihrer Kindheit.

Robert Wetzorke zieht seine Mütze tiefer ins Gesicht und schiebt die Hände in seine Jackentaschen. Die steigende Nachfrage gebe Chris’ Kochtüte recht. Der Job mache ihm Spaß. Und meist höre es auch um 19 Uhr kurz auf zu regnen, sodass er trocken nach Hause kommt.

Titelbild: Nina Maurer

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