„Letters for Amina“ erzählt die Geschichte eines psychisch kranken Mannes, der fanatisch einer Illusion hinterherjagt. Der dänische Regisseur Jacob Bitsch schafft es, ein tiefsitzendes Gefühl der Beklommenheit zu erzeugen.
„Sie haben heute keinen Brief bekommen“ sagt die Frau hinter der Sicherheitsscheibe. „Überprüfen Sie das nochmal“, entgegnet der junge Mann verzweifelt. „Sie haben keinen Brief bekommen, Janus“. Er wird zornig. Die Frau schließt das Fenster. Er rastet aus, schlägt mit der Faust gegen die Scheibe, wirft einen Stuhl. Schließlich wird Janus von Psychiatrie-Mitarbeitern überwältigt.
Ein paar Briefe als einziger Halt
Der Psychothriller erzählt die Geschichte von Janus, einem jungen Mann, der aus einer Psychiatrie in Kopenhagen entlassen wird. Durch zahlreiche Rückblenden wird deutlich, dass ihn während seiner Behandlung lediglich der Briefwechsel mit Amina, einer alten Schulfreundin, am Leben gehalten hat. Der Kontaktaufbau kommt ziemlich unbeholfen zustande. Janus ruft Amina an und fragt, ob er ihr schreiben darf. Sie willigt ein.
Als irgendwann keine Briefe mehr von ihr kommen, schreibt er dennoch weiter. Immer weiter. Aminas Briefe trägt er nach der Entlassung in einer Plastiktüte immer bei sich, sie scheinen sein wertvollster Besitz zu sein. Und sein einziges Ziel ist es, die Frau zu finden, die ihm Hoffnung gab. Dabei lässt Janus nichts unversucht, kann ihren Aufenthaltsort aber nicht ausfindig machen. Er gerät in eine Spirale aus Verzweiflung, Paranoia und Gewalt.
Pure Besessenheit
Die kontrastarmen Bilder und die bedrückende Musikkulisse lassen ein tiefes Gefühl der Beklemmung entstehen. Der Fokus der Handlung liegt vollständig auf dem Protagonisten und seinem Bestreben, Amina zu finden. Dabei erhält der Zuschauer durch eindringliche Szenen Einblicke in Janus’ Geisteszustand. Jene Momente, in denen Janus ganz für sich ist und es nichts anderes als seine Briefe, seine Paranoia und seine Verzweiflung für ihn gibt, lassen seine Besessenheit am deutlichsten werden.
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Der hervorragende Hauptdarsteller Esben Smed Jensen scheint es spielend leicht zu schaffen, Janus’ Höhen und Tiefen glaubwürdig auf die Leinwand zu bringen. Der fast schon schizophren wirkende Wechsel zwischen berechnendem Pragmatismus und völligem Wahnsinn gehen unter die Haut. Vor allem die plötzlichen Plot-Twists sorgen für so manche überraschende Wendung. Gleichzeitig übt der Film subtile Gesellschaftskritik, indem beispielsweise der latente Rassismus gegen Amina, die türkischstämmige Dänin ist, thematisiert wird.
Dennoch lassen die vielen Handlungslücken den Zuschauer teilweise ratlos zurück. Woher kommt Janus? Wie ist er in die psychiatrische Einrichtung gekommen? Warum hat er ausgerechnet Amina angerufen, obwohl beide zuvor keine besondere Beziehung zueinander zu haben schienen? Auf diese Fragen liefert der Film keine Antworten. Genau so wenig wird deutlich, mit welchem konkreten psychischen Leiden Janus überhaupt zu kämpfen hat.
„Letters for Amina“ erfindet den Psychothriller nicht neu und zieht den Zuschauer dennoch in seinen Bann. Er macht nachdenklich. Er verdeutlicht, in welchen ausweglosen Strudel das Leben geraten kann.