Hamburg von oben, aufgenommen auf der ISS.
Hamburg leuchtet von oben. Foto: Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center, ISS-Mission 66

Das Thema Lichtverschmutzung schafft es selten in den öffentlichen Diskurs. Carolin Liedtke und  Thomas Kraupe wollen das ändern. Mit dem EU-Projekt „Darker Sky“ wollen sie Menschen für den Wert der Dunkelheit sensibilisieren und Lichtkonzepte für die Zukunft entwickeln.

Wer das Wort Umweltverschmutzung hört, denkt in der Regel an Plastik in den Ozeanen, rauchende Fabrikschornsteine oder Müllhalden in Wäldern. Woran die wenigsten denken werden, sind Leuchtreklamen, LED-Glühbirnen und Flutlichtanlagen.

Dabei hat Lichtverschmutzung zahlreiche Konsequenzen für Mensch und Umwelt, sagt der Astrophysiker Professor Thomas W. Kraupe, der früher das Planetarium Hamburg leitete. „So wie es eben Umweltverschmutzungen, Wasserverschmutzung oder Müll gibt, so gibt es auch Lichtverschmutzung. Und diese Lichtverschmutzung schadet den Menschen und dem Leben auf der Erde tatsächlich auf vielfältige Weise“, so Kraupe.

Mit dem Projekt „Darker Sky“ sollen Menschen für das Thema sensibilisirt werden. Dafür veranstaltet er beispielsweise die „Lange Nacht der Astronomie“. Bei dem Format können Interessierte bei Vorträgen, Lichtmessungen und VR-Installationen mehr über die Bedeutung des Nachthimmels erfahren. 

Person die VR-Brille trägt vor großem Bildschirm zu sehen.
Virtual Reality zur immersiven Simulation. Foto: M. Helfrich, HAW Hamburg

Wenn die Nacht zum Tag wird: Folgen von Lichtverschmutzung

Lichtverschmutzung ist die unkontrollierte Ausbreitung von künstlichem Licht in der Nacht und ein ernst zunehmender Umweltstressfaktor mit weitreichenden Folgen. Carolin Liedtke, Leiterin der Arbeitsgruppe „Darker Sky“ und Professorin für Lichttechnik an der HAW Hamburg, sagt: „Lichtverschmutzung beeinflusst Flora und Fauna, also Pflanzen, Tiere und Menschen. Wir alle sind evolutionär an den natürlichen Wechsel von Tag und Nacht angepasst. Das bringen wir durcheinander, indem wir die Nacht abschwächen, weil es nicht mehr dunkel wird.“

Die Folge: Das Leben von Pflanzen und Tieren gerät durcheinander. Pflanzen verlieren durch ständiges künstliches Licht ihren natürlichen Jahresrhythmus, was sich auf Blattaustrieb und Blattfall auswirken kann. Auch für Tiere sind die Folgen enorm, denn über 60 Prozent aller Arten sind nachtaktiv und deshalb auf Dunkelheit angewiesen. Künstliches Licht stört ihre nächtlichen Aktivitäten – dazu gehören Nahrungssuche und Fortpflanzung. Viele Tiere werden durch nächtliches Licht aus ihrem Lebensraum verdrängt, was zu Verhaltensänderungen und Verschiebungen in den Räuber-Beute-Beziehungen führt.

Tagaktive Lebewesen, darunter auch wir Menschen, leiden unter gestörter Nachtruhe. Künstliches Licht stört die Melatoninproduktion in unseren Körpern, wodurch der Schlafrhythmus und die Schlafqualität beeinträchtigt werden. Schlafmangel und daraus resultierende Erschöpfung sind die Folgen, die langfristig sogar zu Krankheiten führen können.

Lichtverschmutzung stört also ganze Ökosysteme und setzt Arten unter Druck. Beispielsweise sterben nachtaktive Insekten massenhaft, weil sie bis zur Erschöpfung um künstliche Lichtquellen herumschwirren oder in das Innere der Leuchtmittel gelangen und dort an der Hitze sterben. Das schwächt die Insektenpopulationen nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Das Ausmaß dieser Veränderungen ist weitreichend – und vieles davon noch kaum absehbar.

Lichtverschmutzung im Winter
Dieser Baum ist im Winter nur auf einer Seite kahl. In Richtung der Straßenlaterne bleiben die Blätter dran. Foto: Franz Hölker

Was tun, wenn Licht zur Belastung wird?

Aber was tun? Ein vollständiger Verzicht auf Beleuchtung ist natürlich keine Option. Besonders an Industriestandorten ist Dunkelheit keine Option, da das Licht für die Arbeit benötigt wird und Arbeitsschutzgesetze eine ausreichende Beleuchtung vorschreiben. „Dort könnte man aber auf warmes Licht mit geringerem Blauanteil umstellen, um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren“, sagt Liedtke.

Außerhalb dieser Standorte sei vieles von dem, was wir nachts an Beleuchtung sehen, gar nicht notwendig, so Liedtke. In Hamburg gibt es zum Beispiel eine statische Beleuchtung. Das heißt, das Licht der Straßenlaternen wird in der Dämmerung eingeschaltet und in der Morgendämmerung wieder ausgeschaltet. Auch wenn es vielleicht nicht überall gleich benötigt wird.

Liedtkes Vorschlag: „Je nach Verkehrsaufkommen und Uhrzeit könnte man darüber nachdenken, das Licht zu dimmen oder nur jede zweite Laterne anzuschalten.“ Auch bei Veranstaltungen müsse man über die Beleuchtung nachdenken, so Liedtke. Prominentes Beispiel: „Beim Blue Port tauchen wir einen ganzen Hafen samt Wasser in blaues Licht“, so Liedtke. Das sei zwar schön für Menschen anzusehen, für die Natur allerdings eine Katastrophe, denn das blaue Licht bringt nicht nur in dem Moment, in dem es leuchtet, die Ordnung der Natur durcheinander, es gibt außerdem verzögerte Effekte.

Das lässt sich am besten anhand eines Beispiels verstehen: Wir sollen vor dem Schlafen nicht mehr am Handy hängen. Das liegt daran, dass der Blauanteil im Licht die Produktion des Schlafhormons Melatonin hemmt. Liedtke erklärt uns: „Damit man zu einer bestimmten Uhrzeit schläft, muss man zwei Stunden Anlauf nehmen, in denen man wenig oder gar kein blaues Licht ins Auge bekommt.“ Und bei diesem Prinzip handele es sich um einen verzögerten Effekt. Ähnliches passiert nun beim Blue Port, denn diese Auswirkung gebe es bei anderen Lebewesen höchstwahrscheinlich auch, so Liedtke. Selbst wenn das Licht im Hafen ausgeschaltet wird, dauert es noch einige Stunden, bis die Natur auf die optische Ruhe reagiert.

Der Hafen wird im blauen Licht angestrahlt.
Beim Blue Port leuchtet der Hafen in blau. Foto: Stella Bruttini

Urerfahrung Sternenhimmel

In Großstädten ist der Sternenhimmel so gut wie nie zu sehen. Dieser ist jedoch wichtig für die Menschheit und spielt seit Jahrhunderten eine zentrale Rolle in dessen Entwicklung, erklärt Thomas Kraupe: „Es ist für jede Generation ein ganz wichtiges Erlebnis, eine Urerfahrung geradezu, den Sternenhimmel, den Nachthimmel einmal wahrzunehmen. Der Sternenhimmel hat uns Menschen schon vor Jahrtausenden beflügelt und ist eine große Inspirationsquelle und auch ein großer Forschungsgegenstand.“

Die Menschen, so Kraupe, hätten den Nachthimmel jedoch in den letzten 50 Jahren stark beschädigt, sodass dieser in den meisten dicht besiedelten Regionen kaum oder gar nicht mehr zu sehen ist. Dazu sagt er: „Es wäre sehr traurig, wenn der Nachthimmel zum Museum wird.“

Inzwischen haben mehrere EU-Länder die Lichtverschmutzung als umweltpolitisches Problem erkannt und Maßnahmen zu ihrer Eindämmung in die nationale Gesetzgebung aufgenommen. Es fehlen jedoch spezifische technische Lösungen und länderübergreifende Strategien, die eine flächendeckende Umsetzung erleichtern. Um solche Lösungen zu finden, werden Projekte wie „Darker Sky“ von der EU gefördert.

Projekt „Darker Sky“: Beleuchtung neu denken

Im Rahmen des Projektes „Darker Sky“ wird genau an diesen Lösungen geforscht. Architekt*innen, Lichtplaner*innen, Astronom*innen und Umwelttechniker*innen suchen gemeinsam nach nachhaltigen Konzepten gegen Lichtverschmutzung, die zur Grundlage für die Stadtplanung werden können. In acht internationalen Projekten werden Beleuchtungslösungen entwickelt und getestet, die später testweise in der Nordseeregion umgesetzt werden sollen. Gesucht werden Lösungen, die den Einfluss von künstlichem Licht auf die Natur minimieren.

In Hamburg arbeitet die HAW Hamburg in Kooperation mit dem Bezirksamt Altona an zwei Demonstrationsstandorten, um neue Beleuchtungstechnologien zu testen. Dabei wird auch eine einheitliche Messmethodik entwickelt, um die Umweltverträglichkeit der Beleuchtung nachzuweisen. Der Zustand vor und nach der Umrüstung soll erfasst werden. Das letzte Projektjahr wird dann laut Liedtke dazu genutzt, aus den Ergebnissen zu lernen und Handlungsempfehlungen für eine breite Umsetzung zu erarbeiten.

Doch nicht nur der technisch-wissenschaftliche Aspekt ist für das Projekt wichtig. Auch die Kommunikation nach außen sei ein wichtiger Bestandteil, so Liedtke. „Damit es auch von der Bevölkerung getragen wird, müssen wir informieren und Bewusstsein schaffen. Wir müssen dafür werben, Licht zu sparen, aber wir können das Licht nicht flächendeckend abschalten. Licht ist ein Lebensmittel, denn wo kein Licht ist, bewegen wir uns nicht im nächtlichen Raum“, sagt die Expertin.

Die Straßenbeleuchtung wird aufgrund der Lichtverschmutzung angepasst.
Die Straßenbeleuchtung im Bullnwisch. Links bevor und rechts nachdem die Beleuchtung ausgetauscht wurde. Fotos: Carolin Liedtke

Mehr Dunkelheit wagen

Doch was kann jede*r einzelne von uns tun? Beispielsweise abends die Rollläden schließen, damit kein Licht nach draußen dringt. Der Verzicht auf die Beleuchtung von Vorgärten und Einfahrten kann ebenfalls dazu beitragen, die Lichtverschmutzung zu reduzieren.

In Großstädten rät Liedtke, politisch aktiv zu werden, indem man Lokalpolitiker*innen anspricht oder sich Initiativen anschließt. „Hamburg Werbefrei“ setzt sich beispielsweise für ein Verbot digitaler Werbeanlagen ein, um die Lichtverschmutzung nachhaltig zu reduzieren. Auch Aktionen wie die „Earth Night“, bei der Menschen eine Nacht lang die Außenbeleuchtung dimmen oder abschalten, machen auf das Problem aufmerksam.

Auch bei Veranstaltungen ist ein Umdenken notwendig. Dabei geht es nicht darum, Veranstaltungen wie Lichtfeste zu verbieten, sondern sie verantwortungsvoll zu planen und den Aspekt der Lichtverschmutzung zu berücksichtigen: Es geht nicht darum, der Spielverderber zu sein, es geht darum zu zeigen, wie man es besser machen kann und nicht darauf zu verzichten. Man könne in diesem Fall mit sogenannten “Lichtspenden” arbeiten, die Bevölkerung also dazu anhalten, in ihrem privaten Gebrauch für ein bis zwei Stunden ihr Licht zu reduzieren. So entsteht kein zusätzliches Licht, da es an anderer Stelle eingespart wird.

Eine Zukunft ohne Dunkelheit?

Allzu optimistisch ist Thomas Kraupe allerdings nicht gestimmt. Die Situation wird sich in den nächsten Jahren eher verschlimmern, sagt er: „Man versucht, das Gröbste zu vermeiden, aber die Zahl der Menschen nimmt zu auf dem Erdball.“ Vor allem in Asien und Afrika werde das Problem in den kommenden Jahren eher größer werden. Die Awareness für das Thema sei in den letzten Jahren zwar gewachsen, vor allem in Europa und der USA. Eine radikale Veränderung sei aktuell jedoch nicht zu erwarten. 

„Es wäre sehr traurig, wenn der Nachthimmel zum Museum wird.“

Sternenhimmel über Hamburg  

Wer in Hamburg den Nachthimmel gut sehen möchte, fährt aus der Stadt heraus. Kraupe rät zu einem Ausflug in die Lüneburger Heide. Hier gibt es den Himmel mit der gerinsten Lichverschmutzung in der Umgebung von Hamburg zu sehen.

Mit einem Bachelorabschluss in Tourismusmanagement liegt ihr Fernweh nahe: Patricia Zippel, Jahrgang 1997, hat schon alle Kontinente bereist - nur Australien fehlt ihr noch. In Hamburg ist sie schon seit 2020. Für das Netzpiloten Magazin produzierte sie hier einen Podcast über Themen wie digitale Kunst oder nachhaltige Handys. Danach absolvierte sie ein Redaktionsvolontariat bei dem Magazin “Flow”. Sprachlich bleibt Patricia ihrer Geburtsstadt Gera treu. Nischel, Ganker oder Konsum - typisch ostdeutsche Wörter sammelt sie mit einer Freundin in einer Whatsapp-Gruppe. Ihr Plan: Diese ins Norddeutsche schmuggeln, vielleicht auch auf die FINK-Website. Kürzel: zip

Simon Laumayer, Jahrgang 1992, ist mit 16 Jahren schon Schulmeister im Bouldern geworden. Seit seinem Bachelorstudium Kulturwissenschaften in Lüneburg verdient er sogar Geld damit - als Routenbauer in der Boulderhalle. Auch im Urlaub klettert der gebürtige Hamburger. In einem selbst ausgebauten Van, einem Gärtnermobil, geht es zu Felsformationen, am liebsten in die Schweiz. Als Pressesprecher hat Simon mehrere Jahre fürs Lüneburger Musik- und Kulturfestival “Lunatic” gearbeitet und für den “Rolling Stone” schon den Indie-Künstler Sam Fender interviewt. Privat dröhnt allerdings Hiphop aus den Boxen seines Vans.
Kürzel: sil

Stella Bruttini, geboren 1997, hat bei ihrem ersten Casinobesuch in Las Vegas direkt den Hauptgewinn am Einarmigen Banditen abgestaubt: Einen Dollar eingesetzt und 1000 Dollar gewonnen. Der Gewinn wurde danach ordentlich für den restlichen Urlaub verpulvert. Mit dem Auto ging es durch den amerikanischen Westen. Stella stammt aus Kiel und hat dort PR und Marketing studiert. Nach ihrem Bachelor testete sie sich beim Online-Stadtmagazin "Mit Vergnügen Hamburg" durch alle Restaurants Hamburgs - am liebsten isst sie Pasta. Ihr Traum folgerichtig: Irgendwann mal an den Gardasee auswandern, aber niemals ohne ihren Kater Steven. Kürzel: ini