„Odo’s Kaffeeklappe“ ist fester Bestandteil des Hafenalltags und hat schon so manche Höhen und Tiefen miterlebt. Hier erfährt man, was die Arbeiter im Hafen beschäftigt.
Der Nieselregen dämpft das zischende Geräusch der bremsenden Lastwagen. In den frühen Morgenstunden halten die dampfenden Fahrzeuge vor dem einsam erleuchteten Container in Steinwerder. Das Licht scheint grell aus den vergitterten Fenstern, die Eingangstür steht weit offen. Es ist kurz vor vier und Odo Wehr brät Frikadellen hinter der Theke seines Hafenimbisses.
Für Odo beginnt der Tag um 23 Uhr. Dann steht er auf und macht sich aus der Nähe von Lüneburg auf den Weg in den Hafen. Kaffeekochen, Ofen aufheizen und dann backen, alles ist durchgetaktet. Um vier kommt Tobi dazu, schon seit zehn Jahren hilft der gelernte Koch bei der Vorbereitung und Auslieferung. Die Männer sind ein eingespieltes Team, in der Panierstraße für die Schnitzel sitzt jeder Handgriff. „Wir müssen erstmal gucken, dass wir hier ein Erstsortiment reinkriegen, unsere Bestellungen, die müssen raus.“
Odo betreibt die letzte Kaffeeklappe im Hamburger Hafen und ist damit fester Bestandteil im Alltag der Werftarbeiter*innen und Containerfahrer*innen, aber auch der „Bürofuzzis“, die ab und zu vorbeischauen. Er erlebt die Höhen und Tiefen des Hafens und damit auch der Menschen, die dort arbeiten.
Ständiger Termindruck
Um kurz vor fünf wieder ein zischendes Geräusch, der nächste LKW hält. Tobi macht sich auf den Weg zu den Firmenkund*innen. Odo verkauft nicht nur vor Ort, er beliefert auch umliegende Firmen. Kurze Zeit später poltert Jens die vier Stahlstufen zu „Odo‘s Kaffeeklappe“ hoch.
„Moin!“
„Odo, es gibt Tage, da könnte ich meinen Bäcker morgens erschlagen!“
„Ist das so? Man, man, man. Was darf ich dir denn anbieten?“
„Volles Programm.“
„Das ist schon mal gut.“
Jens kommt schon seit Langem morgens zu Odo. Seit 37 Jahren arbeitet er im Hafen, fährt Container. Beide kennen sich seit mindestens 22 Jahren, so lange gibt es „Odo‘s Kaffeeklappe“ schon. Jens hat noch fünf Jahre bis zur Rente und dann ist der Hafen für ihn erstmal Geschichte. „Es hat sich alles so verändert, auch vom Menschlichen her. Früher war noch plattdeutsch hier, jetzt muss man bulgarisch oder polnisch können, sonst kommt man nicht mehr weiter.“ Früher habe man auch immer nochmal die Zeit gehabt, sich fünf Minuten auf eine Zigarette zu treffen oder zusammen einen Kaffee zu trinken. Das ist vorbei. Zu hoch sei der Termindruck, erzählt er wehmütig. Trotzdem freut sich Jens noch jeden Morgen über den Sonnenaufgang auf der Brücke und natürlich auf Odo, bei dem er seinen ersten Stopp des Tages einlegt. Heute gibt es zur Beruhigung erstmal ein Mettbrötchen auf die Hand.
Der Konstante im Hafen
Odo hat für jede Lebenslage etwas im Angebot. Zur Not auch mal einen Schnaps, der steht ganz hinten in seinem Getränkekühlschrank. „Ich habe sogar Kunden für die ist es wichtig, dass ich jeden Morgen denselben Spruch bringe, sonst ist der Tag für die schon gelaufen“. Häufig übernimmt er deshalb auch mal die Rolle des Seelentrösters oder Entertainers. Für viele gehöre die Kaffeeklappe zur morgendlichen Routine, eine Konstante in der sich ständig ändernden Umgebung des Hafens.
Ursprung der Kaffeeklappen
- „Ganz genau genommen ist Odos Container gar keine Kaffeeklappe, im ursprünglichen Sinne“, erklärt Ulrich Hebbinghaus, ehemaliger Schiffsoffizier und ehrenamtlicher Mitarbeiter im Hamburger Hafenmuseum. „Die gibt es nämlich schon lange nicht mehr.“
- Das aus England stammende Konzept war hundert Jahre zuvor nach Hamburg gebracht worden, um durch ein günstiges Essens- und Getränkeangebot gegen Versorgungsengpässe und den weitverbreiteten Alkoholmissbrauch der Hafenarbeiter*innen anzukommen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Klappen zu einem wichtigen sozialen Treffpunkt im damaligen Freihafengebiet.
- In den 1960er-Jahren wurden dann allerdings immer weniger Hafenarbeiter*innen gebraucht. Ihre Muskelkraft wurde durch Maschinen ersetzt. Die Blütezeit der Kaffeeklappen war damit Geschichte. Die letzte richtige Kaffeeklappe schloss bereits 1985.
Wie das Geschäft hier läuft, weiß Odo genau. Das muss er auch, denn wenige Imbisse können sich so lange halten wie seine Kaffeeklappe. „Ich komm aus der Logistikbranche, Gott sei Dank. Du musst dich hier genau takten. Dann darfst du in der Zeit, wo es schwierig wird, noch nicht mal ohne Plan auf Klo gehen.“ In den 80er- und 90er-Jahren habe es „sowas wie hier an jeder Ecke“ gegeben, irgendwann wurde es immer weniger. Das sei auch der Hafenbehörde gelegen gekommen, die habe damals sowieso schon andere Ideen für die Gelände gehabt, auf denen die Imbisse standen.
Wer bleiben will, muss sich wehren
Anfang der 2000er-Jahre sollte auch Odo das erste Mal umziehen. Geplant war, die Fernwärmeleitung des Kraftwerks Moorburg genau an seinem Standort langzuführen. „Ich habe drei Wochen bis in die ganzen politischen Gremien hochgeschrieben. Wir waren ja jeden Tag in der Zeitung, sogar Ole von Beust ist vorbeigekommen.“ Besonders tatkräftige Unterstützung bekam er damals von den LKW-Fahrer*innen. „Die haben gesagt, wenn ihr den Container wegnehmt, dann machen wir den Hafen dicht.“ Schließlich durfte Odo vorerst an seinem Standort bleiben. „Wir haben hier erstmal Randale gemacht, anders geht’s nicht, das ist so. Aber hätten wir das alles einfach so hingenommen, dann wären wir 2008 weggewesen, also komplett.“
In der Umgebung wurde trotzdem viel abgerissen und später das Kreuzfahrtterminal gebaut. 2021 war es Peter Tschentscher, der vorbeikam. Vor Odos Imbiss schräg gegenüber von „Blohm+Voss“ hatte es immer wieder Ärger gegeben, weil Lastwagenfahrer*innen ihre Fahrzeuge auf dem neugebauten Radweg parkten. Dieses Mal musste er wirklich umziehen, durfte aber im Hafen bleiben. „Odo gehört schon zum Hafen.“ Anstatt zum Terminal zu gehen und sich dort Kaffee und Brötchen zu holen, geht auch Kadir meistens in die Kaffeeklappe. Er findet es wichtig die kleinen Unternehmer im Hafen zu unterstützen. Seit 16 Jahren kommt er deshalb regelmäßig hier her. Auch den Umzug des Imbisses hat er mitgemacht. Allerdings sei es jetzt schon ein kleiner Umweg, besonders wenn man es eilig hat. Dafür habe er jetzt aber einen Wasseranschluss und eine neue Küche direkt hinter dem Tresen, wendet Odo ein. Er schaut nicht so gerne in die Vergangenheit und konzentriert sich lieber darauf, was gerade ansteht.
„Moin Odo“
„Dein Ernst, ein Hunderteuroschein? Du traust dich was, das hagelt Trinkgeld!“
Draußen wird das Verkehrsrauschen lauter. Inzwischen ist es viertel nach sechs. Tageslicht blitzt durch die Gitterstäbe des Containers. Etwas ungeduldig wechselt Odo den Geldschein von Richie und dann die Kaffeekanne zum Selbstzapfen. Eigentlich wäre er jetzt schon unterwegs, aber er wartet seit gestern auf die nächste Warenlieferung.
Sonderwünsche in der Krise
Eine zierliche grauhaarige Frau betritt den Imbiss. Angelika legt ihre Jacke ab und geht hinter die Theke.
„Moin Angelika, Kaffee läuft!“
„Alles klar“
Angelika kommt, um Odo abzulösen. 25 Jahre führte sie ihr eigenes Restaurant in Moorburg, zuletzt fehlte ständig Küchenpersonal. Noch vor Corona entschied sie sich den Laden zu schließen – ein Glück – vor anderthalb Jahren fragte Odo, ob sie Lust habe bei ihm mitzuhelfen. „Ich mag die Leute, die hierherkommen. Die sind auffällig nett, nur manche reden ein bisschen viel in den drei Minuten, die sie hier sind.“
Sonderwünsche haben die Kund*innen hier eigentlich keine. „Obwohl …“, Odo rennt hinaus, hält Ausschau nach der Lieferung und kommt wieder herein, „…es gab mal eine Phase da wollten alle nur noch unbelegte Brötchen, Getränke und Zigaretten.“ 2003, in der ersten Werftkrise, die er miterlebte, waren viele seiner Stammkunden anderthalb Jahre in Kurzarbeit „Die Leute besinnen sich dann auf das, was ihnen wichtig ist.“ In den Zeiten, in denen es für die Arbeiter*innen im Hafen finanziell nicht so gut läuft, muss er sofort reagieren. „Früher, da hast du vielleicht alle zwei, drei Jahre mal was anders gemacht, um dabei zu bleiben. Heute ist es so, wer weiß was jetzt demnächst wieder kommt.“ Für ihn sei es deshalb wichtig auch in engem Kontakt mit seinen Kund*innen in den Schuppen zu sein.
Andere Zeiten im Hafen
Bei den LKW-Fahrer*innen habe Odo dadurch sofort gemerkt, dass gerade etwas schiefläuft. „Vor einem Jahr waren in Hamburg noch tausende LKW-Fahrer zu wenig, aber seit Dezember müssen viele, die beschäftigt sind, zuhause warten – das merken wir hier sofort.“ Kadir nimmt den letzten Schluck aus seinem Kaffeebecher und geht Richtung Tür. Auch er ist Containerfahrer. „Heutzutage kündigt niemand mehr einen LKW-Fahrer, damit schießt man sich ins eigene Bein. Lieber zahlt man drei Monate und lässt ihn zu Hause liegen.“ Bei dem stressigen Job habe er ehrlicherweise nichts dagegen, auch mal eine Weile zuhause zu sein. Im Moment nerven ihn die ständigen Staus durch Baustellen, die Wartezeiten an den Terminals und vor allem die „Klimakleber“. Aber auf Dauer sei zu Hause herumsitzen auch Nichts. „Schönen Tag euch!“
Inmitten des geschäftigen Trubels stehen plötzlich Biggi und Thomas. „Mal gucken wie das hier schmeckt“. In aller Ruhe begutachten sie die Auswahl an belegten Brötchen. Sie seien heute morgen aus Bielefeld losgefahren und wollten auf dem Weg nach St. Peter-Ording unbedingt mal in „Odo‘s Kaffeeklappe“ vorbeischauen, erzählen die beiden. Den Imbiss hätten sie in einer „NDR”-Reportage gesehen. Thomas entscheidet sich stilecht für eine Frikadelle. Morgens um acht habe er das noch nie gegessen. „Tja, hier sind die Zeiten anders“, antwortet Odo mit einem verschmitzten Grinsen. Er drückt den beiden noch eine „Odos Kaffeeklappe“-Mütze in die Hand und eilt nach draußen. Endlich ist die Warenlieferung da.
Valerie Pfeiffer, Jahrgang 1994, träumte einst davon, für ihren Heimatverein 1.FC Köln zu spielen – im Männerkader. Beim Festkomitee Kölner Karneval machte sie eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau. Dreimal half sie dabei, den Rosenmontagszug zu organisieren und trug dort dann Warnweste statt Kostüm. In Friedrichshafen studierte sie Kommunikation, Kultur und Management, und arbeitete nebenher in einer Agentur für Gesundheitskommunikation – obwohl der Karneval am Bodensee Fasching heißt. In Hamburg sieht es bei diesem Thema noch finsterer aus, trotzdem entwickelte Valerie zuletzt digitale Veranstaltungsformate für die “ZEIT”. (Kürzel: val)