Ein Wissenschaftscampus, 3000 neue Wohnungen und ein Zuhause für innovative Unternehmen: In den nächsten zwei Jahrzehnten soll sich in Bahrenfeld einiges verändern, hier entsteht die Science City. Was das bedeutet und wie sich die Bürger*innen für ihren Stadtteil einsetzen.
Text: Laura Krone
Titelbild: Miguel Ferraz
Die leuchtend roten Fahnen vor dem Gebäude der Trabrennbahn in Hamburg Bahrenfeld klirren am Mast. Die beigen Fliesen sind verblasst, der Schmutz der vergangenen Jahre sammelt sich in Fugen und Fenstern, eine Scheibe ist zerbrochen. Alles wirkt etwas in die Jahre gekommen. Der Verkehr zischt über die breit angelegte Luruper Chaussee, durch den nahe gelegenen Kreisel an der Haltestelle Trabrennbahn Bahrenfeld schleppen sich zwei HVV-Busse. Südlich der Trabrennbahn, in der Nähe des Sportplatzes Wichmannstraße, verstummt der Verkehr. Hier befindet sich der Grotenkamp. Kleine, bunte Häuschen reihen sich aneinander, die an vergangene Jahrzehnte erinnern. Auf einem Grundstück steht ein alter VW-Bus in der Einfahrt, im Garten eine selbstgebaute Schaukel. Ruhig hier, idyllisch – und doch soll sich dieses Viertel in den nächsten beiden Jahrzehnten stark verändern.
Im Stadtteil Bahrenfeld entsteht bis 2040 die Science City Hamburg Bahrenfeld – hier sollen internationale Spitzenforschung, innovative Unternehmen und neue Wohnquartiere das Viertel prägen. So heißt es auf der Internetseite des Projekts. Bei dem Vorhaben treffen viele Interessen aufeinander: Die Stadt spricht von Wissenschaft von Weltrang und von neuen sozialen Begegnungsräumen. Die Bahrenfelder*innen sehen das kritischer: Sie haben Angst vor Verkehrsströmen, die nicht zu bewältigen sind. Und Angst vor der Ungewissheit: Was passiert mit dem Bahrenfeld, das sie kennen? Und was ist geplant?
Science City Bahrenfeld: Was soll wo entstehen?
- Die erste Säule bildet der Wissenschaftscampus mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron, kurz Desy, einem Forschungszentrum für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung. Hinzukommen sollen neue Standorte der Universität Hamburg. Teile der Fakultät Physik gibt es hier schon, z.B. die Institute für Experimentalphysik und Laserphysik. Dazu sollen fast alle anderen Bereiche der Physik umziehen, der Fachbereich Chemie und Teile der Biologie.
- Die zweite Säule wird der Innovationspark Altona sein, wo zukunftsweisende Unternehmen ein Zuhause finden sollen, etwa aus den Bereichen KI, Life Sciences, Medizin- und Biotechnologie. Im sogenannten Fabrication Laboratory sollen 3D-Drucker zur Verfügung stehen – hier können alle Interessierten dann mit Holz, Kunststoff und anderen Materialien experimentieren. Das sogenannte FabLab soll Nachbar*innen mit dem Campus verbinden – so wird es auf der Webseite der Science City Hamburg Bahrenfeld versprochen.
- Der Wissenschaftscampus und der Innovationspark sollen Tausende Studierende und Arbeitskräfte anziehen. Deshalb sind die Wohnquartiere am Volkspark die dritte große Säule des über 220 Hektar großen Areals.
Die Science City GmbH koordiniert, neben weiteren Akteuren, das Projekt. Das Vorhaben in Bahrenfeld ist eines von mehreren städtebaulichen Großprojekten in Hamburg wie die Hafencity, der Billebogen oder Grasbrook. Abgelegene Bereiche der Hansestadt sollen so erschlossen werden und an Bedeutung gewinnen. Zu abstrakt?
Am Albert-Einstein-Ring ist die Zukunft schon da
Am Albert-Einstein-Ring acht bis zehn, direkt an der Luruper Chaussee gelegen, wird das Großprojekt schon jetzt greifbar: Dort befindet sich das Infocenter. Im Gegensatz zu den Beschreibungen des neuen Viertels wirkt das Gebäude weniger futuristisch, ja fast unscheinbar mit seiner weiß-blauen Fassade, leicht beschmutzt vom nordischen Wetter. Ein Blick in den großzügigen Raum verdeutlicht, um was es hier geht: An den Wänden hängen Pläne des Viertels, darauf verteilt sind Post-it-Zettel. Gelb, blau, orange, grün und pink sind dort die Wünsche und Ideen der Bahrenfelder*innen notiert: „Breite Fußwege“, „Zukunft“, „Urban Gardening“.
Am Eingang stehen gebastelte Modelle des Areals, die Kinder in Zusammenarbeit mit dem Kindermuseum „KL!CK“ gestalten durften, sagt Thorsten Gödtel, Stadtplaner und freier Mitarbeiter bei der Science City GmbH. Darauf zu sehen: ein Park inklusive Fußballplatz und Skatebahn sowie ein Badestrand mit Wakeboardanlage. Auf dem Boden erstreckt sich eine riesige Karte über das Gelände. Aufsteller mit Bildern und Beschreibungen lassen vermuten, was hier einmal entstehen soll: beispielsweise das Learning Center der Uni Hamburg oder das Hamburg Fundamental Interactions Laboratory (HAFUN), in das neun Arbeitsgruppen der Physik einziehen sollen. Einige Einrichtungen, die auf den Aufstellern zu sehen sind, stehen schon.
Verlässt man das Infocenter nach links und läuft die Luruper Chaussee ein kleines Stück weiter hoch, gelangt man zum Eingang des Forschungsareals. Hier gibt es das Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) und andere Einrichtungen wie das Light & Schools, ein Physik-Schullabor der Uni Hamburg. Reges Treiben? Fehlanzeige. Noch wirkt das Forschungsumfeld wie ein Fremdkörper gegenüber des Volksparks.
Noch weiter die Straße rauf, direkt am Park, sieht man schon von Weitem das Bio-Kiosk „C’est si bon“. Was hält man hier von den Plänen? Inhaber Helge Greve ist zwiegespalten: Er hat Angst, irgendwann mit seinem Kiosk weichen zu müssen. Aber er freut sich auch über neue Kund*innen für sein kleines Geschäft. Schräg gegenüber vom Kiosk liegen die „Start-up-Labs“. Der Kontrast aus moderner Architektur – verglaste Front, verwinkelte Wände im vorderen Bereich – und dem kleinen Kiosk aus rotem Backstein könnte nicht größer sein. In der Ferne sieht man das Desy, umgeben von einem metallenen Zaun.
Das Desy führte sehr lange zu Komplikationen beim geplanten Halt der Straßenbahn S32 in der Science City. Eigentlich sollte der S-Bahn-Tunnel in der Nähe des Forschungsinstituts verlaufen. Dann hätte die Bahn aber durch Erschütterungen und elektromagnetische Felder die Experimente des Desy beeinträchtigen können. Jetzt hat die Hochbahn gemeinsam mit der S-Bahn Hamburg eine Machbarkeitsuntersuchung vorgelegt: Der Verlauf der S32 steht fest: Die Haltestelle Bahrenfeld Trabrennbahn wird circa 350 Meter Richtung Nordosten verlegt. So ist die Forschung im Desy nicht mehr gefährdet.
Bürger können Ideen einbringen: Wo sollen Schulen hin? Wo Büros? Wo Restaurants?
Rund um die Trabrennbahn entsteht das Gebiet „Wohnen am Volkspark“. Das Besondere daran? Bürger*innen dürfen sich an der Planung beteiligen. Noch ist es ziemlich laut, ein begrünter Autobahndeckel mit Kleingärten soll als Dach über der A7 den Lärm dämpfen. Wenn die Trabrennbahn nach Horn umgezogen ist, dann ist hier Platz für ein Wohnquartier mit 3000 neuen Wohnungen. Für dieses Gelände gibt es ein Planungsverfahren, das sich etwas sperrig „wettbewerblicher Dialog“ nennt. Aber was bedetet das konkret? Die Öffentlichkeit wird darüber informiert, was hier passiert.
Es gibt Veranstaltungen zu einzelnen Planungsschritten und in bestimmten Phasen dürfen Bürger*innen ihre Ideen einbringen. Im Jahr 2021 gab es hierfür erste Beteiligungsworkshops, so Stadtplanerin Lisa Buttenberg, die in der Science City GmbH unter anderem für Beteiligungsprozesse zuständig ist. Die sind laut Buttenberg aber nur der Auftakt gewesen. Sobald es in die konkrete Planung für das Gelände um die Trabrennbahn geht, soll es weitere Möglichkeiten für Bürgerbeteilung geben.
„Aktuell würde es keinen Sinn machen, Kinder zum wettbewerblichen Dialog zur Spielplatzplanung einzuladen“, sagt Melanie Parr, Gesamtkoordinatorin der Science City GmbH. In dieser Phase der Planung gehe es erst einmal darum, grundsätzlich festzulegen, wo was entstehen soll. Die Details eines Spielplatzes werden erst in der nächsten Phase geplant. „Bis dieser Spielplatz jemals gebaut ist, sind aus den Kindern schon Studenten geworden“, sagt Parr scherzend. Für den Entwurf der Wohnquartiere und der dazugehörigen Geschäfte, Büros, Schulen und Freizeitmöglichkeiten gibt es allerdings bald eine europaweite Ausschreibung. Darauf können sich Büros mit Landschaftsarchitekt*innen und Städtebauer*innen bewerben. Dieser Schritt ist ebenfalls Teil des wettbewerblichen Dialogs. Innerhalb eines Dreivierteljahrs kürt eine Jury den Gewinnerentwurf – dann kann es endlich losgehen. Wo werden öffentliche Gebäude wie Schulen sein? Wo Büros? Was ist mit Gastronomie und wo könnten Wohnungen entstehen?
„Wir wollen, dass die Menschen auch wirklich zu Wort kommen“
Wenn man als Bürger*in bei den Entscheidungen zum Bau der Science City Bahrenfeld mitwirken will, sollte man vor allem eins mitbringen: Geduld. „Mir ist schon bewusst, dass das nicht immer kurzfristige Ergebnisse bringt“, so erläutert Michael Staake von „Bahrenfeld auf Trab“ die Arbeit der Initiative, bei der er mitwirkt. Sie besteht aus einem Kernteam von 20 Leuten, dem „BaT-Team“, darunter Frauen und Männer. Viele von ihnen sind schon in Rente und haben Lust, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Zusätzlich zu den monatlichen Treffen im kleinen Kreis findet alle vier bis sechs Monate ein großes Plenumstreffen statt. Hier sind alle Interessierten eingeladen, sich einzubringen. Im April haben sich alle in der Mensa des „Alsterpectrums“ in Bahrenfeld getroffen, unweit des Grotenkamps mit den kleinen bunten Häuschen. Beim Betreten des Raumes ist die entspannte und freundschaftliche Atmosphäre direkt spürbar. Während ein paar Mitglieder schon im Stuhlkreis vor der Agendatafel Platz nehmen, sitzt die “Arbeitsgemeinschaft Verkehr” noch am Nebentisch und bespricht die Punkte, die sie gleich mit in die große Runde nehmen möchte.
Auf einem Flipchart ist handschriftlich die Agenda für das heutige Treffen festgehalten, Wasser und Tee stehen auf einem kleinen Tisch bereit. Alle begrüßen sich herzlich mit Vornamen – man kennt sich hier. Und ist mit der Arbeit zufrieden. Das letzte Treffen sei sehr lebendig gewesen, es gab viel Interesse, man habe nicht mit so vielen Teilnehmenden gerechnet, berichten sie hier. 80 Menschen begeistern sich für die Arbeit der Gruppe. Ein Punkt ist ihnen besonders wichtig: „Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen, die hier sind, auch wirklich zu Wort kommen“, sagt eine Frau, die sich aktiv an der Diskussionrunde beteiligt.
Lea Gies vom Quartierprojekt „Q8 Altona“ ist ebenfalls beim BaT-Treffen vor Ort. Sie bezeichnet sich selbst als Stadtteilmoderatorin, die das Team unterstützt und regelmäßig mit Vertreter*innen des Projekts in Kontakt ist. Vor zwei Jahren hat sie überlegt, wie man die Bahrenfelder*innen als Gruppe organisieren kann. So ist die heute sehr lebendige Initiative entstanden. Gies spürt die Anspannung. Viele wohnen direkt neben dem Areal. Sie würden Gedanken bewegen wie: Was passiert mit unseren Häusern? Was passiert mit dem Bahrenfeld, das wir kennen?, berichtet Gies. „Es gibt hier Menschen, die wollen sich mit dieser Entwicklung auseinandersetzen, die beschäftigen sich damit.“
Wissenschaft trifft auf Zivilgesellschaft – oder auch nicht?
Im April hat sich die AG Partizipation mit Buttenberg von der Science City GmbH getroffen, um über Bürgerbeteiligung zu besprechen. Auch dabei: BaT-Mitglied Michael Staake. Am Ende des Prozesses werde man schauen, welche Ideen der Bürger*innen umgesetzt wurden und welche es aus guten Gründen nicht geschafft haben. Die „aktive Reflektion“ der Bürger*innen sei „ein ganz ganz wichtiger Punkt“, so Staake. Und er zeigt sich auch zufrieden darüber, dass die Science City GmbH und die Bürgerinitiative ähnliche Ideen hätten. Zweifel hat Staake allerdings bei dem Ansatz, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in der Science City zusammenzubringen. „Die Frage ist: Welche Berührungspunkte gibt es denn da jetzt eigentlich?“, sagt er. Die Begeisterung mancher Journalist*innen, die Bereiche würden verschmelzen, findet Staake „ein bisschen überzogen“. Zumindest soll die Nachbarschaft von neuen Sport-, Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten profitieren, so ist es auf der Webseite der Science City Bahrenfeld zu lesen.
Ab dem 15. Juni gibt es öffentliche Rundgänge über das Gelände, um das Vorhaben für die breite Öffentlichkeit greifbarer zu machen, erzählt Architekt Uwe Carstensen, freier Mitarbeiter der Science City GmbH. Ein erster Anknüpfungspunkt, um Wissenschaft und Bürger*innen zu vereinen? Staake zumindest blickt der Sache noch skeptisch entgegen: „Ich vermute mal, dass sich diese hochgesteckten Erwartungen später in der Realität nicht so umsetzen lassen.“
Laura Krone, geboren 1999 in Rotenburg (Wümme), weiß, wie Weizen und Wasser harmonieren. Bei einer Reise durch Australien ernährte sie sich fast nur von Nudeln mit Pesto, zu Hause hat sie eine eigene Nudelmaschine. In Bremen studierte Laura Medien- und Politikwissenschaft, in Bordeaux den lokalen Wein. Bei der ELBFISCHE Content Group bloggt sie über das, was andere kochen. In einem eigenen Podcast sprach sie mit einer Freundin über Themen von Astrologie bis Gen Z. Gerne würde sie auf weiteren Reisen Insekten probieren. Und dann darüber schreiben, wie man auch daraus eine gute Pasta-Soße machen kann. (Kürzel: kro)