Endlich selbst am Fahrrad schrauben: “Girls on Tools” ist eine Fahrradwerkstatt in Hamburg, in der ausschließlich Frauen mit ölverschmierten Fingern an Gangschaltungen, Bremsen und Tretlagern hantieren. Ein Besuch im Gängeviertel.

Katharina Held durchwühlt die gestapelten Plastikkisten unter der Werkbank nach einem passenden Lockring. Dieses winzig kleine Metallteil hält die gesamte Gangschaltung an dem Rennrad, das vor ihr steht, in der richtigen Position. Aktuell steht die so schief, dass die Kette ständig abspringt. Der alte Lockring ist verbogen und passt nicht mehr wie er sollte. Sie findet keinen neuen und biegt kurzer Hand den alten wieder gerade.

In vielen Stunden hat die Studentin gelernt, an Rädern herumzuschrauben. Sie organisiert zusammen mit Amyra Radwan und Leonie Keller die Radwerkstatt für Frauen. Eine ausgebildete Zweiradmechanikerin ist sie nicht und eine Gangschaltung hat sie bisher auch noch nie repariert. Sie freut sich daher umso mehr, dass sie das Problem gefunden hat  mit detektivischem Spürsinn. „Immer, wenn irgendwo so ein kleiner Schlitz ist, wo ein Schraubenzieher reinpasst, sollte man das Teil aufhebeln und gucken was passiert“, sagt Held.

Sicher fühlen, Neues ausprobieren

Mit der jungen Frau freuen sich gleich alle anderen über den Erfolg: Vier Teilnehmerinnen schrauben an diesem Samstagnachmittag in der Fahrradwerkstatt im Gängeviertel an ihren Rädern. Fred Polzin ist zum ersten Mal da. Sie hat zwar schon mal einen Platten geflickt, aber über Gangschaltungen weiß sie nicht viel. Genauso wenig wie die anderen. Das hält die Gruppe nicht davon ab, das Problem anzugehen.

Das macht die offene Fahrradwerkstatt „Girls on Tools“ aus: Einen Raum zu schaffen, in dem sich Frauen sicher fühlen und Neues ausprobieren. Viele trauen sich nicht, selbst zum Schraubenzieher zu greifen, wenn Männer dabei sind. Diese haben meistens mehr Erfahrung, hantierten schon in ihrer Kindheit mit Werkzeugen. Dadurch reparieren Männer das Rad ihrer Freundin oder Frau oft ganz selbstverständlich mit. Manche Frauen stört das nicht, andere schon – für die ist diese offene Werkstatt gedacht.

Gemeinsame suche nach dem Problem
Gemeinsame Suche nach dem Problem (v.l.: Janina Brüns, Katharina Held und Fred Polzin) Foto: Pia Siber

Schrauben im Gängeviertel und der Roten Flora

Und trotzdem: Wer ein Angebot nur für Frauen schafft, schließt Männer aus. Dafür wird dieses Angebot immer wieder kritisiert. „Wir würden uns auch wünschen, dass es keine reine Frauenwerkstatt geben müsste“, sagt Amyra Radwan. Außer „Girls on Tools“  gibt es nur noch ein weiteres Angebot dieser Art in Hamburg. Seit 2017 organisieren die Mitglieder ungefähr einmal im Monat den Treffen – meistens im Gängeviertel, manchmal in der Roten Flora. Im Winter wird Pause gemacht. Die ungeheizten Werkstätten wären zu kalt.

Auch an diesem Samstag merkt man die fehlende Heizung. Die nassen schwarzen Regenjacken der Frauen liegen auf einem der Tische an der Wand, ihre Mützen behalten sie lieber auf. Die beiden Werkstatträume sind gut ausgestattet, an den Wänden hängen Schraubenschlüssel und Zangen und überall stapeln sich Kisten mit Ersatzteilen.

Vergangenen Sommer hat sich ein Mann in die Werkstatt verirrt – sein Fahrrad hatte einen Platten. Er wurde natürlich nicht wieder weggeschickt. Die Mädels haben ihm geholfen den Reifen zu reparieren und konnten ihr Wissen so weitergeben. Grundsätzlich ist jede Frau willkommen, die etwas reparieren möchte – auch ein Gymnastikball wurde schon geflickt.

Aufgeben kommt nicht in Frage

Fred Polzin kommt von einer Probefahrt zurück. Sie schiebt das Rad mit der kaputten Gangschaltung durch den engen Hausflur, stellt es im hinteren der beiden Werkstatträume ab und dreht es auf den Kopf. Der Lockring hat sich wieder gelöst, die Kette ist wieder abgesprungen und hat sich verklemmt. Alles noch mal von vorne: Hinterrad ausbauen, Lockring lösen, Zahnräder einstellen, Kette sortieren – beim zweiten Mal sind Freds ölverschmierten Hände deutlich sicherer.

Zusammenbauen des Schalthebels. Foto: Pia Siber

Warum sich alles wieder gelöst hat, bleibt ein Rätsel. Auch Katharina Held weiß nicht so richtig weiter. Also wird erstmal Kaffee gekocht, um die kalten Finger aufzuwärmen und im Internet zu recherchieren.

„Alles was ich über Räder weiß, habe ich von Typen gelernt“, sagt Radwan. Oder eben auf die harte Tour: einfach ausprobieren. Das dauert länger und ist manchmal ziemlich frustrierend. Schnell jemanden zu fragen, der weiß wie man eine Gangschaltung repariert, wäre einfacher. Aber aufgeben will hier niemand.

Die Internetrecherche war nicht erfolgreich. Auch die Fachbücher aus dem Bücherregal im Gemeinschaftsraum können nicht weiterhelfen. Es bleibt nichts anderes übrig, als alles wieder so zusammenzubauen, wie es war. Trotzdem: Fred Polzin und Katharina Held haben heute jede Menge über Gangschaltungen gelernt – auch wenn das Rennrad immer noch nicht fährt. Sie müssen einfach nochmal ran.

Artikel wurde aktualisiert: In einer ersten Version wurde “Girls on Tools” als einzige Fahrradwerkstatt für Frauen in Hamburg beschrieben, es gibt mit “Die Schraubstelle” jedoch noch eine weitere.

2 KOMMENTARE

  1. Es gibt noch die Schraubstelle in der Glashüttenstrasse ebenfalls als Werkstatt von Frauen für Frauen.

    • Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Artikel dementsprechend angepasst.

      Liebe Grüße
      FINK.HAMBURG

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