Studierende aus Iran, Indien, Russland, Rumänien und China haben in den letzten Jahren mit Tatjana Wysgol und Peter Rothgänger aus Ohlsdorf Weihnachten gefeiert. Auch in diesem Jahr bleibt ihr Tisch nicht leer.
Titelbild: Laura Reichhart
Die Zitate von Harry Mullalet und Nafeel Nazeerudheen wurden ins Deutsche übersetzt.
„Was ist das für ein Gebäck?”, fragt Harry Mullalet in die Runde. Sein Freund Nafeel Nazeerudheen blickt ebenso fragend auf die Kekse, die auf dem großen Holztisch im Esszimmer von Tatjana Wysgol und Peter Rothgänger stehen. „Das Gebäck mit Schokolade nennt man Lebkuchen. Und das andere sind Christstollen, das sind deutsche Weihnachtsklassiker”, antwortet Tatjana Wysgol. Sie bemüht sich, so gut wie möglich auf Englisch zu erklären, was da vor ihren Gästen steht, die mit solchen Leckereien keine Erfahrung haben.
Der 21-Jährige Harry Mulallet lebte noch vor wenigen Monaten in Äthiopien. Nafeel Nazeerudheen ist 27 Jahre alt kommt aus Südindien. Beide Männer studieren Elektrotechnik und Informationstechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Sie sind Freunde und verbringen Weihnachten zum ersten Mal in Deutschland – und Heiligabend bei Peter und Tatjana zu Hause. Sie lernten das Paar bei einem Adventsabend des Studierendenwerks Hamburg kennen.
Studierendenwerk bringt Kulturen zusammen
Nach zwei Jahren coronabedingter Pause suchte das Studierendenwerk Hamburg in diesem Jahr wieder Gastfamilien für die Initiative „Internationaler Weihnachtsgast”. An einem Adventsabend konnten sich Gastgeber*innen und internationale Studierende kennenlernen. Peter Rothgänger beschreibt das Prozedere so: „Schon vor dem Abend werden Studierende und Gastfamilien gematcht. Dann wird man in die Uni eingeladen und kommt in eine Art Schulaula. Man bekommt eine Tischnummer und geht dann zu seinem Tisch, an dem schon die Studierenden sitzen. Es ist jedes Mal aufregend.”
Tatjana Wysgol weiß genau, wie wichtig es ist, an Weihnachten nicht alleine zu sein. 1989 ist sie mit ihrer Familie von Deutschland nach Portugal gezogen. Jahre später kam sie wieder nach Deutschland zurück und blieb bis heute, während ihre Familie weiterhin in Portugal lebt. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie man sich fühlt. Das Studentenwohnheim ist leer, draußen sind viele Lichter und du bist allein zu Hause”, sagt sie. Deshalb sei es ihr und ihrem Partner so wichtig, bei der Aktion mitzumachen.
„Wir haben uns eine eigene Tradition aufgebaut”
Seit 2014 feiern internationale Studierende mit dem Paar Weihnachten. „Die ersten Gäste stammten aus dem Iran, aus Teheran”, sagt sie. In den letzten acht Jahren verbrachten Tatjana und Peter die Festtage mit Studierenden aus insgesamt sechs Nationen. „Wir haben uns eine eigene Tradition aufgebaut. Das heißt, wir laden auch immer die Gäste aus den Jahren zuvor wieder ein”, erzählt Peter Rothgänger. In diesem Jahr seien nicht nur Harry Mullalet und Nafeel Nazeerudheen an Heiligabend eingeladen, sondern auch ehemalige Weihnachtsgäste aus Indien, zum Teil mit Kind und Eltern.
Eigene Kinder haben Tatjana Wysgol und Peter Rothgänger nicht. “Unser Beruf nimmt zu viel Zeit in Anspruch, wir arbeiten liebend gern, eigenen Kindern würden wir daher nicht gerecht werden”, sagt der Unternehmer. Bisher seien die Treffen mit den internationalen Weihnachtsgästen auch fast immer positiv abgelaufen. „2018 haben wir beim Vortreffen zwei Studierende aus Syrien kennengelernt und sie zu uns eingeladen, sie haben dann aber kurzfristig doch abgesagt”, erzählt Tatjana.
„Internationaler Weihnachtsgast” – Zusammen feiern, fast wie zuhause
„Weihnachten ist eines der Feste, die besonders in Äthiopien gefeiert werden. Die Mehrheit der Gesellschaft ist orthodox. Es ist dort ein großer Feiertag”, erzählt Harry Mullalet. Seine ganze Familie komme an diesem Feiertag zusammen. Man beschenke sich ähnlich wie in Deutschland gegenseitig. „Wir haben auch einen Weihnachtsbaum, der jedes Jahr schön und viel geschmückt wird”, sagt der 21-Jährige. Allerdings feiere man Weihnachten in Äthiopien erst am 7. Januar, da der Julianische Kalender verwendet wird. Dort ist die Geburt Christi – in Deutschland am 24. Dezember – rund acht Jahre und neun Monate später angesetzt.
Auch in Nafeel Nazeerhudeens Heimat Tamil Nadu, einem Bundesstaat im Süden Indiens, feiere man Weihnachten, erzählt der 27-Jährige. Er verbringe die Weihnachtszeit immer mit seiner Familie und seinen Freund*innen.
Kultur geht durch den Magen
Für ein festliches Mahl sei auch gesorgt. Tatjana Wysgol hat früher als Betriebsleiterin in der Gastronomie gearbeitet. Sie liebt es, für eine große Anzahl an Menschen zu kochen. Damit aber jeder an Heiligabend die Chance bekommt, auch kulinarisch eine andere Kultur kennenzulernen, bringen die internationalen Gäste etwas zum Essen mit. „Eine Spezialität des Landes. Handmade”, sagt Peter Rothgänger.
„Das Essen, das ich mitbringe, heißt Kitfo. Es ist im Grunde Hackfleisch mit Butter und den Gewürzen ኮረሪማ (Aframomum corrorima)”, sagt Harry Mulallet. “Wir essen das zusammen mit dem Gericht ቆጮ (Kocho), das ich auch mitbringen werde.” Es wird aus dem geriebenen Fruchtfleisch von Bananen hergestellt.
Nafeel kümmert sich um das Dessert: Halwa. Dafür werden Winterkarotten in Milch eingekocht und gezuckert, Gewürze und weitere Zutaten unterscheiden sich je nach Vorliebe.
Peter Rothgänger freut sich an Heiligabend nicht nur auf das Essen. „Ich liebe es, wenn wir an einem Tisch sitzen – essen, trinken und uns mit anderen austauschen, uns gegenseitig kennenlernen, einfach Spaß haben”, sagt er. Diese Weihnachtstreffen hätten dem Paar einen anderen Blickwinkel fürs Leben gegeben. “Umso schöner, dass es jetzt wieder damit losgehen kann”, sagt Tatjana.