In einem Parkhaus wohnen? Klingt spektakulär und soll in der Innenstadt Realität werden. Was das Projekt Gröninger Hof zudem mit Klimaschutz zu tun hat, erklärt Architekt und Vorstandsmitglied Björge Köhler.
Titelbild: Illustration von Anne Geßner
Mitten in der Innenstadt, in unmittelbarer Nähe zur viel befahrenen, lauten Willy-Brandt-Straße, steht ein Parkhaus. Von der Fassade fällt der gelbe Putz bereits ab, auch die Wellbleche haben bereits ihre besten Jahre hinter sich. Auf dem Parkhausschild klebt ein roter Aufkleber mit der weißen Aufschrift „Derzeit geschlossen“. Altes Laub sammelt sich vor dem Kassenhäuschen. „Vor Autoabholung zahlen“ steht auf dem Schild, doch in diesem Parkhaus hat trotz Innenstadtlage schon lange kein Auto mehr geparkt. Die schweren Rolltore aus Eisen vor der Einfahrt sind verschlossen. Die Decken des Parkhauses erinnern an vergangene Jahrzehnte und zeigen starke Gebrauchsspuren auf. Gegenüber des Parkhauses befinden sich Neubauten mit Tiefgaragen. Derzeit schauen die Bewohner*innen dieser Häuser noch auf ein verfallendes Gebäude. Bald treffen sie hier neue Nachbar*innen, denn in dem alten Parkhaus soll ein gemeinschaftliches Wohnprojekt mit Kultur und Gewerbeflächen entstehen.
Wie genau ein Parkhaus aus den 1960er Jahren zu einem Wohnhaus werden kann und was das mit der Klimakrise zu tun hat, erklärt Björge Köhler. Er ist Mitglied im Vorstand der Genossenschaft, die das Projekt initiiert hat und selbst Architekt. Dem Projekt liegt die Idee zugrunde, dass alleine durch den Umbau von Bestandsgebäuden, 42 Prozent der Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu einem kompletten Neubau eingespart werden könnten.
550 Stellplätze machen Platz für 90 Haushalte
Die Idee, ein ungenutztes Parkhaus in ein Wohnhaus zu verwandeln, sei bei einem Workshop des Vereins Altstadt für alle entstanden, sagt Köhler. Das Parkhaus gehört der Stadt. Diese hatte jedoch keinen Nutzen mehr dafür und hatte das Grundstück inseriert. So hat sich 2018, zwei Jahre nach der ersten Idee, die Genossenschaft Gröninger Hof gegründet, die hinter dem Projekt Gröninger Hof steht und die Idee weiterentwickelt hat.
Auf acht Stockwerken, wo früher 500 Autos parken konnten, sollen in Zukunft 90 Haushalte wohnen. 60 davon ziehen in eigene Wohnungen. Zusätzlich entstehen sechs Clusterwohnungen. Das bedeutet, dass 30 Haushalte ein eigenes Zimmer mit Bad bewohnen werden und sich eine Wohnküche mit anderen teilen. Das spart Platz und schafft Gemeinschaft – zwei wichtige Punkte beim Projekt Gröninger Hof.
Mittlerweile umfasst die Genossenschaft laut Köhler ungefähr 400 Mitglieder, davon 50 aktive in Arbeitsgruppen wie Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen, Planen und Bauen. Viele der Mitglieder sind Ehrenamtliche und nicht alle werden in das Gebäude in der Innenstadt ziehen. „Am Anfang war es viel Ehrenamt. Mittlerweile gibt es gibt jedoch auch Angestellte wie meine Kollegin im Vorstand und mich und unseren Projektsteuerer für die Bauthemen“, so Köhler. Seine persönliche Motivation an diesem Projekt mitzuwirken ist „Räume zu schaffen, die Gemeinschaft möglich machen. Mich reizt es, an innovativen Projekten dran zu sein, die nicht so wirtschaftlich betrieben sind. Etwas, das versucht, andere Wege zu gehen, um zu zeigen, dass sowas auch geht.“ Er selbst will später auch eine Wohneinheit bewohnen. Das war bereits entschieden, bevor er die Arbeit im Vorstand übernahm.
Zwischen Erhalt und Neubau
Es gab den Wunsch, sowohl den oberirdischen als auch den unterirdischen Teil des Parkhauses in der Neuen Gröningerstraße 12 zu erhalten. Die Folgen von über 50 Jahren Nutzung sind jedoch klar zu sehen. An den Decken sind die Spuren der Autoabgase sichtbar. Chlorid hat den Beton angegriffen. Damit war klar: Der oberirdische und sichtbare Teil des Parkhauses kann somit nicht bleiben. Die Abbrucharbeiten für diesen Teil sind für dieses Jahr geplant. Hierbei ist Präzision gefragt, denn Ziel ist es, das Kellergeschoss, die massiven Bodenplatten und das Fundament des alten Parkhauses zu erhalten.
Allein dies spare laut Köhler mit dem Fokus auf Beton schon 42 Prozent der Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu einem kompletten Neubau ein. „Es gibt dieses geflügelte Wort ,das Geld steckt in der Erde’. Es gibt Leute, die ihr Häusle bauen und dann merken ,ich hab schon richtig viel Geld verballert und ich hab bisher nur den Keller.’ Es ist halt tatsächlich so, dass wahnsinnig viele Materialien überhaupt erst mal in die Gründung gehen und so ist es hier halt auch. Das CO₂ steckt auch in der Erde.“ Mit einberechnet sind hier der Transport, der partielle Rückbau, die Sanierung und die Produktion der neuen Materialien.
Umgang mit Ressourcen
Ist der Altbau erst einmal abgerissen, kann es direkt losgehen. Konkrete Pläne für den oberirdischen Neubau gibt es jetzt schon. Köhler erklärt: „Oberirdisch bauen wir mit Holz. Das ist auf jeden Fall nachhaltiger als die Massivbauweise. Aber da gibt es natürlich auch kritische Komponenten, wie das Thema Entwaldung. Die Ressource Holz kommt ja auch nicht irgendwo her.“ Dennoch ist Holz im Vergleich zu Sand, der bei der Herstellung von Beton benutzt wird, nachwachsend und kann CO₂ speichern. An den Stellen, wo Beton dennoch benötigt wird, überlege die Genossenschaft, mit Recyclingbeton zu arbeiten. Das ist keine Klimaschutzmaßnahme, aber spart die begrenzte Ressource Sand und trägt somit zum ressourcenschonenden Bauen bei.
Auch wenn der sichtbare Teil des Parkhauses, anders als geplant, abgerissen wird, soll von der ursprünglichen Planung noch etwas bleiben. „Die Idee, die in dem Architekturwettbewerb herauskam, ist, in diesen Klotz einen Innenhof reinzuschneiden, sodass es später ein Vorder- und Hinterhaus gibt und dabei sind wir auch geblieben.“ Auch die versetzten Höhen, die man aus Parkhäusern kennt, sollen bleiben.
Solarpanels und natürliche Ausgleichsflächen
Natürlich ist auch der alltägliche Energieverbrauch der späteren Bewohner*innen ein Thema. Im Dezember hat die Hamburgische Bürgerschaft die Novelle des Hamburger Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Bestehende Gebäude müssen dadurch seit dem 1. Januar 2024 Solarpanels bei einem wesentlichen Umbau des Dachs installieren müssen. Die Installation von Solarpanels galt nach dem Klimaschutzgesetz zuvor für Neubauten. „Im Grunde sind wir hier mitten in der Innenstadt und das Gebäude versiegelt 100 Prozent des Grundstücks. Dabei wird es auch bleiben, wenn wir neu bauen, da wir auf dieser alten Struktur bleiben. Somit haben wir keine Fläche, wo Wasser versickern kann. Darauf reagieren wir, indem wir die Dächer begrünen und zum Teil auch den Innenhof, wo dann Wasser gehalten werden kann.“ Was hier in Planung ist, ist ein sogenanntes Solargründach – eine Kombination aus Photovoltaik und Grünfläche. Dadurch kann Strom oder Wärme produziert, natürliche Temperaturunterschiede ausgeglichen werden, und Insekten können dort leben. Gemäß der Novelle wird dies in Hamburg ab 2027 Pflicht für flache Dächer wie beim Gröninger Hof.
Auch wenn ein Solargründach nach einer idealen Kombination klingt, erklärt Köhler:
„Wenn man Das Ziel verfolgt, sehr kompakt zu bauen und Viel auf viel zu wenig Fläche unterzubringen, dann hat man ganz schnell Konflikte. Es Geht halt nicht alles.” – Björge Köhler
Der Fokus der Genossenschaft lege vor allem auf Grünflächen und Kinderspielflächen. Bereits vor dem Umbau war das Parkhaus an die Fernwärmeversorgung angeschlossen. Auch das zukünftige Wohnhaus wird hieran angeschlossen sein.
Sharing Enonmy im Bereich Bauen und Wohnen
Der Gedanke des gemeinschaftlichen Wohnens kann Auswirkungen auf den Klimaschutz haben. Auf kompakter Fläche verbrauchen Menschen weniger Platz und weniger Energie als in großen Wohnungen oder Einfamilienhäusern. Außerdem spricht Köhler das Problem des Wohnungsmangels an: „Wir sprechen ja auch über den Wohnungsmangel in Hamburg und der kommt eigentlich nicht zustande, weil es zu wenig Wohnungen in Hamburg gibt und weil die Bevölkerung so krass gewachsen ist über die letzten Jahrzehnte. Der kommt eigentlich dadurch zustande, dass wir als Einzelpersonen auf immer mehr Fläche wohnen.“ Somit gibt es gleich zwei Probleme. „Es ist natürlich alles viel komplizierter, aber man könnte sagen, wenn wir wieder weniger Fläche verbrauchen pro Person, dann müssten wir auch weniger bauen und dann hätten wir auch kein Wohnungsproblem mehr. Und das ist auch die Idee bei uns im Haus: Möglichst kompakt, auf möglichst kleinem Grundriss und alles was man nicht privat braucht, zu teilen und gemeinsam zu nutzen.“ So wird es in den Wohnungen im Gröninger Hof keine Arbeitszimmer, Gästezimmer oder Waschmaschinen geben. Dafür soll es einen gemeinschaftlichen Co-Working-Space geben und einzelne Wohnungen für Gäste, die genutzt werden können, wenn man Besuch bekommt. Der Gedanke erinnert an Sharing Economy, nur halt im Bereich Bauen und Wohnen.
Ringen um jeden Kubikmeter Beton
Trotz all der Maßnahmen stellt Köhler klar: „Wir reißen das Haus ab und am Ende wird man gar nicht mehr sehen, dass hier mal ein Parkhaus stand. Dennoch wird es sich lohnen, um jeden Kubikmeter Beton zu ringen. Aber es ist halt auch nicht so, dass wir ein CO₂-neutrales Bauprojekt wären.“
Ob es auch noch Platz für Autos geben wird? Köhler sagt dazu: „Parkplätze werden wirklich radikal weniger. Wir haben am Ende 10 Parkplätze. Für beispielsweise Menschen mit Behinderung, die darauf angewiesen sind und ansonsten Plätze für Carsharing.“
Das Fachgebiet von Anna-Lena Schou, geboren 1997 in Walsrode, sind digitale Schlagfallensysteme – das sind Nagetierfallen, die eine Nachricht schicken, wenn sie zuschnappen. Das lernte sie in ihrem Job bei einem Schädlingsbekämpfer. Während ihres Bachelor-Studiums in International Tourism Studies schrieb sie für diverse Online- und Printmedien der Hochschule Harz in Wernigerode. Später verkaufte Anna-Lena Social-Media-Beiträge für Foodguide – über Essen schreibt sie besonders gern. Eigentlich aber will sie generell viel lieber schreiben als verkaufen. Zur Not auch über Schlagfallensysteme. (Kürzel: als)