Obwohl die Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben und Transgender gewachsen ist, hat sich die Zahl der Straftaten gegen Homosexuelle seit 2005 vervierfacht. Wie liberal ist Deutschland wirklich?
Es begann Ende der Sechzigerjahre. Studierende gingen auf die Straße, um die Gesellschaft zu verändern. Mit Protestmärschen und Blockaden demonstrierten sie für Gleichberechtigung. Gleichzeitig setzte sich die Schwulen- und Lesbenbewegung als Teil dieser Proteste durch. Teil der Bewegung war damals auch Wolfgang Krömer.
Bis heute engagiert sich Krömer für die Gleichstellung und Wertschätzung einer heterogenen Gesellschaft. Als Radiosprecher und Redakteur ist er beim Bürgerkanal TIDE aktiv und hat den Pink Channel mitgegründet. Seit 25 Jahren engagiert er sich für das älteste Radioprojekt für Schwule, Lesben und Transgender. Es gibt noch genug zu tun: “Aus der Sicht von 1975 ist es heute das Paradies, aber man merkt immer noch Brüche in der Toleranz der Gesellschaft”, sagt Krömer.
Homosexualität galt als psychische Krankheit
Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat sich die Toleranz spürbar geändert. Noch bis 1969 wurden Homosexuelle in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Rund 50.000 Männer wurden wegen des umstrittenen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches (StGB) verurteilt, mussten eine Geldstrafe zahlen, oder landeten sogar im Gefängnis. Jetzt sollen sie für dieses Unrecht entschädigt werden. “Die Rehabilitierung von Menschen, die alleine wegen ihrer Homosexualität vor Gericht standen, ist wirklich überfällig”, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas kürzlich.
Homosexualität galt zudem lange Zeit als psychische Krankheit. Erst ab Mai 1990 wurden Schwule und Lesben nicht mehr als psychisch krank eingestuft. Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft, die es seit 2001 gibt, ist ein großer Schritt für die Homosexuellenbewegung. Mit einer Ehe ist sie rechtlich weitgehend gleichgestellt, einen großen Unterschied gibt es allerdings: wer in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, hat kein Adoptionsrecht. Der größte Fortschritt: Laut einer Umfrage des US-Forschungsinstituts Pew finden fast 90 Prozent der Deutschen, die Gesellschaft solle Homosexualität akzeptieren. In anderen Ländern sieht das noch ganz anders aus.
Auch hierzulande aber ist Diskriminierung immer noch Thema. Laut der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) fühlen sich 46 Prozent aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung diskriminiert oder belästigt. Europaweit trauen sich drei Viertel der schwulen Männer nicht, in der Öffentlichkeit mit ihrem Partner Händchen zu halten.
„Wer schwul ist, fällt sofort auf”, sagt Krömer. Vor allem erschrecken ihn die über 109 gemeldeten Gewaltfälle – allein in Berlin. Allerdings ist die Dunkelziffer vermutlich um einiges höher. “Im Vergleich zu Berlin ist es in Hamburg sehr ruhig, was Gewalt gegen Homosexuelle angeht”. Trotzdem sind öffentliche Diskriminierung und Handgreiflichkeiten gegenüber Schwulen immer noch ein Problem. Laut Statistiken des Bundesinnenministeriums haben sich seit dem Jahr 2005 die Straftaten gegen Homosexuelle mehr als vervierfacht.
Vor allem der öffentliche Umgang mit Sexualität stößt noch immer auf Ablehnung. “Die Angst, sich öffentlich zu seiner Homosexualität zu bekennen, ist nach wie vor groß”, sagt Krömer. Als Beispiel nennt er die Arbeit im Kindergarten. Viele Eltern haben ein Problem damit, dass Homosexuelle ihre Kinder großziehen und betreuen. “Im Gegensatz zu früher stehen immerhin die Arbeitgeber mehr hinter ihren Mitarbeitern”, sagt Krömer.
Trotzdem geben 21 Prozent der von der FRA befragten Personen an, sie würden aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung bei der Arbeitssuche oder am Arbeitsplatz diskriminiert. Und das, obwohl Studien zeigen: “Divers zusammengestellte Teams sind viel kreativer und produktiver. Je homofreundlicher ein Unternehmen, desto erfolgreicher ist es”, sagt Unternehmensberater und Leiter des Bundesverbandes für schwule Führungskräfte, Bernd Schachtsiek.
“Die Arbeit an dieser Thematik ist noch lange nicht überflüssig geworden”, sagt Wolfgang Krömer. Er wünscht sich vor allem eines: “Unsere Werte weiter in die Öffentlichkeit zu transportieren”. Für ihn haben auch positive Veränderungen, wie die größere Toleranz gegenüber Homosexuellen, auch immer etwas mit neuen Herausforderungen zu tun. Und bei einem ist sich Krömer sicher: “Irgendwas wird es immer geben, was die Gesellschaft nicht tolerieren wird.”