Erstmals taucht im Abschlussdokument eines Weltklimagipfels die Abkehr von fossilen Energien auf. Ein Durchbruch? Und was hat das mit gesellschaftlicher Energie zu tun? FINK.HAMBURG hat mit dem Soziologen Stefan Aykut über die COP28 gesprochen.
Prof. Dr. Stefan Aykut ist Mercator-Stiftungsprofessor für Soziologie an der Universität Hamburg. Er forscht seit über zehn Jahren zu globaler Klimapolitik und zu den gesellschaftlichen Dynamik der Klimawende und beschäftigt sich unter anderem damit, wie sich das Format der Klimakonferenzen verändert hat. Für sieben Tage war er selbst bei der Klimakonferenz – als wissenschaftlicher Beobachter.
FINK.HAMBURG: Ganz banal gefragt: Was hat Soziologie mit der Klimakrise und mit Klimapolitik zu tun?
Stefan Aykut: Wir wissen jetzt schon seit einiger Zeit, dass wir ein Problem haben. Und eigentlich auch mehr oder weniger, was deshalb zu tun ist. Warum tun wir es nicht? Die ökonomischen Modelle zeigen uns, dass es gar nicht so teuer ist, gegen die Klimakrise aktiv zu werden. Wir kennen technologische Lösungen. Aktuell wissen wir aber noch zu wenig über die sozialen Prozesse, die so tiefe Transformationen, wie die zur Klimaneutralität, antreiben beziehungsweise behindern. Das heißt, wir müssen mehr darüber erfahren, wie die Prozesse des sozialen Wandels eigentlich funktionieren. Und das ist genau mein Forschungsgebiet.
FINK.HAMBURG: Was sind das dann beispielsweise für Prozesse?
Stefan Aykut: Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass es große Mobilisierungen gab, gerade bei Jugendlichen. Für uns in der Wissenschaft ist die Frage, inwiefern das tatsächlich die Klimapolitik antreibt und wie wir die Effekte von einer solchen Mobilisierung verstehen können? Anderes Beispiel: Wir haben jetzt eine ganze Reihe von Unternehmen, die sagen, sie möchten was fürs Klima tun – die ihre Emissionen offenlegen, die teilweise auch freiwillige Selbstverpflichtungen unterschreiben. Wir beschäftigen uns damit, inwiefern man daraufhin einen Beitrag zur Reduktion erwarten kann. Daraus ließe sich etwa ableiten, inwiefern man von globalen Klimakonferenzen eigentlich eine Lösung erwarten kann und wie Klimakonferenzen soziale Bewegungen beeinflussen und umgekehrt?
Die deutschen Fridays For Future sind auf großes Unverständnis gestoßen
FINK.HAMBURG: Sie haben gerade soziale Bewegungen angesprochen. Wie haben Sie denn die Rolle und Position von Fridays for Future wahrgenommen? Die deutsche Fraktion ist ja doch ein bisschen im Clinch mit der internationalen Fraktion.
Stefan Aykut: Ja, das war tatsächlich auf dieser COP sehr interessant zu beobachten. Ich glaube, dass die deutsche Fraktion von Fridays for Future im Vorfeld der COP in einer sehr schwierigen Situation war und national unter großem Druck stand – nach den Äußerungen von Greta Thunberg, die als einseitig und empathielos gegenüber den israelischen Opfern nach dem Angriff durch die Hamas empfunden wurden.
Gleichzeitig war ich auf der COP mit verschiedenen Teilen der internationalen Klimabewegung in Kontakt. Da hatte man das Gefühl, dass die Position der deutschen Fraktion von Fridays For Future teilweise auf sehr großes Unverständnis gestoßen ist. Deutsche Aktivisten waren recht isoliert und haben an vielen Aktionen nicht teilgenommen. Denn der Krieg in Gaza war ein sehr präsentes Thema in vielen der Aktionen.
Daran zeigt sich eine große Herausforderung: Es ist ziemlich schwierig, eine globale Bewegung aufzubauen in einer so gespaltenen und konfliktgeladenen Welt wie der jetzigen. Das heißt, die Palästina-Frage spaltet nicht nur geopolitisch, also zwischen den Staaten, sondern auch innerhalb der sozialen Bewegungen.
FINK.HAMBURG: Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert hat auf LinkedIn gesagt, dass die Staaten auf dieser „Fake-Klimakonferenz” unsere Zukunft verspielen. Sie haben ihr widersprochen. Warum sehen Sie das anders?
Stefan Aykut: Ich glaube wirklich, dass diese einfache Kritik an Klimakonferenzen am Thema vorbeigeht und verkennt, was Klimakonferenzen sind und was sie liefern können. Wir leben in einer Welt, die zerstritten und uneins ist. Wir leben in einer Welt, die mehr Multilateralismus braucht, nicht weniger. Deswegen sind diese jährlichen Treffen zum Klima unverzichtbar. Denn hier kommen tatsächlich fast alle Staaten der Welt zusammen und vor allem auch Staaten, die sonst nicht miteinander reden oder teilweise auch im Krieg miteinander sind. Auf diesen Konferenzen konzentrieren sich globale Klimadebatten, sie werden sichtbar und dadurch auch für Medien und Bürger transparent. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Funktion von Klimakonferenzen, die nicht zu unterschätzen ist.
Wir sehen auch in unserer Forschung, dass mehr über Klima und Klimapolitik berichtet wird während der Klimakonferenzen. Das macht natürlich dann auch etwas mit der nationalen Politik. In dem Moment ist auch die nationale Politik mehr unter Druck, sich zu äußern und das Klima auf die Tagesordnung zu setzen. Es gibt also vielfältige Effekte von Klimakonferenzen, die über das Abschlussdokument hinausgehen.
Ich wünsche mir Mehrheitsentscheidungen auf Klimakonferenzen
Für die Abschlusserklärung benötigt man die Zustimmung aller Staaten, damit die Entscheidung bestand hat. Das kann manchmal gut sein, das kann aber manchmal auch hinderlich sein. Wie sehen sie das im Kontext der Weltklimakonferenzen?
Stefan Aykut: Über die Abstimmungsregeln wird auf den Klimakonferenzen jedes Jahr immer wieder aufs Neue diskutiert. Aber die Länder einigen sich immer darauf, sich nicht einigen zu können. Also bleibt am Ende nur das Konsensprinzip. Konsens heißt übrigens nicht, dass alle zustimmen müssen, aber niemand darf widersprechen. Prinzipiell kann ein einziges Land also alles blockieren. De facto ist es zwar relativ schwierig, wenn man sich so exponiert, indem man als einziges Land widerspricht. Grundsätzlich würde ich mir dennoch wünschen, dass es Mehrheitsentscheidungen auf Klimakonferenzen gibt. Das wird aber nicht kommen. Was das ganz konkret heißt: Die Klimakonferenzen, so wie sie jetzt organisiert sind, können der globalen Klimadebatte immer nur hinterherhinken. Sie können nur Dinge absegnen, die eigentlich in den nationalen Debatten und der Politik vieler Länder schon länger reif sind.
FINK.HAMBURG: Braucht es eventuell neue oder weitere Institutionen, die die globale Klimapolitik überwachen oder eine Art Korrektiv bilden, um das Ganze zu beschleunigen?
Stefan Aykut: Absolut. Was wir im Moment auch sehen: Auf Klimakonferenzen gibt es häufig Momente, in denen andere Erklärungen, Abkommen oder Initiativen gestartet werden. Dieses Jahr hatten wir beispielsweise eine Erklärung zu fossilen Subventionen, die lanciert wurde, unter anderem mit europäischen Staaten. Deutschland war nicht dabei. Außerdem gab es neue Unterstützer des sogenannten Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty, also einer Initiative, die darauf abzielt, fossile Energien international zu ächten und den Export von fossilen Energien nach und nach unmöglich zu machen.
700 Millionen sind ein Tropfen auf den heißen Stein
FINK.HAMBURG: Am Anfang der COP wurde bekannt, dass sich die Staaten auf den Loss and Damage Fund einigen konnten. Wie sehen Sie das, ist das ein Erfolg?
Stefan Aykut: Es kommt drauf an. Es ist auf jeden Fall erstmal ein Erfolg. Fragezeichen gibt’s vor allem bei der Frage, wie der Fonds in Zukunft befüllt wird. Es wurden jetzt zunächst einmal 700 Millionen Finanzierungen von verschiedenen Staaten zugesagt. 700 Millionen sind aber ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn wir überlegen, dass alleine die Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal und an anderen Flüssen 30 bis 40 Milliarden Euro an Schäden verursacht hat. Und das war ein einziges Ereignis. Was können also diese 700 Millionen bei Klimaschäden bewirken, die wir heute schon beobachten und in Zukunft auch haben werden. Und es sind auch noch weitere Frage offen: Wie kann man sicherstellen, dass die Zahlungen verlässlich gezahlt werden? Wie zeitnah werden diese Mittel gezahlt?
FINK.HAMBURG: Annalena Baerbock hat zum Beispiel gesagt, dass ihr nach der Abschlusserklärung bei der COP ein riesiger Stein vom Herzen gefallen sei und dass die Welt jetzt das Ende des fossilen Zeitalters beschlossen habe. Ist Ihnen auch ein Stein vom Herzen gefallen?
Stefan Aykut: Erstmal muss man ganz klar sagen: Die Welt hat nicht beschlossen, dass das Ende des fossilen Zeitalters eingeläutet wurde. So etwas kann eine COP nicht ‚beschließen‘. Was passiert ist, ist das zum ersten Mal tatsächlich die Abkehr von fossilen Energien explizit in einem Abschlussdokument einer COP auftaucht. Was die Formulierung angeht, die letztlich gefunden wurde – transitioning away statt phase out – wir sicher auch mehr erwarten können. Ich finde nicht, dass das jetzt ein historischer Durchbruch ist. Es ist aber ein weiterer Schritt auf einem langen Weg. Wir sehen, dass die fossilen Energien immer mehr in das Zentrum von Verhandlungen auf COPs rücken. Wir hatten lange Zeit eine sehr bizarre Situation, in der das Wort fossile Energien quasi nicht in den Klimaverhandlungen vorkam. Im Pariser Klimaabkommen steht nichts über fossile Energien. Das muss man sich mal vorstellen. Jetzt diskutieren wir endlich über fossile Energieträger und das ist ein Fortschritt
FINK.HAMBURG: Die nächste COP soll in Aserbaidschan stattfinden – auch ein Land, das ähnlich mit fossilen Brennstoffen verbunden ist wie die Vereinigten Arabischen Emirate. Außerdem kommt der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan hinzu. Inwiefern ist das Vergabesystem der UN mit den Weltregionen sinnvoll?
Stefan Aykut: Ich glaub, es ist gut, dass die COP an verschiedenen Orten stattfindet. Die COP trägt das Klimathema jeweils in ein Land. Gleichzeitig bringt es auch eine ganze Reihe von Problemen mit sich. Denn solche Vergabeverfahren laufen teilweise sehr intransparent und problematisch nach geopolitischen Spielchen ab. Was jetzt bei der Entscheidung bemerkenswert war: Klimapolitik hat vielleicht zum ersten Mal zu einer geopolitischen Entspannung beigetragen. Ich hab mir die Erklärung von Aserbaidschan und Armenien angeguckt. Unter anderem erklären die Staaten darin, dass Gefangene ausgetauscht werden und sie sich gegenseitig bei internationalen Bemühungen unterstützen.
Die gesellschaftliche Energie macht mir Mut
FINK.HAMBURG: Was macht Ihnen Hoffnung, dass wir global noch angemessen auf die Klimakrise reagieren können?
Stefan Aykut: Es gibt zwei Dinge, die Hoffnung machen. Das eine ist tatsächlich die technologische Dynamik der erneuerbaren Energien. Da ist was losgetreten, was sich so schnell nicht stoppen lassen wird. Wir sehen unter anderem in China, dass wahrscheinlich in den nächsten Jahren der Peak der Emissionen erreicht wird. Es scheint auf jeden Fall so, dass der Ausbau von Erneuerbaren in so einem rasanten Tempo geht, dass die fossilen Energien zu einem gewissen Teil verdrängt werden. Das wird aber nicht reichen. Wir müssen explizit auch Phase-Out-Politik [Anm. d. Red.: Eine Politik, die den vollständigen Ausstieg aus fossiler Energie anstrebt] betreiben, so wie mit dem Kohleausstieg in Deutschland.
Deswegen eine zweite Sache, die mir Mut macht: Trotz aller geopolitischen Krisen in der Ukraine oder zwischen Israel und Gaza behauptet sich die Klimabewegung in ihrer Vielfältigkeit. Natürlich sind die Demonstrationen nicht mehr so groß. Man sieht aber wie das Klimathema mittlerweile in ganz viele gesellschaftliche Bereiche eingedrungen ist. Diese gesellschaftliche Energie macht mir Mut, weil wir werden sie brauchen, wenn wir tatsächlich eine klimaneutrale Gesellschaft aufbauen wollen.
Wenn Jolan Geusen, Jahrgang 2000, nicht gerade Tofuhack-Bolognese kocht, hört er Fußball-Podcasts. Seit einem Kreuzbandriss fährt er allerdings Rad, statt zu kicken. Als Kind wollte er Archäologe werden, entschied sich dann aber zum Studium der Politik- und Medienwissenschaft in Bonn. Journalistische Erfahrung sammelte er beim ARD MoMa, nebenbei arbeitet Jolan als freier Mitarbeiter beim „Bonner Generalanzeiger“. Der gebürtige Eifler kann bei 150 “Drei ???”-Folgen anhand der ersten 20 Sekunden den Titel benennen. Bis heute würde er gern einmal ein Bier mit den Sprechern der drei Detektive trinken. (Kürzel: lan)