“Ich bin Hana und ich bin weiblich… nicht ganz.” Hana Corrales hat mit ihrem Video bei Instagram über eine Millionen Menschen erreicht. FINK.HAMBURG hat die HAW-Studentin getroffen: Ein Gespräch über Selbstbestimmung und Viralität.
Ein Interview von Elena Bock und Laura Wrobel
Wer sich seinem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlt und das in amtlichen Dokumenten korrigieren lassen möchte, muss sich am Transsexuellengesetz (TSG) orientieren. Ein diskriminierendes Gesetz, sagen Betroffene und Interessensvertreter:innen. Sie empfinden vor allem die geforderten Gutachtengespräche als entmenschlichend, Teile des Gesetzes verstößen sogar gegen Grundrechte.
Bis vor einigen Wochen hat die Politik über ein Selbstbestimmungsgesetz diskutiert, welches das Transsexuellengesetz ersetzen soll. Die Reform ist jedoch gescheitert. Psycholog:innen, Richter:innen und Politiker:innen sind sich jedoch einig: Die Gesetzänderung ist längst überfällig.
Die gescheiterten Versuche
Der Ausdruck trans versammelt Personen mit unterschiedlichen Selbstdefinitionen. Der Überbegriff steht für transgender, transsexuelle oder transidente Menschen und alle, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.
Seit einigen Jahren wird in der Politik über Möglichkeiten für trans Personen gesprochen, Geschlechtseintrag und Vorname mit weniger Verwaltungsaufwand und ohne Einschaltung von Psycholog:innen zu korrigieren. Anfang diesen Jahres kam es schließlich zu Verhandlungen zwischen der SPD-Fraktion und der Union, die widerum scheiterten. Die Grünen und die FDP legten daraufhin zwei Gesetzesentwürfe vor, die am 19. Mai von der Mehrheit im Bundestag abgelehnt wurde. Die SPD erklärte am Folgetag auf Twitter: “Ein schlechtes Gesetz durch ein nicht besonders gutes zu ersetzen, ist für uns auch kein Weg.“
FDP-Bundestagsabgeordneter Jens Brandenburg nennt das ein „billiges Ablenkungsmanöver“ und sagt FINK.HAMBURG gegenüber, dass die SPD bisher keinen Änderungsvorschlag vorgelegt habe. In der Ausschussanhörung habe es ebenfalls keinen konkreten Kritikpunkt gegeben. „Die Reform ist leider gescheitert, weil sich Union und SPD nicht zu einer Abschaffung des Transsexuellengesetzes durchgerungen haben“, so Brandenburg.
So hat der Bundestag gestern Abend zum grünen #Selbstbestimmungsgesetz abgestimmt. Bitter für die Menschenrechte.
Für uns aber bleibt es dabei: #TSGabschaffen – jetzt erst recht und mit neuem Anlauf nach der Bundestagswahl! 💪#TransRightsAreHumanRights 🏳️⚧️ pic.twitter.com/m4XNGyzVaV
— Sven Lehmann MdB (@svenlehmann) May 20, 2021
Reform: Selbstbestimmung statt Transsexuellengesetz
Das Selbstbestimmungsrecht für trans, inter und nicht-binäre Personen soll die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen auf Basis einer Selbsterklärung ermöglichen.
Was die Reform für Betroffene bedeuten würde, haben wir Hana Corrales, Studentin der HAW Hamburg und trans Frau, gefragt.
FINK.HAMBURG: Nimmst du Hamburg als transfreundliche Stadt wahr?
Passing bedeutet, dass eine Person als das Geschlecht gelesen beziehungsweise anerkannt wird, das sie präferiert.
Hana Corrales: Ich kann mich sehr privilegiert und glücklich schätzen, dass ich in Deutschland und speziell in Hamburg lebe. Ich habe hier sehr selten mit Diskriminierung zu tun. Durch mein gutes Passing fällt meine Transsexualität im Alltag nicht so stark auf. Das erleichtert es mir als trans Frau enorm. Es kommt aber natürlich auch zu Zwischenfällen. Häufig werde ich angesprochen und sexualisiert. Nicht unbedingt, weil ich transsexuell bin, sondern einfach, weil ich eine Frau bin. Durch die Fetischisierung von trans Frauen wird das Sexismusproblem aber noch verdoppelt: Wir sind Frau und Fantasie zugleich.
Wie lang lebst du schon offen als Frau?
Hana: Seit Oktober 2018. Zweieinhalb Jahre ungefähr. Diese Zeitangabe spielt in vielen Situationen eine Rolle. Auch bei der Namens- und Personenstandsänderung fragen dich die Therapeuten dahingehend total aus.
Hast du selbst schon einen Antrag auf Namens- und Personenstandsänderung gestellt? Wie läuft das ab?
Hana: Ja, vor einem Monat. Im Internet gibt es dazu jedoch kaum Informationen, nur ein paar komische PowerPoint-Präsentationen. Es gibt Vorlagen, in die man dann nur noch seinen Wunschnamen einträgt. Ich habe sogar direkt ein fertiges Gutachten beigelegt. Nach zwei Wochen habe ich dann Rückmeldung bekommen: Eine Forderung nach 1.400 Euro Anzahlung und die Ablehnung des vorgeschlagenen Psychologen. Für mich war klar: Ich zahle doch nicht 1.400 Euro, um mich bloßstellen zu lassen.
Letztens wurde ich von der Polizei kontrolliert und habe am ganzen Körper gezittert.
In welchen Bereichen deines Lebens hast du mit den falschen Angaben zu kämpfen? Was würde eine Gesetzreform verändern?
Hana: Im Wartezimmer aufgerufen zu werden ist jedes Mal eine Demütigung. Oder in der Uni bei Klausuren: „Herr X“ – und dann sitze ich da, voll geschminkt, mit meinen großen Brüsten. Das tut einfach sehr weh. Ich versuche gar nicht erst, mich auf Jobs zu bewerben, aus Angst vor der Reaktion. Letztens wurde ich von der Polizei kontrolliert und habe am ganzen Körper gezittert. Stell dir mal vor du wirst einfach auf die Wache mitgenommen, weil sie dir nicht glauben, dass du das bist auf deinem Pass. Eine Reform würde uns Sicherheit geben. Ein Leben ohne Bloßstellung, Rechtfertigung und ständige Outings ermöglichen. Sie wäre die Bestätigung, dass uns niemand etwas anhaben kann. Weil wir in einem Land leben, das uns als das wahrnimmt, was wir sind.
Was ist das Hauptproblem am Transsexuellengesetz?
Als cis wird eine Person bezeichnet, die sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Cis ist das Gegenstück zu trans*.
Hana: Einmal natürlich die enorm hohen Kosten. Als Studentin ohne Job? Keine Chance. Und das ist ja nur die Anzahlung. Ich kenne eine trans Person, die den Prozess zweimal durchlaufen musste, weil der Richter sie nicht mochte. Am Ende hat sie 7.000 Euro bezahlt. Dann der unverhältnismäßige bürokratische Aufwand, der ganze Prozess kann sechs bis 12 Monate dauern. Das Absurde: Für cis Menschen ist eine Namensänderung bedeutend einfacher. Traumatisierend sind aber vor allem die entwürdigenden Fragen, die uns während des psychologischen Gutachtens gestellt werden.
Was sind das für Fragen?
Hana: Ich kenne trans Personen, die sich vor dem Psychologen komplett ausziehen mussten. Oft wird auch krass in Stereotypen gedacht: Warum trägst du keinen Nagellack? Warum nur leichtes Make-up? Viele trans Frauen lügen dann auch, legen die Antworten so aus, dass sie dem typischen Frauenbild entsprechen. Andere Fragen sind extrem grenzüberschreitend, haben nichts mit unserer Identität zu tun: Ist dein Freund eigentlich schwul? Welche Rolle übernimmst du beim Sex? Masturbierst du? Die Gutachter sind nicht auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Transsexualität ist seit 2018 keine Krankheit mehr. Wir sind hier in Deutschland. Wir müssten eigentlich viel weiter sein.
Was wäre, deiner Meinung nach, ein besserer Weg der Betroffenenberatung?
Hana: Ein einfacher Gang zum Standesamt. Weg mit den psychologischen Gutachten. Bei der Namensänderung handelt es sich um ein Dokument, nicht um einen operativen Eingriff. Diese Unterscheidung ist mir wichtig: Bei Hormonbehandlungen oder OPs sind Gutachten richtig und wichtig. Allerdings müssen hier dringend die Wartezeiten für Therapieplätze verkürzt werden, um Selbstmedikation zu verhindern. Aber das ist ein anderes Thema.
Was bedeutet Selbstbestimmung für dich?
Hana: Zu sagen, dass ich eine Frau bin. Und zwar ohne, dass ich mich vor denjenigen, die die Macht haben das in Frage zu stellen, beweisen muss. Es geht darum, meine Wahrheit durchzusetzen.
Kritiker des Selbstbestimmungsgesetztes fürchten, dass Menschen die voreiligen Änderungen bereuen könnten und dass „Geschlechterhopping“ Straftaten begünstigt.
Detransition bezeichnet das ganze oder teilweise Rückgängigmachen der geschlechtlichen Transition.
Hana: Schwachsinn! Erstens: Die Namensänderung ist ein Dokument, das kannst du nicht bereuen. Außerdem machen sowieso nur ein bis zwei Prozent der trans Menschen eine Detransition. Zweitens: Wenn ein Vergewaltiger seinen Ausweis ändert und verkleidet auf die Frauentoilette geht, um dort eine Frau zu vergewaltigen, dann hat das nichts mit Transsexualität zutun. Er würde diese Tat sowieso begehen. Ich finde es widerlich, dass Transsexuelle mit Kriminellen auf eine Stufe gestellt werden.
Die Große Koalition hat auf Bundesebene die Gesetzesentwürfe blockiert. Was würdest du SPD und CDU gerne sagen, wenn du die Möglichkeit hättest?
Hana: Manchmal ist es wichtiger, Herz zu zeigen, als es seinen Koalitionspartnern recht zu machen. Vor allem, wenn man bei jedem Christopher Street Day Regenbogenfahnen schwenkt. Uns trans Menschen gab es schon immer. Man kann uns nicht auslöschen. Wir werden weiterkämpfen und am Ende des Tages wird die Gerechtigkeit siegen. Ich glaube fest daran, dass wir mit einer neuen Regierung in der nächsten Legislaturperiode etwas verändern können.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Was war der Auslöser für dein Video bei Instagram?
Hana: Da kamen mehrere Dinge zusammen: Über Moderator und Netzaktivist Tarik Tesfu habe ich von der blockierten Gesetzesreform erfahren, wenige Tage zuvor kam meine eigene Anzahlungsforderung. Ich war traurig und fassungslos und konnte nicht glauben, dass keiner den Mund aufmacht. Dann habe ich es eben selbst gemacht.
Hast du mit einer so großen Reichweite gerechnet?
LSBTQIA+ ist eine Buchstabenkombination, die versucht, alle Identitäten im queeren Spektrum abzubilden (auch in anderen Varianten möglich).
Hana: Ich habe es natürlich schon ein bisschen gehofft. Dann hatte ich zehn Minuten drei Likes und dachte “Okay, keiner sieht das, was habe ich nur gemacht?”. Entscheidend war, dass ich aktiv Leute angeschrieben habe: Andere Transfrauen, Models, Influencer der LSBTQIA+ Community. Dann ging es total durch die Decke. In der ersten Nacht hatte ich schon 40.000 Views, inzwischen sind es über eine Millionen Menschen. Mein Name und meine Stimme sind auf Spotify, ich gehe zu Schauspiel-Castings. Wir haben da schon echt was Großes gerissen. So richtig realisiert habe ich das noch gar nicht – dafür ist gerade alles zu busy.
Das heißt, du fühlst dich in deiner neuen Rolle wohl?
Hana: Das ist das, was ich schon immer machen wollte. Jetzt kann ich es endlich auch zeigen. Nachrichten wie „Du bist mein Vorbild.“ oder „Du sprichst endlich das aus, was ich fühle.“ zeigen mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Wenn ich durch die Schanze laufe, werde ich angelächelt. Da ist so viel Support – selbst von Menschen, die gar nicht direkt betroffen sind. Das ist das Allerschönste.
Was sind deine Ziele und Wünsche für die Zukunft?
Hana: Ich will einfach so weiter machen wie bisher: Aufklären und geben, nichts nehmen. Für Rabattcodes oder Leggins-Werbung bin ich nicht zu haben. Ich will weiter Druck machen, eine Stimme sein. Viel reposten, auch anderen Menschen eine Plattform bieten. Unseren Schmerz teilen. Das war ja auch der Grund für alles. Im Juni ist Pride Month, da werde ich auf ein paar Kanälen live gehen. Ich habe mich nie wirklich getraut, groß zu denken und mich geschämt für meine Träume. Jetzt sitze ich hier und bin eine Stimme für die, die nicht gehört werden. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Mit der Wahl eines neuen Bundestags im September wird es an einer neuen Koalition liegen, ob das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt wird.
Die Petition #SelbstbestimmungJetzt, auf die Hana Corrales mit ihrem Video hingewiesen hat, läuft auch nach der gescheiterten Gesetzreform weiter – mit aktualisierten Ansprechpartner:innen: “Jetzt richtet sich die Petition nicht mehr nur an die SPD-Abgeordneten, sondern vor allem an die Spitzenkandidat:innen der demokratischen Parteien”, sagt Petitions-Initiatorin Emma Kohler. “Transrechte sind Menschenrechte und wir müssen diese auch wahrnehmen können. Mit der Union lässt sich das jedoch schwer bis überhaupt nicht durchsetzen.” Für die Bundestagswahl im September vertraut sie deswegen, dass die Grünen das Thema in den Koalitionsverhandlungen konsequenter einfordern.