Die Musikerin Antje Schomaker hat mit „Ich Muss Gar Nichts” gezeigt, was sie von gesellschaftlichen Erwartungen hält. Dieses Selbstbewusstsein hatte sie nicht immer. Wodurch es zeitweise zerstört wurde und wie sie es wieder gefunden hat, erzählt sie FINK.HAMBURG im Interview.
Du hast systematische Musikwissenschaft in Hamburg studiert und dir dafür auch länger Zeit gelassen. Warum?
Ich habe immer gedacht, dass ich Sicherheit brauche: Wenn ich nach Hamburg gehe, dann muss ich mehr als nur Musikmachen als Grund haben, ich brauche auch ein Studium. Für den Bachelor habe ich dann 13 Semester gebraucht, weil ich währenddessen mein Debütalbum geschrieben habe. Da war das Studium natürlich nicht meine Priorität. Abgeschlossen habe ich es letztendlich für meine Oma. Wenn ich ihr zum Beispiel erzählt habe, dass ich live im Morgenmagazin aufgetreten bin, hat sie nämlich immer gefragt: „Ja, und was ist mit dem Studium?” Damit diese Frage endlich aufhört, habe ich es abgeschlossen.
Hilft dir denn aus deinem Studium noch etwas fürs Musikbusiness?
Vielleicht kann ich Musikrecht oder Musikpsychologie noch ein bisschen gebrauchen. Ich habe auch ein bisschen Ahnung von Mischpulten und so bekommen. Aber das ganze Mathematische, Raumakustik und warum jetzt eine Saite schwingt, das brauche ich ja gar nicht mehr. Trotzdem finde ich es cool, dass ich jetzt sagen kann: Ich habe den Bachelor!
Warum hast du eigentlich nicht beim Popkurs an der Hamburger Musikhochschule mitgemacht? Der gilt ja als DIE Adresse für Newcomer*innen, die sich vernetzen wollen. Da haben sich zum Beispiel auch Wir Sind Helden oder Boy kennengelernt.
Ich wollte da immer mitmachen und viele meiner Freund*innen haben den Kurs auch gemacht. Stattdessen habe ich mich quasi reingesoffen in die Branche (lacht). Es ist leider so. Ich habe in meinen Zwanzigern in Hamburg sehr viel Zeit in der Daniela Bar verbracht. Da habe ich durch Johannes Oerding, den ich vorher schon kannte, auch meine Bandmitglieder Felix und André kennengelernt. Beim Popkurs geht es ja vor allem darum, Mitmusiker*innen kennen zu lernen und mit ihnen Bands zu gründen. Die hat mir Johannes Oerding schon besorgt, zusammen mit viel Bier.
Du arbeitest ja auch als Sprecherin, zum Beispiel für Werbespots. Wie hat sich das ergeben?
Das kam tatsächlich durch einen Bekannten, der meinte: „Du hast voll die angenehme Sprechstimme. Möchtest du mal etwas einsprechen für einen Werbespot?” Das habe ich gemacht und mich dann durchgesetzt gegen andere. Ich habe vorher schon Voiceover auf Instagram gemacht, also meine Stimme über Videos gelegt. Mir haben dort auch oft Leute gesagt, dass sie meine Stimme mögen. Die meinten: „Mach doch mal einen Podcast!”, was ich auch gemacht habe, oder: „Warum bist du nicht bei der App ,Calm´ zu finden? Ich möchte dich beim Einschlafen hören.” Dann habe ich gedacht: Wenn so viele Leute mir das immer wieder sagen, dann muss ich da auch was draus machen.
Auf deinem Album „Snacks” coverst du „Alles neu” von Peter Fox. Ist das ein Song, den du gerne selbst geschrieben hättest?
Naja, in dem Song gibt es die Zeile: „Ich verbrenn’ mein Studio, schnupfe die Asche wie Koks.” In meinem Song „Ich muss gar nichts” singe ich aber: „Kokain und Geld ist nicht so meine Welt”. Deshalb hat mich jemand gefragt, ob ich mir da nicht selbst widerspreche. Ich finde aber, dass ich bei Coversongs auch Sachen singen darf, die ich selber nicht so texten würde. Das ist finde ich auch die Schönheit von Coversongs. Es gibt keinen Song, wo ich jede Zeile komplett übernehmen wollen würde. Okay, ich hätte gerne „Wonderwall” geschrieben.
Apropos Hits: „Ich muss gar nichts” ist ja ziemlich viral gegangen. Hat dich das überrascht?
Den Song habe ich nur für mich herausgebracht, weil er mir wichtig war. Mein ganzes Team meinte: Den sehen wir jetzt nicht so als Single. Kannst du gern rausbringen, aber wird dann nicht promotet. Ich habe das Video ohne Budget mit meiner besten Freundin Emily Roberts mit meinem Handy gedreht. Auf einmal ging das Video viral und ich dachte: Was zur Hölle?! Da hilft es dann echt immer, auf sein Bauchgefühl zu hören. Ich erwarte nicht mehr, dass irgendwas durch die Decke geht. Mir sind auch Charts generell nicht so wichtig. Die Songs, die im Radio laufen, sind ja auch eher EDM-lastig.
Dein zweites Album „Snacks” klingt eher nach Indiepop als dem Singer-Songwriter-Stil deines Debütalbums. Auch die Produktion der Songs wirkt ausgereifter. Wie ist es denn zu dieser Entwicklung gekommen?
Ich habe einfach mehr Möglichkeiten gehabt, meine Vision umzusetzen. Ich kann jetzt mit Menschen zusammenarbeiten, die musikalisch besser sind als ich. Früher habe ich meine Songs immer alleine mit meiner Gitarre im WG-Zimmer geschrieben. So ist auch mein erstes Album entstanden. Bei meinem zweiten Album habe ich mit Felix, einem sehr guten Freund, Gitarristen und Produzenten zusammengearbeitet. Wenn ich zum Beispiel einen bestimmten Gitarrenpart im Kopf habe, dann kann er den ganz schnell spielen und ich nicht. Deswegen klingt mein zweites Album anders als das erste.
Welche Hamburger Musiker*innen feierst du denn sonst noch?
Brockhoff ist toll. Sie hat Paolo Nutini auf einem Konzert supportet. Das fand er dann so toll, dass er sie jeden Abend gefragt hat: Kannst du morgen auch? Und dann ist sie einfach die komplette Europatour mit gefahren. Felix, mein Produzent, hat mit ihr Songs geschrieben und meinte irgendwann: Die ist super, willst du dich nicht mal mit ihr treffen? Ich bin immer sehr dafür, mich zu vernetzen.
Bist du also gerne eine Mentorin für Hamburger Newcomerinnen?
Ja. Philine Sonny habe ich zum Beispiel geschrieben, als sie nur ein Video von einem Coversong oder einer Songskizze auf Insta gepostet hatte: „Hey, du machst das super. Wenn du irgendwie Hilfe brauchst oder eine große Schwester in der Branche: Hier ist meine Telefonnummer.” Ich glaube, man braucht einfach Leute, die schon in der Branche sind, die sagen: So wie du das machst, ist es richtig, lass dich nicht verbiegen.
Wie hast du dir dieses Selbstbewusstsein denn für dich selbst erarbeitet?
Ich habe über viele Jahre erst lernen müssen, dass es richtig ist, wie ich bin. Zum Beispiel war ein Learning, als Straßenmusikerin in Dublin: Nicht meine Stimme ist zu leise, sondern die Straße ist zu laut. Also darf ich mir auch ein Mikrofon dafür holen und muss nicht schreien wie Henning May. Selbstakzeptanz ist immer noch so ein Ding bei mir. Vorletztes Jahr hatte ich eine Erschöpfungsdepression. Und dadurch habe ich erst gelernt, richtig auf mich aufzupassen. Mein Selbstbewusstsein war auch nach einer toxischen Beziehung, über die ich auch singe, sehr gering. Deswegen habe ich irgendwann angefangen, nein zu sagen, abzusagen, Grenzen zu setzen und auf mich aufzupassen.
Darüber, wie gut oder schlecht das manchmal klappt, singst du ja auch in „Zeit heilt einen Scheiß”.
Ja, weil ich einfach auch sehr wütend war. Mein Exfreund hatte sehr narzisstische und psychopathische Züge. Deswegen singe ich auch in dem Song: „Schreib lieber Lieder, die er wieder nicht verdient.” Es geht gar nicht darum, dass er mir noch was bedeutet. Stattdessen geht es darum, dass er sehr massiven psychischen Schaden angerichtet hat, den ich wieder abbauen musste.
Ist aus diesem Prozess auch dein zweites Album „Snacks” entstanden?
Genau, weil ich zum Beispiel auch sehr viele internalisierte Sexismen in mir hatte. Deswegen habe ich zum Beispiel immer sehr weite Klamotten angezogen. Bei „Snacks” dachte ich so: Leute, ich bin jetzt sexy und nehme mir, was ich will. Manchmal lernt man eben erst durch eine Erschütterung, sich zu verändern.
Lass uns zum Abschluss mal nach vorne schauen: In welcher Hamburger Location würdest du gerne mal spielen?
Es wäre natürlich krass, die Elbphilharmonie auf der Bucket List abzuhaken. Andererseits würde mich das massivst überfordern, weil ich immer alle Leute glücklich machen will: In der Elphi schauen die Leute von allen Richtungen auf dich. Dadurch kehrst du ja immer wieder Leuten den Rücken zu. Ich würde aber immer gleichzeitig alle Leute angucken wollen und dadurch einen Drehwurm bekommen. Deswegen würde ich in der Elphi vielleicht im Liegen spielen (lacht). Ich liebe aber das Uebel und Gefährlich, in dem ich schon gespielt habe. Vor allem, weil es dort immer nach Lilien riecht, die da in großen Blumenvasen stehen. Und ich liebe das Team. Ich habe da früher auch gearbeitet und Poetry Slams mit veranstaltet. Es gibt Läden, wo ich einfach immer gerne wieder bin und das ist einer meiner Lieblingsläden.
Luca Bradley, Jahrgang 1998, hätte fast Louis geheißen, weil sein Vater Louis Armstrong so liebt, doch seine Mutter legte ihr Veto ein. Luca stammt aus Dormagen, aber mindestens eine Hälfte seines Herzens schlägt für das Geburtsland seines Vaters, England. Er liebt eigentlich jede Art von Musik, außer Schlager und Metal. Luca spielt zwar nicht Trompete wie Louis Armstrong (und nur miserabel Horn), singt aber in einer Big Band und auf Hochzeiten, spielt Gitarre und Klavier. In Düsseldorf studierte er Sozialwissenschaften und startete währenddessen seinen eigenen Musik-Podcast – natürlich über alles außer Metal und Schlager. (Kürzel: luc)