Ein älterer Mann und eine ältere Frau sitzen mit einem kleinen Kind auf einer Bank auf einem Spielplatz. Sie sind nur von hinten zu sehen.
Werner und Kerstin Wulf mit Viola auf dem Spielplatz. Foto: Miriam Mair

Wenn die Kita geschlossen ist oder der Babysitter ausfällt, stehen berufstätige Eltern vor einem Problem. Vor allem, wenn die Großeltern weit weg wohnen. Der Oma-Hilfsdienst versucht zu helfen und Generationen zu verbinden.

Die kleine Viola* schaut skeptisch nach unten. Mit beiden Händen klammert sich das Mädchen mit der orangefarbenen Mütze an der Rutsche fest. „Na los, trau dich!“, ruft Kerstin Wulf und streckt ihr beide Arme entgegen. Unsicher blickt Viola zu Kerstins Partner Werner Wulf. Der große Mann mit der beigen Kappe und dem grauen Bart steht neben der Eineinhalbjährigen, eine Hand auf ihrem Rücken. Er nickt und gibt Viola einen leichten Schubs. Erst jetzt lässt sie los und rutscht in Kerstin Wulfs Arme. „Wollen wir als nächstes Schaukeln gehen?“, fragt Kerstin Wulf. Viola nickt begeistert. Gemeinsam laufen sie zur großen Nestschaukel.

Kerstin Wulf schubst an, ihr Mann steht lächelnd daneben, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Großeltern, die den Nachmittag mit ihrem Enkelkind auf dem Spielplatz verbringen – mag man denken. Doch Werner und Kerstin Wulf sind nicht Violas „richtige“ Großeltern. Sie sind Ersatzgroßeltern. Seit fünf Jahren kümmern sich die beiden jede Woche um wechselnde Enkelkinder, springen oft als Oma-Hilfsdienst ein. Momentan sind sie für drei Familien im Einsatz, seit einem halben Jahr unterstützen sie Violas Familie.

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Eine Frau schubst ein kleines Mädchen in der Nestschaukel an.
Kerstin Wulf schubst Viola in der Schaukel an. Foto: Miriam Mair

Die Idee: Omas und Opas ausleihen

Beate Schmidt hat den Oma-Hilfsdienst vor bereits 46 Jahren ins Leben gerufen. Seit 1993 ist das Projekt Teil des Vereins Jung & Alt. Es sollen „sich Generationen verbinden, die nicht familiär zusammen gehören“. Um zur Leih-Oma oder zum Leih-Opa zu werden, müssen die zukünftigen Großeltern ein erweitertes Führungszeugnis sowie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, dass einer Kinderbetreuung nichts im Wege steht – zudem eine Selbstverpflichtungserklärung und einen Fragebogen zu gewünschten Einsatzgebieten und -zeiten.

Um das perfekte Match zu finden, gibt Schmidt den Namen der Familie, die für den Tag eine Betreuung benötigt, in ein Programm zur Einsatzplanung ein. Das sucht nach entsprechenden Wunschgroßeltern und prüft, ob diese verfügbar sind. Ist das nicht der Fall, schlägt das Programm Alternativen vor. Dann heißt es für Beate Schmidt und ihre Mitarbeiter*innen: ab ans Telefon.

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Stadtplan mit Einsatzmarkierungen.
Stadtplan mit Einsatzmarkierungen. Foto: Miriam Mair

Über ihrem Schreibtisch hängt ein großer Stadtplan von Hamburg. Mit grünen Fähnchen sind die Omas und Opas markiert, die in der ganzen Stadt eingesetzt werden möchten, mit Rot, diejenigen, die nur in einem bestimmten Gebiet zur Verfügung stehen. So behält Schmidt den Überblick, wen sie im Ersatzfall kontaktieren kann. „Das kann schon mal ein bisschen schwierig werden, wenn gerade alle keine Zeit haben“, räumt sie ein.

„Das ist für uns wie Meditation.“

Den Weg für das Aufnahmeverfahren in den Oma-Hilfsdienst sind auch die Wulfs gegangen. Für Werner Wulf war die Abgabe der Unterlagen sein erster Einsatz: „Ich war dann gleich zwei Tage später bei der Familie und habe einen sechs Monate alten Jungen zwei Stunden durch die Gegend geschoben“, erinnert er sich. Nachdem es auch bei Kerstin Wulf „Liebe auf den ersten Blick“ war, stand für die beiden fest: Das wollen sie unbedingt weitermachen.

Wichtig war für sie, dass sie es gemeinsam machen. Außerdem haben sie vorher ihre Tochter und ihre zwei Enkelkinder in Berlin gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, „dass sie sich nicht abgeschoben fühlen“. Für die Wulfs sind solche Nachmittage auf dem Spielplatz „absolute Ruhe-Termine“. „Wir sind nur für die Kinder da. Es gibt kein Handy, wir müssen nicht schnell irgendwohin“, sagt die 67-Jährige.

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Ein kleines Mädchen sitzt auf dem Schoß einer Frau auf einer Bank.
Viola auf dem Schoß von Kerstin Wulf. Foto: Miriam Mair

Betreuungslücken in Hamburg

Für die Eltern bietet das Projekt eine alternative Betreuungsmöglichkeit, wenn die Kita im Sommer für drei Wochen schließt oder der Arbeitstag länger dauert. Denn ein unzureichendes Betreuungsangebot ist auch in Hamburg ein Problem: Nach Berechnungen des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Statistischen Bundesamt fand im vergangenen Jahr 2024 in Hamburg jedes zehnte Kind unter drei Jahren keinen Kitaplatz. Varsenik Vardanyan vom Landesverband Hamburg der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht in der lückenhaften Kinderbetreuung ein großes Problem.

Prinzipiell stuft Vardanyan Projekte wie den Oma-Hilfsdienst als gute Ergänzung ein, jedoch „dürfen Oma-Hilfsdienste nicht als Lückenfüller dienen“. Sie findet es „furchtbar“, wenn auf private Angebote zurückgegriffen werden muss, weil der Staat „seinen Pflichten nicht nachkommt“. Ihrer Meinung nach sollten solche Projekte ein Ehrenamt bleiben. „Leih-Omas können keine Fachkraft ersetzen“, so Vardanyan.

Wenn die Familie zu weit entfernt wohnt

Dennoch kann der Oma-Hilfsdienst eine hilfreiche Unterstützung bei Betreuungsengpässen sein – für einen monatlichen Betrag von dreißig Euro. Daniel und Sabine Becker* war es bei der Betreuung ihrer Tochter Viola sehr wichtig „eine familiäre Umgebung für das Kind zu bilden, wo man keine Angst haben muss, sie auch mal abzugeben“. Ein ausschlaggebender Grund war die Idee des Generationenaustauschs. Außerdem wollten sie, dass Viola mit Großeltern aufwächst, denn ihre leiblichen Großeltern wohnen zu weit weg.

„Das sind Momente, die kann man nicht mit Geld kaufen.“

Während Kerstin Wulf weiter die Schaukel anschubst, macht ihr Mann für ihre Eltern ein Foto von der schaukelnden Viola. „Das machen wir immer so, damit sie wissen, dass es ihr gut geht!“, sagt Kerstin Wulf. Nach einer knappen halben Stunde fallen Viola immer wieder die Augen zu, sie kippt leicht nach vorne, bevor sie aufschreckt und sich aufrichtet. „Das sind Momente, die kann man nicht mit Geld kaufen“, bringt Kerstin Wulf lachend hervor.

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Ein Mann setzt ein kleines Mädchen in den Kinderwagen.
Werner Wulf setzt Viola für den Nachhauseweg in den Kinderwagen. Foto: Miriam Mair

Auch zu Hause wird weiter gespielt

Es geht zu den Beckers nach Hause. Viola will unbedingt selbstständig die Treppen zur Wohnung hochlaufen. Langsam stapft sie an Kerstin Wulfs Hand Stufe für Stufe nach oben. In der Wohnung angekommen, heißt es erstmal Windel wechseln und Hände waschen. Bis Violas Vater nach Hause kommt, schauen sie auf dem Sofa im Wohnzimmer ein Bilderbuch über die Raupe Nimmersatt an und spielen mit einem der umherliegenden Spielzeugautos.

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Eine Frau und ein kleines Mädchen schauen sich ein Bilderbuch an.
Kerstin Wulf und Viola schauen sich ein Buch an. Foto: Miriam Mair

Als Daniel Becker eintrifft, klammert sich Viola an ihn. Nach kurzem Smalltalk verabschieden sich die Wulfs. An der Tür fragt Werner Wulf: „War’s schön heute?“ „Ja“, sagt die Kleine auf dem Arm ihres Vaters und nickt begeistert. Winkend verlassen die Wulfs die Wohnung. Auf der Treppe drehen sie sich noch einmal um: „Bis zum nächsten Mal!“, rufen sie.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert, um die Privatsphäre des Kindes zu schützen.

Miriam Mair, Jahrgang 2001, reiste durch ganz Schweden, um das beste Zimtschneckenrezept des Landes zu finden. Dabei stolperte sie fast über einen Elch und ging freiwillig bei minus 20 Grad baden. In Passau studierte sie Journalistik und Strategische Kommunikation. Während eines Praktikums beim ZDF machte Miriam verschiedene Straßenumfragen. Auch PR reizte sie, bis sie eine Eiscreme vermarkten sollte, die sie nicht mochte. Da war klar: Sie wird Journalistin. Schon als Kind wollte sie werden wie Karla Kolumna, die rasende Reporterin. Das beste Zimtschneckenrezept kreierte Miriam übrigens schlicht selbst. Kürzel: mai

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