Sozialkaufhaus Spendabel
So sieht der Verkaufsraum des Sozialkaufhauses aus. Foto: Mielke/Nalbani

Das Sozialkaufhaus Spenda Bel in der Fuhlsbüttler Straße ist eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit geringem Einkommen. Nun muss es schließen. Leidtragende sind die Menschen, die dort einkaufen und arbeiten. 

Eine Reportage von Gina Mielke und Sina Nalbani

Der Wind peitscht den Schneeregen gegen die Fensterfront, während eine Angestellte mit flinken Fingern Beträge in die Kasse tippt. Das Geschäft, in dem sie arbeitet, ist bunt und einladend gestaltet. Die Lichterketten im Schaufenster trotzen der unscheinbaren Backsteinfassade und dem Hamburger Schietwetter. Auch der Innenraum ist sorgsam dekoriert: Die Kleidung wurde gut sortiert in die Regale gelegt, alle Preisschilder sind per Hand geschrieben. Es riecht ein bisschen muffig – so wie in jedem Secondhand-Laden.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.

Neben Klamotten, Accessoires und Schuhen finden sich im Spenda Bel in der Fuhlsbüttler Straße auch Bücher, kleine Möbelstücke, Kinderwagen und Spielzeuge. Wer im sogenannten Sozialkaufhaus einkaufen möchte, muss weniger als 1.402,28 Euro im Monat zur Verfügung haben – das entspricht der aktuellen Pfändungsfreigrenze für Alleinstehende. Die Regale wirken wie Behälter für Geschichten. Alle Waren, die für kleines Geld angeboten werden, wurden gespendet und – wenn nötig – aufgearbeitet. Während Kund*innen durch die Gänge des kleinen Verkaufsraums stöbern, klackern im Nebenraum die Nähmaschinen im Akkord.

Das Spenda Bel steht vor dem Aus

Die hauseigene Textilwerkstatt des Spenda Bels hat eine große Fensterfront, blauen Teppichboden, einen riesigen Wandbehang aus Jeanshosen, viele Bilder und Pflanzen. Im Raum verteilt stehen Tische mit Nähmaschinen – dazwischen selbstgenähte Taschen und Kleidungsstücke, die nebenan angeboten werden. Alle Materialien, mit denen hier gearbeitet wird, wurden gespendet. Einzig der Haufen von leeren Umzugskartons, der in einer Ecke des Raums steht, trübt die Wohnzimmeratmosphäre und deutet auf die traurige Zukunft des Spenda Bels hin. Bald ist hier Schluss.

Der Blick ins Schafenster des Spenda Bel. Foto: Mielke/Nalbani
Der Blick ins Schafenster des Spenda Bel. Foto: Mielke/Nalbani

Das Sozialkaufhaus des Trägers Einfal, eine gemeinnützige GmbH, muss im Februar 2024 seine Türen schließen. Grund dafür sind Budgetkürzungen für die sogenannten Arbeitsgelegenheiten (AGH). Diese Maßnahmen sollen eigentlich Langzeitarbeitslosen und Menschen, die aus anderen Gründen nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten können, helfen, in den Arbeitsalltag zurückzufinden – ohne Druck, übermäßige Verantwortung oder bürokratische Hürden.

Für Hamburg wurden nun knapp die Hälfte aller Plätze gestrichen. 730 Langzeitarbeitslose, die in AGH-Projekten bei Hamburger Trägern beschäftigt sind, wurden somit Ende Januar 2024 entlassen. Die Haushaltskürzungen des Bundes hätten zwingend Einfluss auf die Angebote des Jobcenters und damit auf die Anzahl der bewilligten Arbeitsgelegenheiten, so Heike Böttger, Pressesprecherin des Jobcenter Hamburg. Mit allen aktuell im Spenda Bel beschäftigten Teilnehmenden führe das Jobcenter zurzeit Gespräche, um individuell passende Anschlussperspektiven anzubieten.

Vom eigenen Café zur Textilwerkstatt

Eine der Angestellten ist Simonetta. Die junge Italienerin trägt ein dunkelgrünes Samtkleid, roten Lippenstift, die langen dunklen Haare fallen ihr in Wellen über die Schultern. Einst habe sie ihr eigenes Café gehabt, erzählt sie zurückhaltend lächelnd. Dann kam die Pandemie. Doch Corona bedeutete nicht nur das wirtschaftliche Aus für ihr Café, auch gesundheitlich ist sie seitdem sehr angeschlagen. Simonetta kämpft mit Long-Covid und chronischer Erschöpfung, ist schnell unkonzentriert. Dadurch ist es ihr nicht möglich, einer normalen Vollzeitstelle nachzugehen. Seit zwei Monaten arbeitet sie daher im Spende Bel – jeden Tag für vier Stunden. Mehr schafft sie nicht.

Simonetta zeigt eine selbst genähte Tasche. Foto: Mielke/Nalbani
Simonetta zeigt eine selbst genähte Tasche. Foto: Mielke/Nalbani

In der Regel verbringen Menschen in der AGH-Maßnahme ein Jahr im Spenda Bel. Dabei durchlaufen sie den Verkauf, die Sortierstation, die Textil- und die Holzwerkstatt. Die Teilnehmer*innen wechseln alle drei Monate die Station. Anschließend wird entschieden, wo ihr größtes Potenzial liegt, und dort verbringen sie dann die verbleibende Zeit.

Vorerfahrungen brauchen die Teilnehmenden nicht. Jessica Werk und Julia Brandt betreuen als Angestellte des Trägers das Spendabel. Aktuell haben sie 17 Teilnehmer*innen. Neben dem Verkauf und der Textilwerkstatt gibt es auch noch eine Holzwerkstatt im Keller.

In der Textilwerkstatt können die Teilnehmer*innen einen Nähmaschinenführerschein machen. Dieser besteht aus drei Seiten und beginnt mit der Seite „Maschinenkörper kennenlernen“. Jessica Werk zeigt allen Neuankömmlingen, wie man die Maschinen bedient. Dann müssen sie ein Probestück nähen und vorgezeichnete Linien nachnähen. Wer das gemeistert hat, bekommt den Führerschein. Mit diesem können sie sich auch woanders qualifizieren. Eine Teilnehmerin hat eine Ausbildung zur Schneiderin angefangen, erzählt die Betreuerin stolz.

Mit wenig Druck in den Arbeitsalltag zurückkehren

Auch Simonetta hat schon viele Stücke genäht. Einige davon sind im Schaufenster ausgestellt. Dies ist besonders für sie, da sie früher selbst Kundin im Spendabel war und weiß, dass die Ware im Schaufenster besonders in den Blick fällt. So wurde Simonetta auf die Textilwerkstatt aufmerksam.

Im Spenda Bel hat sie gelernt mit wenig Druck zu arbeiten. Das sei das Ziel des Projekts, sagt auch Jessica Werk. Im Spendabel gehe es darum, kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen, denn „selbst, wenn man mal vor einer Hürde steht, braucht man nicht aufgeben“, so die Betreuerin. Wichtig ist es, mit Zuversicht und Geduld zu arbeiten und dabei etwas Handfestes zu erlernen. „Näharbeit kann furchtbar frustrierend sein, damit lernt man umzugehen. Dies lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen: „Wie gehe ich an Dinge heran? Wie finde ich Lösungen für meine Probleme?”, so Werk.

Julia Brandt bezeichnet das Spenda Bel als ein Komplettpaket. „Es sind drei bis vier Stellenprofile in einem, man kann sich kreativ austoben, man hat den Kontakt zu den Kunden, den Verkauf, es ist tolle Ware und das Publikum ist total unterschiedlich“, erzählt sie.

“Die Auswirkungen sind katastrophal”

Die Kisten sind gepackt im Spanda Bel. Foto: Mielke/Nalbani
Die Kisten sind gepackt im Spanda Bel. Foto: Mielke/Nalbani

Die Schließung des Spenda Bels beschäftigt alle Beteiligten sehr. Insgesamt sind durch die Kürzungen 34 Projekte betroffen, meist in sozialen Brennpunkten der Stadt. Das bedeutet, dass Langzeitarbeitslose, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder (Allein-) Erziehende noch weniger Angebote der sozialen Beschäftigung haben. “Sozialkaufhäuser werden in den Quartieren fehlen, deren Wohnbevölkerung von preiswerten Angeboten profitiert hat”, sagt Grietje Bergmeyer, Geschäftsführerin der Einfal gGmbH. Das gelte auch für Unterstützungsangebote für Senioren, Migrant*innen und mobilitätseingeschränkte Menschen. Besonders ärgerlich sei dies, weil das Projekt erst vor ein paar Jahre eröffnet wurde – im Zuge einer Entscheidung des Jobcenters, gerade solche sozialen Einrichtungen zu fördern.

„Die Auswirkungen sind katastrophal. Wir haben viele Teilnehmende, die sind ganz erschüttert, weil sie nicht wissen, wie es danach weitergeht“, sagt Jessica Werk. Es gebe die einen, die einfach zu Hause sitzen und Bürgergeld beziehen, aber auch diejenigen, die damit nicht zufrieden seien. „Die zurückwollen und aktiv sind, aber jetzt keine Chance mehr haben, aktiv zu werden“, sagt sie besorgt.

Doch nicht nur die Angestellten leiden unter den Kürzungen, auch die Kund:innen des Sozialkaufhauses sind betroffen. Das Spendabel ist ein sozialer Anlaufpunkt für alle Menschen, die unter der Einkommensgrenze leben. Ein Ort der Zuflucht und Gemeinschaft, der nun wegen der Budgetkürzungen wegfällt.

Erst schließt die Werkstatt, dann der Laden

Kurz vor Ladenschluss. Noch immer tummelt sich eine Handvoll Menschen im kleinen Verkaufsraum. Sie stöbern und schnacken, kennen sich teilweise beim Namen. „Das Spendabel bringt ein wenig Normalität ins Viertel zurück“, so ein Stammkunde, der sich gerade durch einen Haufen Kinderkleidung wühlt.

Zumindest für die Kundschaft des Spenda Bel gibt es noch eine kurze Schonfrist. Bis zum 30. April konnte eine Übernahme der Finanzierung durch die Sozialbehörde erwirkt werden, allerdings nur für den Verkaufsbereich. Mit den Werkstätten ist im Februar Schluss.

Am späten Nachmittag schließt das Spenda Bel seine Türen. Der Laden ist leer, alle Kunden sind gegangen. Auch Simonetta macht sich auf den Heimweg. Für sie endet der Tag mit einem Gefühl von Abschied und Unklarheit, denn wie es für sie nach der Schließung weitergeht, ist noch ungewiss.