Die Mehrzahl der Mitglieder sind Frauen. Foto: CrossFit Sankt Pauli

Seine Fans beschreiben CrossFit als härtestes Training der Welt. Trotzdem oder gerade deshalb trainieren in den Hamburger Boxen viele Frauen. Ein Besuch.

Von der Stirn tropft eine Schweißperle, während der Blick zur tickenden Uhr wandert. Die Zeit läuft ab, noch 20 Sekunden. Einatmen. Ausatmen. Nur angestrengtes Keuchen übertönt das klopfende Herz. Noch ein letztes Mal muss die Langhantel über den Kopf gebracht werden, bevor das Workout vorbei ist. Weiß gekreidete Hände umfassen mit starkem Griff die Stange. Die Muskeln treten hervor, der gesamte Körper spannt sich an. Eine zehntel Sekunde steht die Zeit still. Volle Konzentration. Dann reißt die Sportlerin mit einem Ruck 50 Kilo über ihren Kopf.

Seine Fans beschreiben CrossFit als das härteste Training der Welt. Eine Synthese aus Gewichtheben, Gymnastik und Leichtathletik. Funktionelles Training, das Soldaten und Marines auf den Krieg vorbereiten soll. Es gehe immer um Schnelligkeit und Wettkampf. Disziplin, Zielstrebigkeit und die Perfektionierung des Körpers stehen im Fokus. CrossFit ist als neuer Fitness-Trend in aller Munde. Doch was genau zeichnet die Sportart wirklich aus?

Inmitten der Hamburger Speicherstadt, in einem der unscheinbar wirkenden, alten Lagerräume, befindet sich eine der beiden Boxen –  so nennt man ein CrossFit Studio. Betreiber ist CrossFit Sankt Pauli (CFSP). Hinter der klemmenden Stahltür verbirgt sich ein Raum, der für viele Mitglieder ein zweites Zuhause ist,ein Raum, in dem manche den größten Teil ihrer Freizeit verbringen. Wo früher Kaffee, Tee und Gewürze gelagert wurden, kann man heute an Seilen bis an die hohen Decken klettern, sich an Ringen hochschwingen und an den nebeneinander aufgereihten Rudermaschinen seine Cardio-Einheit bestreiten.

„Du musst keine Maschine sein, um hier trainieren zu können.“

Was wie ein Studio für Hardcore-Sportler wirkt, steht tatsächlich jedem Nutzer offen. „Egal welche Alters- oder Gewichtsklasse,alle gehen hier an ihre Grenzen, aber ob diese Grenze bei zehn oder 100 Kilo Bankdrücken liegt, spielt dabei keine Rolle“, sagt Simon Müller (36), Coach und Inhaber von CFSP. „Du musst auch keine Maschine sein, um hier trainieren zu können.“

Simon Müller ist Inhaber und Coach. Foto: CrossFit Sankt Pauli

Simon gründete die erste Box vor drei Jahren in Sankt Pauli und bringt seit mehr als einem Jahr auch die Speicherstadt zum Schwitzen. „Wenn du nur wegen der ganzen tollen und muskulösen Jungs kommst, ist das für mich auch in Ordnung“, sagt er augenzwinkernd und verzieht dabei sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Sein graues Shirt, das an Brust und Oberarmen spannt, lässt seine Tätowierungen an Armen und Kehlkopf hervorblicken, seine Shorts reichen bis knapp übers Knie, das von einem kreuzförmigen CFSP Logo geziert wird. Seine Leidenschaft für CrossFit bestätigt nicht nur seine muskulöse Statur, sondern auch die Herzlichkeit mit der er jedem begegnet und die mitschwingt, wenn er über seine Box spricht.

Seine Gäste motiviert er mit guter Laune und seinen neckenden Sprüchen: „Du schwitzt doch noch gar nicht, schaff jetzt mal was!“ Auch wenn beim CrossFit die Ergebnisse der Workouts offen kommuniziert werden, muss man nicht immer zwangsläufig auch der Beste sein. Für ihn reicht es zu wissen, dass man das Beste aus sich herausgeholt hat und an seine Grenzen gegangen ist. Genau dafür sorgen die unterschiedlichen Workouts täglich.

„CrossFit ist manchmal wie auf einem Friseurstuhl zu sitzen, es hört Dir immer jemand zu.“

„Die Gefahr sich zu überschätzen besteht immer, aber durch das Training in kleinen Gruppen und die enge Beziehung zu uns, also zu den Coaches, kennen wir unsere Mitglieder und können den Ehrgeiz durch ein Gespräch auch wieder auf ein gesundes Niveau bringen“, erklärt Simon. „CrossFit ist manchmal wie auf einem Friseurstuhl zu sitzen, es hört Dir immer jemand zu oder ist für Dich da und bietet Hilfe an und der Sport ist ganz nebenbei auch ein Ventil für den Frustabbau.“

Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen. Ein konzentriertes Gesicht. Die sorgenvollen Gedanken des Tages werden ausgeschaltet. Nur im Hintergrund nimmt die Sportlerin Simon wahr: „Noch drei. Zwei. Eins.“ Dann wird die Musik laut und Eminem rappt. Die Uhr piept. Der Bass setzt ein. Entschlossen greift sie nach dem Griff ihrer Rudermaschine und beginnt kräftig zu ziehen. 102m. 322m. 456m. Die Pausen zwischen den einzelnen Zügen werden immer länger. Endlich 500m. Sie steht auf und dreht sich um, sie will keine Zeit verlieren. 15 Klimmzüge. Sie stützt sich mit den Händen auf ihren Knien ab, den Oberkörper nach vorn gebeugt. Sie hört Stimmen die sie anfeuern: „Komm schon ran an da jetzt!“, „Du schaffst das!“. Der Bass wummert in ihren Ohren und Eminem rappt. Sie springt an das Reck und zählt die Wiederholungen in ihrem ansonsten völlig leeren Kopf.

Mittlerweile zählt CrossFit Sankt Pauli mehr als 200 Mitglieder, wobei interessanterweise gar nicht die tollen und muskulösen Jungs, sondern die Mädels in der Überzahl sind. Maike Demitz hat im Frühling 2016 das erste Mal eine CrossFit Box betreten: „Ich bin hier so oft hergefahren und habe aber immer alles nur von draußen beobachtet, weil ich mich nicht getraut habe reinzukommen“, sagt sie mittlerweile kopfschüttelnd. „Heute denke ich mir, dass das totaler Quatsch war, weil ich mit CrossFit endlich den Sport gefunden habe, zu dem ich mich nicht mehr zwingen muss.“

Viele Frauen fühlen sich in einem normalen Fitnessstudio beobachtet oder schlichtweg nicht ernstgenommen. Allerdings gibt es keinen Grund, warum man als Frau keine schweren Gewichte heben darf oder nicht mit einer Langhantel trainieren sollte. „Wenn ich hier in der Box trainiere, weiß ich, dass ich nicht angestarrt, sondern unterstützt werde und deshalb fällt es mir so leicht zum Training zu gehen“, sagt Maike.

„Beim nächsten Mal schaffst Du es, mach Dir da mal keinen Stress.“

Auf einer Bank liegend starrt sie an die Decke, nur eine Langhantel versperrt ihre Sicht. Der allererste Versuch, sie will heute 20 Kilo schaffen. „Bankdrücken war bisher nicht meine Stärke“, denkt sie noch, dreht noch einmal die Langhantel mit ihren Fingern und spürt dabei die raue Struktur in ihren Handinnenflächen. Ängstlich versucht sie ihren Körper anzuspannen, doch ihre Arme zittern weiterhin. Sie nimmt die Stange aus dem Ständer auf. Langsam das Gewicht Richtung Brust absinken lassen. Sie hält die Luft an, dabei blähen sich ihre Nasenflügel auf. Plötzlich verliert sie die Spannung und ihre Arme sacken zusammen, das Gewicht landet auf ihrer Brust. „Beim nächsten Mal schaffst Du es, mach Dir da mal keinen Stress“, hört sie Jemand aufmunternd sagen. Sie seufzt. Aber sie wird nicht aufgeben.

„Gerade durch CrossFit wirst Du Dir deiner Grenzen bewusst werden, aber genauso wird Dir auch dein Körper zeigen wozu er fähig ist und besonders Frauen können durch das Training ein ganz neues Selbstbewusstsein entwickeln“, sagt Sara Scholz. Sie ist Athletin und Coach bei CrossFit Sankt Pauli und kennt die Probleme und Vorurteile über die sich Frauen Gedanken machen: „Viele lassen sich von den Bildern der CrossFit Athletinnen im Fernsehen beeinflussen, doch sie sind Leistungssportlerinnen und die Entwicklung ihres Körpers wird durch viele Faktoren beeinflusst“, sagt sie. „Es macht nicht einfach schnips und du siehst aus wie ein Kerl. Muskelaufbau, das ist harte Arbeit“, erklärt Sara. Zum Glück verändert sich außerdem das Frauenbild langsam und Krafttraining ist kein Tabu mehr. Die Mädels des CFSP zeigen, dass Weiblichkeit auch zu schweren Gewichten und Langhantelstangen passt.

CrossFit taucht nun schon seit einiger Zeit immer wieder als Trendsportart in den Medien auf. Der Kult um dieses Trainingsprogramm wird aber auch ins Lächerliche gezogen. Besonders wenn die Methoden der Crossfitter in der Öffentlichkeit zu extrem oder zu verbissen dargestellt werden, vermag die Begeisterung für diese Sportart für viele unerklärlich sein. Doch die Mehrzahl trainiert im Durchschnitt zwei bis drei Mal die Woche in der Box und läuft vielleicht noch eine Runde um die Alster.

Ein Sixpack oder die perfekte Strandfigur sind oft der erste Ansporn und die Motivation für das erste CrossFit Training. Doch später rückt diese Priorität häufig etwas nach hinten und es geht um die Leidenschaft für Bewegung und die Freunde, die sich schnell in der Box finden. Ein gesünderer Lebensstil kommt meist mit dem Training einher, denn gute Ernährung bedeutet automatisch auch eine bessere Leistung erbringen zu können. Natürlich darf ein gesunder Ehrgeiz trotzdem nicht fehlen, ambitioniertere Crossfitter trainieren durchaus täglich und verfolgen eisern ihre Ziele.

Der Geruch nach Schweiß und die hohe Luftfeuchtigkeit im Raum zeugen von der Anstrengung. Wieder liegt sie auf einer gepolsterten Bank. Wieder versperrt eine Langhantel ihre Sicht. Wieder ein Versuch beim Bankdrücken. Doch diesmal weiß sie, dass Sie stark genug ist. Diesmal wird sie es schaffen. Ohne zu zögern nimmt sie das Gewicht auf, strafft ihre Schultern. Ein konzentrierter Atemzug. Sie saugt die Luft ein. Langsam senkt sichdie Stange in Richtung Brust. Gespannt und mit angehaltenem Atem fiebert die ganze Gruppe mit und so drückt sie mit aller Kraft das Gewicht wieder nach oben. Jubel bricht aus. Sie steht auf und macht einen Freudensprung. Nein es waren keine 20. Es waren 25 Kilo.

Was ist CrossFit?

Foto: CrossFit Sankt Pauli

Der Trendsport aus Amerika wurde von Greg Glassmann in den 1980er Jahren entwickelt, erfolgreich und bekannt wurde diese Trainingsform aber erst in den letzten Jahren. Das Trainingsprogramm vereint olympisches Gewichtheben, wie Reisen, Umsetzen und Stoßen, mit Leichtathletik und gymnastischen Bewegungen. CrossFit- Studios werden Boxen genannt, deutschlandweit gibt es ca. 350. Sie sind mit dem nötigen Equipment wie Langhantelstangen, sogenannte Kettlebells, Holzboxen und Ringen ausgestattet. Der Coach muss eine spezielle Trainingslizenz erwerben. Eine typische Trainingseinheit besteht aus einem Warm-up, einem Kraft- oder Technikteil und dem WOD (Workout of the Day). Seit 2007 finden jährlich die weltweiten CrossFit Games statt, für die sich jeder qualifizieren kann. Die Gewinner werden zum „Fittest on Earth“ gekürt.

Lena Frommeyer ist Journalistin und Dozentin für Online-Journalismus am Mediencampus der HAW Hamburg. Sie betreut hier den Newsroom von FINK.HAMBURG. Sie schreibt u.a. für das Mobilitäts-Ressort beim SPIEGEL über Mobilität der Zukunft, Fahrradkultur, öffentlichen Nahverkehr und Verkehrspolitik. Davor hat sie unter anderem für das Stadtmagazin HAMBURG SZENE und die ZEIT gearbeitet.

Denise Gaber