Was wir essen, hat großen Einfluss aufs Klima und unsere Gesundheit. Aber müssen wir uns vegan ernähren, um die Welt zu retten? Und was macht nachhaltige Ernährung eigentlich aus? Die Planetary-Health-Diet liefert Antworten. So sieht das Konzept aus.
Eine Klimaaktivistin, ein Fleischproduzent, ein Ernährungswissenschaftler und eine Rapperin sitzen an einem Tisch. Zwischen ihnen stehen Käseplatten, Weinkaraffen und die Frage, wie eine umweltfreundliche Ernährung aussieht. Joko Winterscheidt hat die vier Gäste in seiner Serie über die Klimakrise „The World’s Most Dangerous Show“ zusammengebracht, die auf Amazon-Prime läuft. Sie alle haben einen unterschiedlichen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit. Und das führt zu Diskussionen – zum Beispiel über die Fleischindustrie. Ex-Bioland-Chef Thomas Dosch, der jetzt für den größten Schweinefleischschlachter Deutschlands arbeitet und Klimaaktivistin Luisa Neubauer sind sich uneinig. „Für mich ist einfach gar nichts eine Lösung, von dem was ihr sagt“, grätscht Rapperin Loredana dazwischen. Klimafreundliche Ernährung ist für sie ein abstraktes Thema, weit weg von ihrem Alltag.
So wie Loredana geht es wohl vielen Menschen in Deutschland. Aber wie wir uns ernähren, beeinflusst die Entwicklung der Klimakrise. 40 Prozent der weltweiten Landfläche werden landwirtschaftlich genutzt. Die Lebensmittelproduktion verbraucht 70 Prozent des globalen Süßwassers und ist für fast ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich. Das, was wir essen, hat also nicht nur einen enormen Einfluss auf Umwelt und Klima. Sondern natürlich auch auf unseren Körper.
Ernährung ist mehr als nur Genuss, sie hängt eng mit unserer Gesundheit zusammen. Mehr Menschen erkranken durch und sterben an falscher Ernährung als durch Alkohol, Tabak, Drogen und ungeschütztem Geschlechtsverkehr zusammen. Weltweit gibt es circa 2,3 Milliarden Menschen mit Übergewicht oder Adipositas und genauso viele, die mangel- oder unterernährt sind. Wie schaffen wir es also, zwei der prominentesten Probleme unserer Zeit zu lösen:
- die Klimakrise
- und das Risiko durch ungesunde Ernährung im Globalen Norden und durch Hunger im Globalen Süden?
Hebel für mehr Gesundheit und Klimaschutz
„Ich fand es krass, als ich erfahren habe, dass es einen ganzheitlichen Ansatz gibt, bei dem uns die Lösung für zwei riesige Probleme ein bisschen auf dem Teller serviert wird“, sagt die Alicia Kaleta, Ökotrophologie-Studentin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Durch ihr Studium ist sie auf die Planetary-Health-Diet aufmerksam geworden. Würde jeder diesem Konzept folgen, würden wir die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens und auch die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen erreichen und alle Menschen hätten potenziell Zugang zu gesunder Nahrung. Das sagen die Wissenschaftler*innen, die das Konzept entwickelt haben.
Genauer handelt es sich um 30 Wissenschaftler*innen aus 16 Ländern der EAT-Lancet Commission. Die Planetary-Health-Diet kombiniert:
- Eine gesunde Ernährung, die bis zu zehn Milliarden Menschen ausgewogen ernährt.
- Eine nachhaltige Ernährung, die planetare Grenzen nicht überschreitet, das sind zum Beispiel Treibhausgase, Wasser- und Flächennutzung, Biodiversität und Übersäuerung der Meere.
- Eine effizientere Ernährung durch verbesserte Produktionsbedingungen und weniger Lebensmittelabfälle.
Nach dem entwickelten Ernährungsplan der Forschenden müsste grob gesagt jede*r doppelt so viele Nüsse und Hülsenfrüchte verzehren wie bisher und dafür nur halb so viel Zucker und rotes Fleisch.
Planetary-Health-Diet: Was kommt auf den Teller?
Der Fokus der Planetary-Health-Diet liegt vor allem auf pflanzlichen Lebensmitteln: Über die Hälfte des Speiseplans besteht aus Obst und Gemüse, daneben gibt es viel Vollkorn und Proteine aus Nüssen und Hülsenfrüchten. Fleisch und Milchprodukte sind ebenfalls Teil des Ernährungskonzepts, jedoch sollten sie nur in kleinen Mengen genossen werden.
Was genau von Region zu Region am Ende auf den Tisch kommt, unterscheidet sich jedoch stark. Das liegt unter anderem daran, dass reiche Länder Lebensmittel im Überfluss haben. Dadurch können sie leichter bestimmte Nährstoffe durch nachhaltigere Alternativen ersetzen, während andere Regionen, speziell im Globalen Süden, überhaupt erst einmal ihre Grundversorgung sichern müssen. Einige Regionen essen also zu viel auf Kosten anderer. Während zum Beispiel die Menschen in Europa und Nordamerika zu viel stärkehaltiges Gemüse wie Kartoffeln und Fleisch konsumieren, nehmen Länder in Südasien von fast allen Arten von Lebensmitteln zu wenige Kalorien ein.
Soll jede*r satt werden, steigen erstmal die Emissionen von Treibhausgase. Aber: Wenn wir uns im Globalen Norden bewusster ernähren, sparen wir theoretisch Treibhausgase ein, die dann der Globale Süden nutzen kann, um mehr zu konsumieren. Insgesamt steigen die Emissionen also nicht.
Auch kulturelle Traditionen sollen in der Planetary-Health-Diet berücksichtigt werden. In Indonesien, Mexiko, Indien, China und Westafrika wird traditionell wenig rotes Fleisch gegessen und in Ländern wie Indien und Taiwan ist der Verzehr von Hülsenfrüchten besonders hoch. Darüber hinaus könnten Proteinquellen wie Insekten, die in Ländern wie Thailand eine große Rolle spielen, eine umweltfreundliche Alternative sein, so die Wissenschaftler*innen der EAT-Lancet Kommission. Auch in Deutschland gibt es erste Produkte im Supermarktregal, die Insekten enthalten.
Was in Deutschland auf den Teller kommt
Für Deutschland würde eine Umstellung auf die Planetary-Health-Diet bedeuten: deutlich weniger Fleisch, vor allem rotes Fleisch und Milchprodukte und mehr Hülsenfrüchte, Gemüse und pflanzliche Fette, wie zum Beispiel Olivenöl oder Nüsse. Komplett verzichten muss man auf nichts. „Man kann im Prinzip alles essen, was man jetzt auch schon isst“, sagt Ökotrophologie-Studentin Alicia. Nur halt von manchem weniger. Einen genauen Speiseplan mit Rezepten für Deutschland hat zum Beispiel der WWF erstellt.
Gleichzeitig sieht die Ökotrophologie-Studentin aber auch, wie groß die Veränderung insgesamt wäre. „Die Ernährung umzustellen, ist sicher nicht für jeden einfach umsetzbar", sagt sie. Wer etwa schwer übergewichtig ist, brauche medizinische Unterstützung. „Wir müssen die Leute auch motivieren und schulen, wie sie das beim Kochen praktisch umsetzen“, sagt sie. Der große Vorteil aus ihrer Sicht: Es gibt eben keine Verbote, das mache es einfacher.
Was sagt die DGE zur Planetary-Health-Diet?
Die Planetary-Health-Diät ist ein globales Ernährungskonzept. Aber auch in hierzulande gibt es eine Institution, die Empfehlungen dazu gibt, wie man sich gesund ernährt: die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Vergleicht man die Ernährungsempfehlungen der DGE und der Planetary-Health-Diet, fällt auf: Beide empfehlen geringe Mengen an Fleisch und tierischen Produkten. Den größten Teil machen pflanzliche Lebensmittel aus. Dennoch gibt es Unterschiede, vor allem beim Thema Milch und Milchprodukte: „Die ausreichende Calcium Versorgung ist ein echter Knackpunkt" , sagt Astrid Donalies, Ökotrophologin und Pressesprecherin der DGE. „Die ist aus unserer Sicht bei der Planetary-Health-Diet sehr viel schwerer zu erreichen".
Die Planetary-Health-Diet geht davon aus, dass jede*r 2500 Kilokalorien (kcal) pro Tag isst und damit auf die empfohlene Menge von 1000 Milligramm Calcium kommt. Kilokalorien sind die Energie, die unser Körper benötigt, um zu funktionieren. Bei jungen Frauen bis 25 geht die DGE aber zum Beispiel eher von einem täglichen Energiebedarf von nur 1900 kcal aus – also 600 kcal weniger als der Referenzwert der Planetary-Health-Diet. Damit also auch Menschen, die weniger Kalorien brauchen, keinen Mangel bekommen, empfiehlt die DGE weiterhin Milchprodukte, erklärt Donalies. Die seien die besten Calcium-Lieferanten.
Eine optimale Calciumversorgung könnte nach der DGE zum Beispiel so aussehen: Ein kleiner Joghurtbecher, ein Glas Milch plus zwei Scheiben Käse. Die Planetary-Health-Diet hingegen empfiehlt höchstens 200 Gramm Milchprodukte täglich, der Rest an Calcium wird durch pflanzliche Lebensmittel wie Brokkoli, Nüsse oder Bohnen gedeckt.
Ein weiterer Unterschied: Bisher achtet die DGE in ihren Empfehlungen vor allem darauf, wie sich die Bevölkerung gesund ernähren kann. „Uns ist aber klar, dass Nachhaltigkeit mit den Aspekten Umwelt, Soziales und Tierwohl da genauso mit reinfließen muss", sagt Donalies. Deswegen überarbeitet die Gesellschaft momentan die Methode für ihre Ernährungsempfehlungen, die Ergebnisse stellt sie voraussichtlich im nächsten Jahr vor. Nicht zuletzt: Die Gemeinschaftsverpflegung – also das Essen in Krankenhäusern, Kantinen, Kitas und Co. – ist ein riesiger Hebel für nachhaltige Ernährung, das betont auch Donalies. Circa 16.000 bis 17.000 Menschen essen täglich in solchen Einrichtungen.
Nachhaltige Option: Klimateller in HAW-Mensa
Öffentliche Stellen und Institutionen können also dazu beitragen, dass ihre Konsument*innen sich nachhaltiger ernähren. So bietet beispielsweise die Mensa des Studierendenwerks Hamburg seit 2011 den sogenannten Klimateller an. Dabei werden besonders klimafreundliche Gerichte mit einem vergleichsweise niedrigen CO2 Wert mit einem Siegel versehen.
„Der Klimateller enthält keine Artikel, die einen hohen CO2-Wert verursachen. Deshalb verwenden wir kein Fleisch und keine Milchprodukte mit einem höheren Fettanteil als 15 Prozent absolut", erklärt Frauke Richter vom Qualitätsmanagement der Hochschulgastronomie. Zusammen mit dem Verein GreenFlux entwickelte das Studierendenwerk Hamburg das Konzept des Klimatellers. Die Organisation hat vor allem den wissenschaftlichen Hintergrund geliefert.
Obwohl der Klimateller allgemein klimafreundliche Gerichte kennzeichnet, ist er nicht direkt an das Ernährungskonzept der Planetary-Health-Diet angelehnt. „Unser Motto ist, wir erhöhen den Anteil der veganen und vegetarischen Gerichte, es wird aber auch immer noch Gerichte wie Currywurst geben. So hat der Kunde selbst die Möglichkeit, die Planetary-Health-Diet zu verfolgen", sagt Richter.
Von der Mensa zurück an den Tisch mit Joko und seinen Gästen. Nach vierzig Minuten Austausch und Diskussionen sind die Weingläser und Teller fast leer. Luisa Neubauer kommt zu dem Schluss: „Ich glaube fast, die größte Hürde ist, dass man entweder denkt, es wäre schon zu spät. Oder ich kann doch eh nichts machen. Oder das ist viel zu viel“.
Dabei liegt die Lösung auch auf dem Teller. Konzepte wie die Planetary-Health-Diet zeigen, dass es bereits wissenschaftlich fundierte Lösungswege gibt, die mit dem Pariser Klimaabkommen und den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen vereinbar sind. Das macht das Thema nachhaltige Ernährung zwar nicht weniger komplex und emotional – erlaubt aber vielleicht, etwas hoffnungsvoller in die Zukunft zu blicken.