Text von Joana Kimmich
Illustrationen von Maria Gassner und Maylin Rivero
Es war einmal ein junger Fink. Er lebte in einer Baumhöhle in einer ganz alten Eiche, die in einem großen, schönen Garten auf dem Land stand. Im Sommer blühte der Garten prächtig. Doch jetzt war es Dezember. Es war kühl und dunkel draußen und der Fink fand das furchtbar blöd. Er wollte den Sommer zurück. Und mit Weihnachten konnte er gleich gar nichts anfangen.
Alle freuten sich auf Weihnachten. „Der Advent ist so toll“, sagte seine Freundin, die kleine Meise. Sie war zu Besuch und hatte ein paar Brotkrumen mitgebracht, die sie gemeinsam aßen. „Dann gibt es wieder Meisen-Knödel für uns von den Leuten und es leuchten Kerzen und duftet toll nach Plätzchen. Viellicht bekommen wir dann auch einen Krümel ab! Das ist doch toll!“
Der kleine Fink aber war kein großer Fan von Weihnachten. „Ich würde viel lieber wie die Zugvögel in den Süden ziehen. Guck dir den Storch an oder den Kuckuck. Die packen ihre sieben Sachen und überwintern da, wo es schön warm ist. Das will ich auch!“ Er grummelte in sein buntes Gefieder: „Im Winter gibt es kein Dickicht, wo ich mich verstecken kann, die Bäume sind ganz kahl. Und niemand zwitschert. Das ist doch traurig. Die Adventszeit und Weihnachten, das braucht doch wirklich niemand!“
Die Meise fand das schade. Sie mochte die Adventszeit doch so gerne. Klar, es gab nicht viele Würmer zu finden und ja, gesungen wurde natürlich auch nicht so viel. Aber die erleuchteten Fenster waren doch schön. Und der Schnee sah so friedlich aus. Es wurde still. Manchmal mucksmäuschenstill. Und die Ruhe war doch auch schön.
Die Meise nahm sich ein Herz. Sie beschloss, den Fink aus seinem Wintertief herauszuholen. Er war anscheinend wirklich traurig.
Dafür fragte sie den gemeinsamen Freund, den kleinen Spatz um Hilfe. Der kleine Spatz war immer lustig drauf. Er hatte auch gute Ideen. Der Spatz lebte in einem Haselnussbaum, nicht weit entfernt von der Höhle des Finken.
Sie klopfte an und er öffnete schnell. Zusammen grübelten sie, wie sie ihren gemeinsamen Freund, den Finken für die Weihnachtszeit begeistern konnten.
„Bei Weihnachten geht es doch darum, dass wir alle zusammen sind. Natürlich wäre es schön, im warmen Süden zu sein, wie die Störche. Aber vielleicht bekommen wir es hier ja auch kuschelig warm?“
Die Meise kratzte sich mit dem Flügel am Kopf und runzelte die Stirn: „Aber wie wollen wir das denn schaffen?“ „Ich habe da eine Idee!“, sagte der Spatz. Und verschwand draußen im Dunkeln. Die Meise war verwundert und etwas überrumpelt. Aber er würde schon bald zurückkommen.
Eine Stunde später hörte sie im Dunkeln ein Flattern. Sie kniff die Augen fest zusammen, konnte aber nichts erkennen. Plötzlich sah sie vereinzelte Lichter. Es war der kleine Spatz, mit einer Lichterkette im Schnabel. „Wenn der Fink nicht in die Wärme und die Sonne mache es gemütlich!“
Nach und nach brachte er Lichterketten, Nüsschen und er hatte außerdem aus Stoffresten und Flusen, die er gefunden hatte, ein flauschiges Nest gebaut. „Du musst den Fink jetzt nur noch aus seiner Höhle locken! Dann schmücke ich sie, bis er zurück ist und wir können zusammen Weihnachten feiern.“ Die Meise war begeistert.
Den Fink aus seiner Höhle zu holen war gar nicht so einfach. „Ich brauche Hilfe beim Putzen meines Nestes. Es ist so staubig bei mir und ich bekomme Besuch von der Familie“, sagte die Meise zum Finken. Doch dieser hatte keine Lust.
„Bitte, bitte“, flehte die Meise, „ich schaffe das doch nicht allein. Sonst muss ich alle ausladen. Meine Mama hatte sich schon soooo gefreut, mein neu eingerichtetes Nest zu besuchen. Und wir mussten das so oft verschieben und…“ „Ist ja gut!“, unterbrach der Fink sie. Er hatte ein schlechtes Gewissen bekommen.
Derweil wartete der Spatz schon in der Baumkrone der alten Eiche darauf, endlich die Wohnung des Finken umgestalten zu können. Als die Meise mit dem Finken davonflog, legte er sofort los. In der Höhle wischte er erst einmal Staub, räumte die kleine Küche auf und putzte die Astwände. Dann holte er die Stoffreste und die Lichterkette.
Er beeilte sich. Denn die Meise und der Fink konnten jederzeit zurückkehren. „Hoffentlich freut sich der Fink“, sagte der Spatz stöhnend. Sein Gefieder war voller Staub und ganz zerwuschelt. „Ich bin sehr zufrieden. Das sieht schön aus!“
Es klopfte am Astloch. Vor der Tür hörte der Spatz den Fink grummeln und sagen: „Jetzt bin ich ganz kaputt. Ich möchte nur noch in mein Nest.“
„Herein!“, rief der Spatz. Der Fink und die Meise traten ein.
„Was machst du denn in meiner Wohnung?“ konnte er gerade noch sagen, bevor seine Augen begannen zu glänzen. Das sah gar nicht aus wie seine Höhle! An der Außenrinde hing die Lichterkette. Auf dem Boden war alles voll mit wolligem Stoff. Es fühlte sich kuschelig und warm an. In der Mitte der Höhle war eine Schale mit Nüsschen drappiert. Und es war sauber. Nein. Es war blitzeblank. Eine Kerze brannte. Es war wohlig warm.
„Wie hast du das geschafft?“, fragte der Fink. „Und warum?“
„Weil wir den Süden und die Wärme in deine Höhle bringen – und mit dir Weihnachten feiern wollten“, sagte die Meise. „Denn bei Weihnachten geht es eigentlich nur darum, dass man es mit Leuten verbringt, die man gerne mag.“
Der Spatz nickte. „Du bist uns wichtig. Und du bist nicht allein. Lass uns ein paar Nüsschen essen und wir überlegen, was wohl die Störche im Süden machen.“
Der Fink nahm die Meise und den Spatz unter seine Flügel. „Vielen Dank. Ich mag gar nicht mehr in den Süden. Hier bei euch ist es viel schöner.“
Und so saßen sie den ganzen Abend und bis in die Nacht und zwitscherten und sangen Lieder und aßen Nüsse. Und der Fink dachte bei sich, Weihnachten ist doch gar nicht so schlecht.
Das Weihnachtsmärchen der FINK.HAMBURG-Redaktion gibt es auch als Hörspiel: