In der Woche vom 6. bis 10. November besuchten vier Journalismus-Studierende aus Sankt Petersburg die FINK.HAMBURG-Redaktion. Wir haben mit ihnen über Zensur, ihre journalistische Zukunft und Unterschiede zwischen russischen und deutschen Medien gesprochen.
“Es ist sehr schwer, Journalist in Russland zu sein”
Mark, 22 Jahre
“In Russland gibt es schon eine Art Freiheit der Presse. Gleichzeitig haben wir ein Problem mit der Unabhängigkeit der Presse – es geht nämlich hauptsächlich um Geld, und die Regierung hat definitiv einen monetären Einfluss. Persönlich habe ich an meinen Texten noch nie Zensur erlebt. Aber ich habe mal mitbekommen, wie ein Freund von mir etwas in der Art erlebt hat: Hier in Russland gibt es seit Jahren Streit um die Winterdienste, meistens sind sie nämlich überrascht vom Wintereinbruch. Jedes Jahr. Und dann machen sie häufig keinen besonders guten Job, die Straßen sind nicht geräumt und keiner kommt zur Arbeit. Der Freund von mir arbeitet bei einem Fernsehsender der Regierung und kommentierte eine Reportage über Schneeräumung: allerdings kritisierte er sie nicht, sondern scherzte nur. Für mich ist das aber keine Zensur – sondern eher eine Art Selbstzensur.
Was man aber noch sagen muss: Es ist sehr schwer, Journalist in Russland zu sein. Vor allem für uns junge Journalisten. Das Geld reicht einfach nicht aus, um zu überleben.”
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“Ich schaue staatliches Fernsehen”
Victoria, 22 Jahre
“Junge Menschen in Russland nutzen hauptsächlich digitale Medien – ich glaube, unsere Generation findet das einfach am bequemsten. Zudem kann man im Netz viel mehr und sehr viel unterschiedlichere Sichtweisen finden. Ich persönlich beobachte aber auch absichtlich das staatliche Fernsehen. So kann man die staatliche Information mit der aus einer unabhängigen Quelle vergleichen. Ich glaube, dieser Vergleich gibt mir ein wesentlich objektiveres Bild davon, was in der Welt wirklich passiert.
Ich habe mich entschieden, Journalismus zu studieren, weil ich mich immer sehr wohl damit gefühlt habe, zu schreiben – aber auch, Menschen zu verstehen. Allerdings war ich nie eine Person, die die Welt durch großartige journalistische Arbeit verändern wollte – ich will einfach nur mein Ding machen. Und das ist Lifestylejournalismus. Es ist genau meine Nische, und da versuche ich einfach mein Bestes zu geben.”
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“Ich habe schon Erfahrung mit Zensur gemacht”
Vladimir, 23 Jahre
“Vor ein paar Jahren gab es in Russland eine große Geschichte: Der Journalist Ilya Azar hat ein Interview mit dem Anführer einer ukrainisch-rechtsradikalen Gruppe geführt. Der Text wurde auf Lenta.ru veröffentlicht. Danach verwarnte der Föderale Dienst für Kommunikation, Informationstechnologie und Massenmedien das Online-Magazin. Nach drei Verwarnungen werden Medien in Russland geschlossen. Nach der Geschichte entließ der Besitzer von Lenta.ru die Chefredakteurin Galina Timchenko. Mit ihr verließ der Großteil des Teams Lenta.ru. Das zeigt, dass die indirekte Zensur in Russland ziemlich aktiv ist. Deswegen müssen wir meistens der Regel folgen: “Schreiben Sie nicht zu viel – und Sie werden nicht gefeuert”.
Ich habe auch selber Erfahrung mit Zensur gemacht: 2014 wurde ich als Korrespondent zu den Kommunalwahlen entsandt. Journalisten können solche Orte frei besuchen. Aber ich wurde aus dem Wahllokal vertrieben. Und zwar nicht von einem Polizisten, sondern von einem unbekannten Mann in einem Sportanzug. Ich habe versucht, mich beim zentralen Wahldienst zu beschweren, aber ich wurde ignoriert. Deshalb durfte ich damals nicht zur Wahlstation.”
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“In Deutschland merkt man nicht, welche Meinung der Journalist hat”
Valeria, 21 Jahre
“Die deutsche und die russische Presse unterscheiden sich in ein paar sehr wichtigen Punkten: Printmedien sind zum Beispiel in Deutschland immer noch viel populärer als in Russland. Ich habe außerdem das Gefühl, dass deutsche Artikel häufiger auf Tatsachen basieren und man weniger merkt, welche Meinung der Journalist hat. Ich glaube, wir arbeiten in Russland oft mit viel Emotionen. Aber ich kann nicht sagen, dass die deutschen Medien allgemein so viel objektiver sind: Sie sind zum Beispiel subjektiv bei der Auswahl der Fakten und Themen. Gleichzeitig spezialisiert sich auch die russische Presse immer mehr – und konzentriert sich auf ein kleineres Publikum.
Mir persönlich gibt Journalismus die Möglichkeit, mehr als ein Leben zu leben. Es verbindet meine Leidenschaft, aus verschiedenen Bereichen zu lernen und gute Geschichten zu erzählen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in einem Büro mit Papierkram arbeite. Ich könnte ohne Kommunikation und neue Eindrücke nicht überleben. Aber ich würde nicht so hohe Worte verwenden wie “Ich will die Wahrheit zeigen”. Meine Worte sind eher: “Ich will Geschichten erzählen, weil jede Geschichte es verdient hat, erzählt zu werden.”
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