Vanille, Schoko oder Mango? Die Frage kennt man normalerweise aus der Eisdiele. Was das mit Mäusen und Schädlingsbekämpfung zu tun hat, erklärt Schädlingsbekämpfer Dennis Kalff.
Mit einem Spezialschlüssel öffnet Dennis die winzige Box, die neben der schweren Eisentür auf dem Boden steht. Es klickt, er klappt den Deckel auf und begutachtet die zwei vor ihm liegenden funkelnden blauen Kunststoffblöcke. Von ihnen geht ein dezenter Vanilleduft aus. Der Geruch wirkt nicht nur auf Menschen angenehm, er soll vor allem Mäuse anlocken. Der Plan: Wenn Mäuse in den Raum eindringen, laufen sie in die Box und nagen an den Blöcken. Vorerst beruhigt, klappt Dennis die Box zu: „Keine Fraßspuren.“ Aber das reicht noch nicht. Mit seiner Taschenlampe inspiziert er das Umfeld des dunklen Lagers. Er sucht nach weiteren Spuren. Liegt irgendwo Kot?
Kritische Punkte festlegen
Seit 2006 gibt es ein verpflichtendes Kontrollsystem für Betriebe, die mit Lebensmitteln arbeiten. Damit ihre Produkte schädlingsfrei verkauft werden, werden Schädlingsbekämpfer wie Dennis beauftragt. Dennis und seine Kollegen schauen sich die Räume an, erstellen eine Gefahrenanalyse und legen kritische Punkte fest. Ein kritischer Punkt ist die Tür, an der die Box mit den Kunststoffblöcken steht. Sie ist Teil des Kontrollsystems, denn eine Maus passt bereits durch ein Loch mit dem Durchmesser eines kleinen Fingers. „Das hat die Branche der Schädlingsbekämpfung nochmal verändert, denn sie wurde in viele Bereiche integriert“, sagt Dennis zu dem Kontrollsystem. Schädlingsbekämpfer*innen sorgen somit mit für die Sicherheit von Lebensmitteln.
Keine Spuren zu finden, Dennis schaltet die Taschenlampe aus. Die blauen Blöcke bleiben trotzdem in der Box. Sie sind giftfrei und nur zum Überwachen da. Wenn eine Maus an ihnen nagt, stirbt sie nicht. Dennis kann daran erkennen, ob Mäuse im Raum waren, während er nicht da war. Er kontrolliert die Fallen in regelmäßigen Abständen und wo über längere Zeit keine Mäuse sind, kann giftfrei gearbeitet werden.
Auch Bärbel Holl ist seit über 30 Jahren Schädlingsbekämpferin. Außerdem ist sie Dozentin in der Ausbildung und seit einigen Jahren erste Vorsitzende des Vereins zur Förderung ökologischer Schädlingsbekämpfung e.V. Das ist ein Berufsverband, der es sich zum Ziel gesetzt hat, den Einsatz von Gefahrenstoffen zu minimieren. Über den Alltag von Schädlingsbekämpfer*innen sagt Holl: „Viele denken wir würden den ganzen Tag im Dreck wühlen. Natürlich muss ein Schädlingsbekämpfer oder eine Schädlingsbekämpferin damit rechnen, in Situationen zu kommen, die für andere ekelerregend wären, aber das ist nicht unser Alltag.“ Denn Schädlingsbekämpfer*innen arbeiten zum größten Teil präventiv, damit es erst gar nicht zu einem Befall kommt und wenn ja, das er sofort getilgt wird.
Es geht um unsere Gesundheit
Schädlinge sind vor allem dann gefährlich für unsere Gesundheit, wenn sie in Bereiche eindringen, in denen Hygiene besonders wichtig ist. Das können Silberfischchen im OP-Bereich, Insekten in der Lebensmittelproduktion oder Mäuse im Supermarkt sein. Dann muss gehandelt werden. Einerseits bekämpft man die Schädlinge, andererseits muss dafür gesorgt werden, dass es nicht wieder zu einem Befall kommt. Frau Holl erklärt: „Wenn es zum Beispiel einen Rattenbefall gibt, geht es erstmal darum: Warum ist der Befall da und wo kann ich vielleicht baulich etwas verändern?” Das sei „auch ein bisschen Detektivarbeit, das herauszufinden.“ Man könne nicht einfach Köder auslegen: „Ich mache erstmal eine Inspektion, ich berate und die Bekämpfung steht dann ganz am Ende. Dadurch löse ich Probleme.“ Wo früher oft voreilig zum Gift gegriffen wurde, findet heute eine grundlegende Analyse statt.
Um in der Schädlingsbekämpfung gut zu arbeiten, ist sich Bärbel Holl sicher: „Es braucht ein großes biologisches Interesse an der Natur und an den Insekten, Nagern usw mit denen ich umgehe.“ Diese Tiere sind nicht automatisch Schädlinge, sie haben auch ihre Funktionen in der Natur.
„Der Kammerjäger von früher ist heute ein gut ausgebildeter Schädlingsbekämpfer“
Zur Stärkung am Mittag geht Dennis in einen kleinen Hafenimbiss. Hier kehrt er offensichtlich regelmäßig zur Pause ein, denn die Inhaberin begrüßt ihn direkt mit dem neusten Hamburger Schnack. Mit einem Kaffee setzt er sich an einen der wenigen Plätze. Während er genüsslich in seine Bouletten mit Brot beißt, steht vor ihm ein kleiner weißer Notizblock, wie an jedem Tisch im Imbiss. An der Seite ist ein Aufdruck. Es ist das Logo von seiner Firma, eins der letzten Überbleibsel aus der Corona-Zeit, als man noch überall seine Kontaktdaten eintragen musste.
Auf dem ersten Blick wirkt das seltsam: Werbeartikel von einem Schädlingsbekämpfer in einem Imbiss. Das mag für einige nach schlechter Werbung für den Imbiss aussehen. Zumal die Kontaktverfolgung schon lange vorbei ist. Die Inhaberin sieht dies anders. Sie hat ein anderes Bild vom Schädlingsbekämpfer. Wenn der Schädlingsbekämpfer bei ihr essen gehe, dann zeige das doch, dass es sauber sei.
Dennis wirbt auf seiner Website selbst mit dem Begriff „Kammerjäger aus Hamburg“. Er sagt, dass viele nach dem Begriff Kammerjäger suchen, statt nach der offiziellen Berufsbezeichnung. Aus eigener langjähriger Berufserfahrung sagt er: „Der Kammerjäger von früher ist heute ein gut ausgebildeter Schädlingsbekämpfer, und ich denke jeder Schädlingsbekämpfer, der erfolgreich seine Prüfung abgeschlossen hat und ein IHK-Abschluss hat, kann doch mit Stolz sagen: Ich bin ausgebildeter oder geprüfter Schädlingsbekämpfer.“
Die Box vor der Haustür
Große graue und schwarze Kisten liegen im Kofferraum von Dennis‘ Auto. Darin befindet sich diverses Material: Von den Vanille-Ködern über weiße Beutel hin zu Besen und Silikonspritze. Dennis nimmt eine Kiste und steuert zielstrebig die Außenwände eines großen Gebäudes an. Er bleibt bei einer robusten, aluminiumfarbenen, langen Box mit einem knalligen orangefarbenen Aufkleber stehen. Altes Laub ragt aus ihr hervor. Solche Boxen sieht man auch häufiger in der Stadt an Wohnhäusern stehen. Er bückt sich und öffnet mit einem Schlüssel und einem schnellen Griff die Box. Darin liegt neben dem Laub auch ein weißer Beutel, wie die in seinem Auto. Darin befindet sich Gift. Der orangefarbene Aufkleber ist ein Warnhinweis. Ein Mini-Loch ist in dem Beutel. Das kleine Loch in dem Beutel stamme jedoch nicht von Tieren, sagt Dennis, sondern diene dazu, dass die Düfte aus dem Beutel freigesetzt werden.
Der Schädlingsbekämpfer erklärt, dass er mit dem Köder herausfinden möchte, ob Ratten vor Ort sind. Diese könnten den Geruch wahrnehmen. Dennis sieht sich den Beutel nochmal genau an und stellt fest: auch hier keine Fraßspuren. Mit Wucht klappt er die Box zu. Laub und Köder bleiben drinnen. Die Box sieht nicht nur robust aus, sondern ist auch kalt und ungemütlich. Durch das Laub solle die Ratte mehr das Gefühl einer natürlichen Umgebung bekommen. Im Akkord kontrolliert Dennis die weiteren Fallen rund um das Gebäude herum. Nichts gefunden.
Bekämpfung gehört nach wie vor zum Alltag
Auch, wenn Dennis an diesem Tag zu keinem Kunden mit Befall fährt, macht dies einen großen Teil seines Alltags aus, erklärt er. Je nach Schädling kommen andere Produkte zum Einsatz. Bei Mäusen kann er beispielsweise die Boxen mit den Vanille-Ködern weiternutzen. Dann muss er den Köder tauschen. Er kann aber auch auf anderen Systemen wie zum Beispiel Schlagfallen zurückgreifen.
Seit einigen Jahren gibt es funkbasierte Schlagfallen. Sie überwachen sich selbst und senden eine Nachricht, sobald die Falle auslöst. Dennis hat diese Funkfallen ausprobiert, stellte jedoch fest, dass er sie in seinen Betriebe nicht braucht. Er findet, dass man den Schädlingsbekämpfer*innen Freiraum in ihren Entscheidungen lassen muss, welche Mittel sie sach-und fachgerecht anwenden, und dazu gehören auch Produkte mit Wirkstoff. Es gebe dabei für ihn kein Entweder-Oder, er hält an dem Motto fest: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, und so probiert er immer wieder neue Produkte aus. Zuletzt hat er ein giftfreies Mittel gegen Bettwanzen getestet.
Dennis sagt: „Es hat sich viel verändert. Früher war in der Schädlingsbekämpfung die Nachtarbeit Gang und Gebe. Es gab bei manchen Schädlingen nur das Sprüh- oder Nebelverfahren. Heute gibt es Gelköder und die Nachtarbeit ist verschwunden.“ Gelköder nutzt man zum Beispiel bei Schaben oder Ameisen, sie haben dabei nicht nur einen positiven Effekt auf die Arbeitszeiten. Das Gel kann zielgenauer eingesetzt werden. So muss nicht ein kompletter Raum mit Gift vernebelt und gesperrt werden. Die Giftmenge und Belastung können dadurch reduziert werden.
Vom Außendienst in den Innendienst
Im Büro von Dennis arbeiten unter anderem seine Frau und seine Schwester. Sie planen bereits im Voraus, zu welchen Kunden die Schädlingsbekämpfer in der Woche fahren. Dennoch kann es immer wieder zu unerwarteten Zwischenfällen kommen, wenn beispielweise ein Kunde anruft, weil er Schädlinge gesichtet hat. Was für Dennis den Beruf nochmal besonders spannend macht: Die Spontanität, Diversität und herausfinden, was wirklich los ist. Außerdem gefällt ihm der Kundekontakt. Egal wo, mit jedem Kunden wird ein kurzer Plausch gehalten, alle kennen den Schädlingsbekämpfer.
Im Büro erfasst Dennis alle Arbeiten vom Tag in einem Online-Dokumentationssystem. Damit haben die Kunden jederzeit einen Überblick, was bei ihnen vor Ort los ist, wie es das verpflichtende Kontrollsystem vorgibt. Dennis erklärt: „Egal welche Online-Dokumentation, sie erfüllt einen Sinn und Zweck und das zeigt aber einfach auch, dass der Schädlingsbekämpfer professioneller geworden ist.“
Zum Abschluss geht es in eine große Halle neben dem Bürogebäude. Dies ist das Lager, in dem sich gut sortiert in verschiedenen Boxen das ganze Material befindet. Dennis zeigt eine bereits gepackte Kiste für den nächsten Tag, wenn es zu einem neuen Kunden gehen soll. Dennis‘ Schwester kommt dazu, mit einem akuten Fall: Ameisenbefall in einer Küche. Da muss gehandelt werden.
Das Fachgebiet von Anna-Lena Schou, geboren 1997 in Walsrode, sind digitale Schlagfallensysteme – das sind Nagetierfallen, die eine Nachricht schicken, wenn sie zuschnappen. Das lernte sie in ihrem Job bei einem Schädlingsbekämpfer. Während ihres Bachelor-Studiums in International Tourism Studies schrieb sie für diverse Online- und Printmedien der Hochschule Harz in Wernigerode. Später verkaufte Anna-Lena Social-Media-Beiträge für Foodguide – über Essen schreibt sie besonders gern. Eigentlich aber will sie generell viel lieber schreiben als verkaufen. Zur Not auch über Schlagfallensysteme. (Kürzel: als)