Auf einer Palliativstation wird nicht nur gestorben, sondern auch gelebt. FINK.HAMBURG-Redakteurin Johanna Klug brachte als ehrenamtliche Helferin sterbenden Menschen Getränke ans Bett – und hörte dabei viele Geschichten.
Vorsichtig klopfe ich an eine Tür der Palliativstation und trete ein. Ich weiß bereits, dass der junge Mann in dem Zimmer erst Mitte 20 und damit etwas älter ist als ich. Seine Diagnose: ein äußerst seltener Hirntumor. In der Mitte des Zimmers steht ein Mann mit perfekt sitzender Jeans, glatt gebügeltem Hemd und grau meliertem Haar. Er wirkt verloren und blickt mich fragend an. Wahrscheinlich der Vater, denke ich. Sein Sohn liegt im Bett. Die Decke so weit hochgezogen, dass nur der Kopf herausschaut.
„Möchtet ihr einen Eiskaffee?“, frage ich mit einem Lächeln. Ich verschränke meine Arme hinterm Rücken, nehme mich selbst in dem Moment zurück. Sorgenvoll blickt der Vater zu seinem Sohn. „Die Medikation wurde gerade neu eingestellt, er darf noch nichts essen. Aber ich hätte sehr gerne einen“, antwortet er. Die Erleichterung, eine einfache Entscheidung treffen zu können, ist ihm anzusehen. Etwas Ablenkung kann dem Leben Normalität zurückgeben.
Gespräche, Therapien und Entspannungsrituale
„Momentan sind viele junge Patienten da“, sagt Barbara Heil, Sozialpädagogin auf der Palliativstation. Im Oktober 2009 wurde das Interdisziplinäre Zentrum Palliativmedizin in Würzburg eröffnet und momentan stehen zehn Einzelzimmer zur Verfügung. Ein Team aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Physiotherapeuten und ehrenamtlichen Helfern arbeitet eng zusammen. Bevor ich nach Hamburg zog, war ich ein Teil davon.
Die ganzheitliche Sicht auf den Menschen ist bei der Arbeit entscheidend, um auf individuelle Wünsche der Schwerkranken eingehen zu können. “Auch Selbsthilfe- und Entspannungsgruppen für Krebspatienten und Angehörige werden wöchentlich angeboten, um ein vielfältiges Angebot zu schaffen”, so Heil.
Das deutsche Wort Palliativmedizin ist für das Angebot eigentlich nicht aussagekräftig genug. In englischsprachigen Ländern spricht man von Palliative Care und schließt so die Fürsorge und Betreuung des Sterbenden und seiner Angehörigen mit ein. Der Begriff Palliativmedizin kommt aus dem Lateinischen von “palliare” und bedeutet: mit einem Mantel umhüllen. Die Weltgesundheitsorganisation definiert darunter ein „ganzheitliches Betreuungskonzept zur Begleitung von Sterbenden“.
Laut Bertelsmann Stiftung wünschen sich 76 Prozent der Deutschen zu Hause zu sterben. Trotzdem endet für viele Menschen das Leben im Krankenhaus, wie die folgende Karte zeigt. Über die Suchfunktion kann man sich die Zahlen für das Bundesland anzeigen lassen, in dem man wohnt.
Hauptaufgabe der Palliativmedizin ist es, die Lebensqualität des sterbenden Menschen zu bewahren und zu verbessern. Im Endstadium einer tödlichen Erkrankung geht es nicht mehr um eine heilungsorientierte Behandlung oder lebensverlängernde Maßnahmen, sondern darum Schmerzen zu lindern, Gespräche zu führen, und Therapien oder Entspannungsrituale anzubieten. Auch Angehörige, Freunde und Bekannte werden mit ihren Bedürfnissen und Sorgen in die Behandlung eingebunden.
Im Gegensatz zum Hospiz sind Palliativstationen Teil eines Krankenhauses, deshalb arbeiten hier auch Ärzte. Sie können die Patienten nach Hause oder in eine andere stationäre Einrichtung entlassen. Aber auch hier sterben die Menschen. Dann wird eine Kerze direkt vor die Zimmertür gestellt.
“Die Reise meines Lebens”
In dem nächsten Zimmer liegt ein älterer Herr, ebenfalls mit einem Gehirntumor. Verbrauchte Luft schlägt mir entgegen. An seinem Schrank klebt ein Zettel: Der Patient hat strenge Bettruhe. Er wirkt erschöpft, tut sich schwer beim Sprechen. Den Eistee, den ich ihm reiche, trinkt er gierig und sinkt danach kraftlos zurück in seine Kissen. Auch das gehört dazu, den Menschen eine Freude zu bereiten oder einfach nur da zu sein. Bis zum Ende als lebender Mensch behandelt zu werden und nicht einsam zu sterben, ist auch Lebensqualität.
Nebenan liegt das Zimmer einer zerbrechlich wirkenden Frau. Sie ist um die 50 Jahre alt. Die Haut ist blass und ihre Augen liegen tief in den Höhlen. Haare hat sie keine mehr. Ein leichter Flaum auf dem Kopf ist alles, was nach der Chemotherapie geblieben ist. Die Eiswürfel klirren, als ich ihr den Kräutereistee reiche. Mit einem Strahlen greift sie mit ihren dünnen Armen danach. „Wenn ich wieder zu Kräften komme, möchte ich eine Kreuzfahrt machen. Am liebsten nach Bali“, erzählt sie. „Das wird die Reise meines Lebens.“