Was beschäftigt Menschen unter 30? Wir haben in unserer Community nachgefragt. Ein großes Thema: mentale Gesundheit. FINK.HAMBURG-Redakteurin Jana Rogmann stellt im ersten Teil der Serie “Aus den 20ern” fest, dass das einstige Tabuthema immer offener behandelt wird und gibt Tipps.
Titelbild: Illustration von Florentine Sießegger, Icon: Illustration von Elizaveta Schefler
„Wie geht’s dir wirklich?“ „Müde.“ Diese Antwort habe ich in den letzten Monaten oft gehört – in dämmrigen WG-Küchen und bei Spaziergängen um die Außenalster. Ich bin nicht die einzige: Wahrscheinlich kennen die meisten jungen Menschen die Gespräche über Stress, leere Batterien und Tränen, die ohne ersichtlichen Grund laufen.
Serie “Aus den 20ern”
FINK.HAMBURG hat Personen unter Dreißig befragt, welche Themen sie grade beschäftigen. Diesen Themen wurde jeweils eine Folge gewidmet – um sie zu diskutieren, Lösungsansätze zu bieten und einen Raum zu kreieren. Leonie (20) hat gesagt: „Mentale Gesundheit ist ein großes Thema. Einerseits auf mich selbst bezogen: Es gibt viele Themen, die mich beschäftigen. Und ich mache mir natürlich auch Gedanken um meine Mitmenschen.“ Die Serie erscheint jeden Donnerstag auf FINK.HAMBURG.
Einem Bericht des Robert Koch-Instituts zufolge leiden vor allem 18- bis 29-Jährige an Angst- und depressiven Symptomen. Unsere Gesellschaft, durchschnittlich Mitte 40, neigt aber dazu, die mentale Gesundheit der Jüngeren zu übersehen und sich in Krisenzeiten mehr um die körperliche Gesundheit zumeist älterer Menschen zu kümmern. Ein Beispiel: die Corona-Pandemie. Während wir über Ansteckungswege diskutierten, blieben die Folgen von schwarzen Zoom-Kacheln statt Hörsaal lange unreflektiert.
“Während Ältere meist schon persönliche Krisen wie Scheidungen oder Krankheit durchlebt haben, üben Jüngere direkt im Großbrand statt mit Brandschutzübungen.”
Eine Krise folgt der nächsten
Manchmal möchte ich nur sagen: „Hey, es ist okay, falls es dir schlecht geht.“ Laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ steigt die psychische Belastung bei Menschen zwischen 14 und 29 Jahren seit 2022. Eine Erklärung dafür findet sich in einem Modell aus der Psychologie. Es bildet Stress in Form von Wasser ab, das in ein Fass tropft. Die einen haben kleinere, die anderen größere Fässer. Läuft das Fass über, kommt es zu psychischen Problemen. Die Schwierigkeit aktuell: Es regnet mehr. Wir befinden uns im ständigen Ausnahmezustand: Energiekrise, Kriege, Inflation.
Während Ältere meist schon persönliche Krisen wie Scheidungen oder Krankheit durchlebt haben, üben Jüngere direkt im Großbrand statt mit Brandschutzübungen. Zudem haben Menschen in den Zwanzigern oft weniger Stabilität. “Keine Ahnung, was ich jetzt mache”, war ein Satz, den ich häufig zwischen Kommiliton*innen nach unserem Bachelorabschluss gehört habe. Nicht nur ich bin übergangsweise zu meinen Eltern zurückgezogen. In solchen Phasen hängen wir sozusagen dazwischen, zwischen den Zuständen, zwischen Lebensphasen – und sind besonders anfällig für psychische Probleme.
Der lange Weg zum Therapieplatz
Gleichzeitig werden Sätze wie “Es ist verständlich, wenn du dir Hilfe suchst“ in meinem Freundeskreis immer selbstverständlicher. Junge Menschen gehen offener mit mentaler Gesundheit um. Statt Ausreden zu nutzen, sagen sie Verabredungen ab, „weil sie dann Therapie haben“. Und auch die sozialen Netzwerke sind voll von Tipps. Es gibt Formate wie den Podcast „Danke, gut” oder dem „Mental Monday“ vom Funk-Account “Glanz und Natur”, die Lebenshilfe leisten. Das Internet sensibilisiert und vernetzt in diesem Fall.
„Mein Termin wurde kurzfristig abgesagt. Jetzt muss ich diese ganzen Fragebögen nochmal ausfüllen.“
Eine von zehn Befragten der Studie „Jugend in Deutschland“ befindet sich in psychologischer Behandlung. Aber: Die Therapieplatzsuche dauert zu lange und ist sehr ermüdend. „Ich wurde zweimal abgelehnt,“ sagte eine Freundin zu mir. Eine andere berichtet: „Mein Termin wurde kurzfristig abgesagt. Jetzt muss ich diese ganzen Fragebögen nochmal ausfüllen.“
Auf das eigene Fass aufpassen
Es ist nicht immer leicht, Verständnis zu haben, wenn Freund*innen schon wieder eine Verabredung absagen oder Mitbewohner*innen es nicht schaffen, das Bad zu putzen. Gleichzeitig müssen wir üben, auf unser eigenes Fass aufzupassen. Manchmal ist ein Perspektivwechsel hilfreich: Was passiert gerade auch Schönes? Forschende haben den Effekt von Dankbarkeitsübungen untersucht: Sie können zu mehr Lebensfreude führen, das Glücksniveau heben und negative Gedanken reduzieren.
Seine mentale Gesundheit im Blick zu haben, kann vieles bedeuten: Mit Freund*innen telefonieren, den Tag besser strukturieren oder auf seinen Körper hören. Wir sind Krisen nicht machtlos ausgeliefert. Wir können uns ehrenamtlich engagieren, selbst aktiv werden. Und ja, ein Spaziergang durch den Stadtpark kann wirklich Stress reduzieren. Dass Bewegung, besonders Tanzen und Joggen, gegen Depressionen hilft, zeigte erst im Februar eine Studie der Queensland Universität.
Ich glaube das Wichtigste ist, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass es wieder besser wird. Vielleicht ist der Anfang auf diesem Weg auch eine kleine Frage: “Wie geht’s dir wirklich?”
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Jana Rogmann, Jahrgang 2000, aus Kevelaer, ist den Berliner Marathon schon einmal in unter zwei Stunden gelaufen - allerdings auf acht Rollen: im Sportunterricht gab es Inline-Skating als Wahlfach. Nach einem sozialen Jahr an einer Schule in Bolivien war sie sicher, dass sie nicht Lehramt studieren würde. Sie entschied sich für Komparatistik und English Studies in Bonn, arbeitete bei der WDR-Lokalzeit in der Online-Redaktion und moderierte eine Musiksendung beim Uni-Radio. Einzige musikalische Regel: alles außer Schlager. In ihrer Kolumne in der Rheinischen Post schrieb sie mal über “Uni in der Handtasche” in Zeiten der Pandemie, mal über ihr abgeschnittenes Haar. Seit einem Praktikum beim KiKA kann sie perfekt Kinderstimmen imitieren, will aber lieber Journalismus für Erwachsene machen. Kürzel: rog