Klimabildung mit Hilfe von Holz, Glas, Schnüren, Spiegeln und Illustrationen – das ist das Projekt von Zelt17 aus Hamburg. Mit Workshops und einer interaktiven Ausstellung möchte das Team Menschen zu einem umweltfreundlicheren Leben motivieren.
Titelbild: Illustration von Anne Geßner
Zweimal die Rolltreppen nach oben, dann rechts abbiegen und schon fallen einem die Vintagemöbel und die bunt bemalten, teils beschrifteten, mal mit Schnüren von der Decke hängenden Ausstellungsstücke vorwiegend aus Holz und Glas ins Auge. Normalerweise sind die Möbelstücke in einer Halle in Wilhelmsburg, auf Minitopia, untergebracht. Das ist eine Kulturstätte und Plattform für urbane Selbstversorgung. An diesem Tag stehen sie im Jupiter, dem ehemaligen Kaufhaus an der Mönckebergstraße, gegenüber vom Hauptbahnhof.
Auf den ersten Blick wirken die Gegenstände ein bisschen zusammengewürfelt, die Augen suchen nach einem Aufhänger. Tritt man näher heran, ist die Beschriftung zu lesen. Die einzelnen Möbelstücke sind durchnummeriert und betitelt, wie Stationen.
In der Mitte eine dunkelgrüne Blechtonne. Die Nummer 12. „Nachhaltige/r Konsum und Produktion” steht auf einem Holzschild geschrieben. „Wer profitiert von der Verpackungsflut?” und „Wo ist Verpackung sinnvoll? Wo nicht?” sind Fragen auf weiteren kleinen Schildern, die an der Tonne befestigt sind. Oben hat die Tonne vier breite Löcher, in der Mitte heißt es: „Mit diesen Alternativen fischst du den Müll aus der Tonne!”. Seile hängen an den Seiten, sie führen ins Innere der Tonne hinein. Zieht man daran, fischt man Wattepads, Tampons oder Shampooflaschen aus Plastik heraus. Oben auf der Tonne liegen eine Menstruationstasse oder eine Bambus-Zahnbürste: die nachhaltigen Alternativen?
Nachhaltigkeit greifbar machen
Zelt17 – das sind David Hummel, Christina Steinke und Thea Heinze: Drei kreative Köpfe mit dem Ziel, den Themenkomplex Nachhaltigkeit wortwörtlich greifbar zu machen. Dafür haben David und Christina im Jahr 2018 eine interaktive Ausstellung entwickelt. Besucher*innen können unterschiedliche Module, besser gesagt Stationen, durchlaufen, die aus recycelten Möbeln und Materialien wie Holz, Glas, Blech und Schnüren bestehen. Wie bei Modul 12 sind die Ausstellungsstücke mit Illustrationen und wissenschaftlichen Fakten versehen, oftmals haben sie einen spielerischen Charakter.
Das Projekt an sich sei auf David Hummels Mist gewachsen, sagt Steinke. Beim Besuch eines Festivals habe er die Idee für Zelt17 gehabt: „Bildungsarbeit zum Themenkomplex Nachhaltigkeit muss irgendwie Trittbrett fahren, also dort hin wo Leute ohnehin sind und Zeit haben. Festivals sind solche Orte. Wir haben uns vorgestellt, dass wir sowas wie eine Stage oder ein Zelt haben, wo wir das Thema interaktiv bespielen würden mit Ausstellungen, Workshops und Co.” Die Zahl 17 sei dabei an die 17 SDGs, also die globalen Nachhaltigkeitsziele angelehnt. Den Gedanken hat das Team dann in die Tat umgesetzt: Die 17 Klimaziele sind das Rahmenwerk der Ausstellung, jedes Modul beschäftigt sich mit einem der Ziele.
Das Team entwickelt das Projekt immer weiter, neben der Ausstellung bieten sie auch Workshops an. „Wir möchten die Inhalte zum Beispiel auch Schüler*innen vermitteln”, sagt Steinke. Sie setzt die grafischen Arbeiten und Illustrationen der Ausstellung um. Als selbstständige Mediendesignerin kann sie sich in diesem Feld kreativ ausleben und übernimmt auch die Pflege der Webseite und der Social Media Kanäle für Zelt17. Hummel ist im Team für die Organisation und die Konzeption zuständig. Nebenberuflich arbeitet er als Projektmanager im Bildungsbereich. Bei Zelt17 sägt, schleift und bearbeitet er die groben Holzbauten und Materialien, aus denen dann nach und nach einzelne Module entstehen. Das dritte Teammitglied, Thea Heinze, ist seit einem halben Jahr mit dabei. Sie sei gerade noch auf der Suche nach ihrer Nische bei dem Projekt, erzählt sie, wenn sie nicht gerade ihren Aufgaben als Managerin für klassische Ensembles und Künstler*innen in der klassischen Musik nachgeht.
Was sind die SDG’s?
Die SDGs, Sustainable Development Goals, sind 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die im September 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York verabschiedet wurden. Sie stellen eine Agenda mit 169 Unterzielen dar, die globale nachhaltige Strukturen auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene schaffen soll. Ein zentraler Bestandteil der Ziele ist die Bekämpfung von Armut und die Reduzierung von Ungleichheiten. Die Kernbotschaften der SDG’s sind: Mensch, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft. Die Ziele sollen bis 2030 erreicht sein, sind allerdings rechtlich nicht bindend.
Von Ebay-Möbeln zu Ausstellungsstücken
Von der Idee, über den Schaffensprozess, bis hin zum fertigen Ausstellungsstück – Steinke schätzt, dass es etwa ein halbes Jahr gedauert hat, bis die Module von Zelt17 fertig waren. Das Team arbeitet hauptsächlich mit Upcycling-Material wie alten Möbeln von eBay Kleinanzeigen.
Sind die Möbelstücke und Materialien erst einmal ausgewählt, geht es im nächsten Schritt um die Intention des entstehenden Moduls. Zum Beispiel: „Ich will mich mit dem Thema soziale Ungleichheit beschäftigen. Wie kann ich das machen?”, sagt Hummel. Der dritte Strang ist die Sensorik-Ebene. Hier entscheiden die drei, welche Sinne sie mit der Station ansprechen möchten, wie die Haptik funktionieren könnte und wie spielerisch die Gestaltung sein soll.
Insgesamt sei die Ausstellung so konzipiert, dass sie Fragen an die Besucher*innen stelle und ihnen Impulse mitgebe. Zum Beispiel bei Modul 10, bei dem es um das 10. Klimaziel, „Weniger Ungleichheiten”, geht: In zwei großen Holzrahmen hängen an Schnüren aufgespannte Schilder mit Fragen darauf:
- Warum habe ich Vorurteile?
- Habe ich den Mut, mich zu entschuldigen?
- Wer entscheidet, was (un-)gerecht ist?
- Bin ich sichtbar?
- Was ist wichtiger, wie ich es meine oder wie es ankommt?
Motivieren anstatt deprimieren
Modul 10 ruft konkret zum Reflektieren und zum Interagieren auf. Zelt17 will zum Handeln motivieren. Genauer: „an einem positiven Zukunftsentwurf mitzuwirken”, so Hummel. Der Hintergrund: Die ganze Menschheit steht vor elementaren Krisen und Fragen, bei denen es neben dem Klima auch um Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Sexismus geht – im Grunde also darum, wie Menschen miteinander umgehen wollen. „Und wenn man sich nur mit den Problemen beschäftigt, dann wird man völlig erschlagen und lethargisch”, sagt Hummel. Genau diesem Gefühl will das Team entgegenwirken. Sie schöpfen ihre Motivation für das Projekt aus der Idee, die großen, schweren Themen, mit positiven Bildern und Assoziationen zu verbinden. Ihr Motto: Motivieren anstatt deprimieren.
Dabei ist Hummels Vision fast schon eine Aktivistische:
„Nimm doch vielleicht mal das Thema zu deinem Lokalpolitiker oder deiner Lokalpolitikerin mit. Guck doch mal, wo sind deine Hebel? Wo können wir im Kollektiv Veränderung anstoßen?”
Die Schwierigkeit dabei: „Viele Besucher*innen gehen leider schon mit diesem Blick in die Ausstellung rein: Das sind Tipps für mich, wie ich besser klimafreundlich werden kann”, so der Projektmanager. Denn wenn es um Lösungen der globalen Krise gehe, sei oft die Rede davon, individuell anders konsumieren zu müssen. Und bei sich selbst anzufangen, hält Hummel für sinnvoll und wichtig. Er kritisiert aber, dass es dabei oft bleibt und wünscht sich mehr Kommunikation und Ausdruck in Richtung Politik, etwa durch Petitionen, Demonstrationen oder alternative Lebensmodelle.
Persönlicher Austausch für mehr Wirksamkeit
Wokshops ermöglichen den persönlichen Austausch, den das Team bei ihrer Bildungsarbeit besonders schätzt.
„Am meisten Wirkung sehe ich, wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme und zum Beispiel die Spiele der Ausstellung mit ihnen zocke.”
Um Hummels Drive, seiner Vision noch mehr Raum zu geben, gibt es den zweiten Teil von Zelt17: das Workshopangebot. Hierbei wird das Konzept der Ausstellung den Teilnehmer*innen näher gebracht: Erst ordnet das Team die Nachhaltigkeitsthemen global ein, dann führen die Teilnehmenden eine Alltagsanalyse durch und zum Schluss werden alternative Handlungsoptionen überlegt und diskutiert. Auch hier spricht Hummel von Handlungen, die über den Individualismus hinaus gehen. Zum Beispiel: „In den nächsten vier Wochen finde ich heraus, wer in meinem Bezirk für Grünflachen zuständig ist.” Die Tätigkeiten werden zu Challenges formuliert.
In Bezug auf Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es laut Hummels am effektivsten, von der persönlichen Lebensrealität auszugehen und über das individuelle zum kollektiven Handeln zu kommen: „Am meisten Motivation erlebe ich, wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme, wir die Spiele der Ausstellung zocken und dann über die verschiedenen Hebel des Handelns sprechen.”