Einst Vorzeigeprojekt für Bürgerbeteiligung, nun wieder in der Kritik: Der neue Plan von Stadt und Saga zum Paloma-Viertel wendet sich ab vom “St. Pauli Code” und sieht weniger öffentliche Flächen vor. Was ist übrig geblieben vom Beteiligungsverfahren?
„Der neue Entwurf wird dumm, brutal und teuer”, schreibt die Initiative Planbude in einem Statement. Es entstehe ein „utilitaristischer Riesenklotz ohne Nachbarschaftsbezug, entworfen von ChatGPT auf Basis einer Exceltabelle.” Es geht um die Brachfläche der früheren Esso-Häuser, an der Reeperbahn gelegen. Eine Fläche, um die in Hamburg bereits viel gestritten wurde. Eine leere Fläche, die heute mit dem Namen “Paloma-Viertel” assoziiert ist, ohne dass bisher ein Haus steht. Eine Fläche, auf der schon sehr lange nichts passiert ist.
Warum der neue Entwurf?
„Unser Engagement wird jetzt arrogant beiseite gewischt. Das finde ich den krassen politischen Skandal,” sagt Steffen Jörg von der Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli. Jörg ist eigentlich in Elternzeit. Trotzdem ruft er direkt an, als FINK.HAMBURG mit ihm über das Paloma-Viertel sprechen möchten. Stadt und Saga – ein städtisches Immobilienunternehmen – hätten sich dazu entschieden, hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, so Jörg. Weiter sagt er, dass Stadt und Saga beschlossen hätten die Planung, das Beteiligungsverfahren und den Wettbewerb über Bord zu werfen, um einen komplett anderen Entwurf zu realisieren. Die Planbude schreibt in ihrem Statement: „Das beschädigt Planungskultur bundesweit – und ganz massiv das Vertrauen in demokratische Prozesse.”
Verschiedene Akteur*innen, darunter auch der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), fordern in einem offenen Brief den Hamburger Senat auf, Transparenz herzustellen – unter anderem darüber, wie die Aufträge vergeben wurden, und warum Faktoren der Planung geändert wurden. Zudem fordern sie, dass die Planung, wie sie zuvor festgehalten wurde, umgesetzt werden soll.
Es begann mit den Esso-Häusern
Die Planbude wurde nach dem Abriss der Esso-Häuser 2014 im Auftrag des Bezirks Hamburg Mitte gegründet – sie sollte die Anliegen und Wünsche von Interessenvertreter*innen und Anwohner*innen bündeln. „Und wir als Initiative Esso Häuser und GWA St. Pauli haben Klinken geputzt und haben gesagt, ihr müsst euch jetzt hier einbringen”, erinnert sich Steffen Jörg. Sie hätten den Menschen gesagt, es sei eine Chance, dass der Stadtteil gehört wird. Nach Angaben der Planbude beteiligten sich rund 2.300 Menschen an dem Entwurf und entwickelten in einem bundesweit einmaligen Verfahren den „St. Pauli-Code” – eine Idee, wie das Paloma-Viertel aussehen soll.
Es folgte ein städtebaulicher Vertrag und ein Bebauungsplan. Trotzdem hat die Bayerische Hausbau, Immobilienkonzern und damalige Besitzerin des Geländes, die viel beachteten Vorschläge wegen der Immobilienkrise, wie sie selbst sagt, nie umgesetzt. Im vergangenen November teilte der rot-grüne Senat dann mit, dass die städtische Wohnungsgesellschaft Saga und der Immobilienentwickler Quantum das Areal übernehmen würden.
Weniger öffentliche Fläche fürs Paloma-Viertel
Der neue Entwurf von Saga und Quantum weicht in einigen Punkten von dem Entwurf ab, der in einem Beteiligungsverfahren erarbeitet wurde. Konkret gebe es, laut der Planbude, 40 Wohnungen weniger, dafür habe sich die Zahl der Hotelzimmer fast verdoppelt. Zudem gebe es weniger öffentliche Flächen. Im städtebaulichen Vertrags aus 2018, zwischen der Stadt und der Bayerischen Hausbau, ist festgeschrieben, dass es einen Stadtbalkon, ein Urbanes Dach, eine Kletterwand und eine Skateanlage geben soll.
Bis jetzt ist unklar, warum einige Ideen des städtebaulichen Vertrags aus 2018 nicht übernommen wurden. Auf Nachfrage von FINK.HAMBURG antwortet Pressesprecher André Stark: „Die Herausforderung war, die Prämissen der Planung auch in der heutigen Zeit nach dramatischen Baupreissteigerungen, Zinswende und weiteren Herausforderungen bei Bau und Finanzierung Wirklichkeit werden zu lassen.” Kurz: Zu wenig Geld.
Weiter verweist Stark auf die geplanten geförderten Wohnungen, die geplante Kita und ein eigenes Gebäude für kulturelle und kreative Nutzung, welches die Hamburg Kreativ Gesellschaft verwalten soll. Konkrete Antworten, warum die anderen öffentlichen Flächen wegfallen, gibt er nicht. Quantum-Vorstandsmitglied Frank Gerhard Schmidt bezifferte das Investitionsvolumen auf rund 200 Millionen Euro. Laut der Planbude hätten die 200 Millionen Euro auch für den „aufregenden Originalentwurf” gereicht.
Paloma-Viertel: Und die Architekt*innen?
Der vorherige Entwurf, der auf dem „St. Pauli Code” basierte, wurde durch einen architektonischen Wettbewerb entwickelt. Ein Konsortium aus Architekturbüros – unter anderem NL Architects aus Amsterdam und BeL Sozietät für Architektur aus Köln – hatte den Wettbewerb gewonnen. Mit diesen Architekt*innen soll die Stadt – laut einem Statement der Planbude – jedoch nicht gesprochen haben, bevor sie das Paloma-Viertel an Saga und Quantum vergab. „Das Wettbewerbswesen, das allseits anerkannt beste Instrument zur Herstellung hoher Planungsqualität und Baukultur, wird so ausgerechnet durch die Stadt Hamburg ernsthaft beschädigt”, schreibt der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten.
Pressesprecher Stark antwortet auf Nachfrage dazu: „In gelebter Praxis kommentiert der Senat grundsätzlich keine offenen Briefe.” Antonia Ivankovic, Mitglied der Fraktion Die Linke in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte, schreibt auf der Website der Linken: „Die neuen Pläne für das Esso-Areal sind ein undurchsichtiges Hauruckverfahren. Der SPD geführte Senat glaubt offenbar, so eine weitere Bautragödie in der Stadt abzuwenden.” Die Linksfraktion im Bezirk-Mitte hat am 23. Januar einen Antrag gestellt für mehr Transparenz. Der Antrag wurde, wegen fehlender Zustimmung, in den Stadtplanungsausschuss Nord verschoben.
rog/dpa
Jana Rogmann, Jahrgang 2000, aus Kevelaer, ist den Berliner Marathon schon einmal in unter zwei Stunden gelaufen - allerdings auf acht Rollen: im Sportunterricht gab es Inline-Skating als Wahlfach. Nach einem sozialen Jahr an einer Schule in Bolivien war sie sicher, dass sie nicht Lehramt studieren würde. Sie entschied sich für Komparatistik und English Studies in Bonn, arbeitete bei der WDR-Lokalzeit in der Online-Redaktion und moderierte eine Musiksendung beim Uni-Radio. Einzige musikalische Regel: alles außer Schlager. In ihrer Kolumne in der Rheinischen Post schrieb sie mal über “Uni in der Handtasche” in Zeiten der Pandemie, mal über ihr abgeschnittenes Haar. Seit einem Praktikum beim KiKA kann sie perfekt Kinderstimmen imitieren, will aber lieber Journalismus für Erwachsene machen. Kürzel: rog