Aus der FINK-Redaktion über den großen Teich und zur “New York Times”: Zwei Studentinnen der HAW haben im Rahmen eines Austauschprogramms in den USA mit Experten über Fake-News, gezielte Desinformation und den Wandel der Medienwelt debattiert. Stationen einer Reise durch Washington, Charlottesville und New York.
Vom 19. bis zum 25. Mai waren acht deutsche und acht amerikanische Journalismus-Studierende in Amerika unterwegs, um Lösungen gegen Fake-News zu finden. Auch die HAW-Studentinnen Anna Gröhn und Hannah Lesch waren dabei. Das Programm “Journalism in the Era of Disinformation 2018” (JED18) wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und von Cultural Vistas organisiert. Die Non-Profit Organisation bietet Austauschprogramme mit mehr als 150 Ländern an.
New York. Gigantische Hochhäuser ragen in den Himmel, dicht an dicht drängen sich Menschen über den Asphalt, Autos hupen. Hier, im Zentrum von Midtown Manhattan, befindet sich der “New York Times“-Tower, ein 52 Etagen hoher Wolkenkratzer. Justin Bank begrüßt uns, seit viereinhalb Jahren ist er bei der “New York Times” Redaktionsleiter für Internet und Publikum.
Desinformation sei eine zentrale Herausforderung der heutigen Zeit, erklärt er uns – vor allem seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump, der Fake-News als Kampfbegriff benutzt.
Trump bezeichnet die Medien als „den Feind des amerikanischen Volkes“. Davon lässt sich Bank nicht einschüchtern. „Das ist ein Adrenalinschub“, sagt er. „Das ist der Grund, warum Journalismus existiert.“ Besonders Genauigkeit sei bei der Recherche und der Berichterstattung wichtig, um Desinformation zu vermeiden, so Bank. „Die ‘Times’ arbeitet stets an neuen Strategien und Methoden, etwa beim Fact Checking.” Wichtig sei es etwa, die eigenen Recherchen für die Leser transparent zu machen.
Die “New York Times” versuche außerdem gezielt, Fake-News im Netz aufzufinden und mit Faktenrecherchen zu widerlegen, so Bank. Entscheidend sei dabei auch, die Medienkompetenz der Leser und Nutzer zu fördern. Dafür arbeite die “Times” an Werkzeugen, mit denen Nutzer besser nachvollziehen können, wie das Netz funktioniert. Auch die Redaktion selbst sei im Wandel: „Wir versuchen, vielfältiger zu werden“, sagt Bank. „Wir stellen mehr Frauen, jüngere Leute und Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen ein.“
„Deep-Fakes werden ein großes Problem“
Noch ein riesiges Gebäude inmitten von Manhattan: Wir besuchen den Hauptsitz der Nachrichtenagentur Associated Press, kurz AP. Hier treffen wir John Daniszewski, Vizepräsident von AP. „Die meisten Regierungen versuchen, die Presse zu manipulieren, oder verwehren ihr den Zugang zu Informationen“, sagt er. Weltweit säßen derzeit 262 Journalisten in Haft. „Auch in den Ländern, in denen Pressefreiheit herrscht, wird ihre Bedeutung nicht ausreichend betont und erklärt“, findet Daniszewski.
In den USA kämpfe objektiver, faktenorientierter Journalismus ums Überleben: Lokalzeitungen stellen zunehmend ihren Betrieb ein – zurück blieben vielerorts „Nachrichtenwüsten“. „Wir gehen das an, indem wir nationale Themen mit einem lokalen Fokus aufbereiten“, so Daniszewski.
„Bald werden Deep-Fakes in Videos ein großes Problem darstellen“, vermutet der Vizepräsident der AP. Damit sind Bilder und Videos gemeint, die durch Bearbeitung unauffällig manipuliert wurden. So kann man beispielsweise Politikern wie Barack Obama Sätze in den Mund legen, die sie nie gesagt haben. Auch das Thema Überwachung werde immer mehr zum Problem: GPS-Daten können getrackt, Endgeräte gehackt und Nachrichten wie E-Mails oder Textmitteilungen abgefangen werden. Die Journalisten bei AP würden ihre E-Mails deshalb verschlüsseln. „Heutzutage müssen Journalisten es Hackern so schwierig wie möglich machen herauszufinden, woran sie arbeiten“, sagt Daniszewski. „Auch zum Schutz ihrer Informanten.“
Falschinformationen erkennen lernen
“To be literate today, we really need to understand media.” Michelle Ciulla Lipkin ist überzeugt, dass man heute erst dann wirklich gebildet ist, wenn man auch die Medien versteht. Die junge Frau mit wild lockigem Haar spricht energisch und schnell. Sie ist die Direktorin von Namle, kurz für “National Association for Media Literacy Education.” Diese Initiative setzt sich für Medienbildung und die Förderung von Medienkompetenz in Amerika ein.
Sie erklärt uns, was Medienkompetenz mit Desinformation zu tun hat – eine Menge: Wer nicht gut mit sozialen Medien umgehen kann und sich deren Gefahren nicht bewusst ist, erkennt auch keine Falschinformationen. Für die Förderung der Medienkompetenz der nächsten Generationen seien sowohl die Eltern und Familien verantwortlich, aber auch große Firmen wie Google, Twitter und Facebook.
Aktuell erreicht das Programm von Namle rund drei Millionen Studenten pro Jahr – irgendwann sollen es alle sein. Lipkin hofft, dass Medienbildung Teil des Lehrplans wird und setzt sich seit Jahren dafür ein.
Erinnerung an tödliche Gewalt in Charlottesville
Grüne Wälder umgeben die Kleinstadt Charlottesville, rund zweieinhalb Autostunden außerhalb von Washington, D. C.. Die Fußgängerzone hier ist breit und sauber, Restaurants reihen sich neben Eisdielen und Cafés. In einer kleinen Seitenstraße sind die Hauswände vollgekritzelt mit Sprüchen und Widmungen in Gedenken an die Geschehnisse im August 2017. Damals raste ein rechtsradikaler Aktivist mit seinem Auto in eine Gruppe Demonstranten. Er tötete dabei eine junge Frau.
Der Lokalsender CBS 19 schickte damals seine Journalisten direkt an die Orte, an denen die rechten Demonstranten auf die Gegenbewegung trafen. “We went exclusively with self-shot footage – to be on the safe site” erklärt Val Thompson, Leiter der Nachrichtenredaktion. Der Fernsehsender veröffentlichte also kein Fremdmaterial, um Fake-News zu vermeiden. Die Redaktion der Tageszeitung “The Daily Progress” nutzte auch Material aus anderen Quellen, legte dabei aber viel Wert auf Fakten-Recherche. Mit dem Bild, das ihr Mitarbeiter Ryan Kelly von den Sekunden des Anschlags machte, gewann er 2017 den Pulitzer-Preis.
Auf den sozialen Netzwerken hatten beide Redaktionen mit den gleichen Reaktionen zu kämpfen: Nutzer beschimpften sie in rechtsradikalen Kommentaren und bezeichneten ihre Berichte als Falschinformationen. Berechtigt war diese Kritik eigentlich nur bei C-Ville, einem wöchentlichen Blatt. Auf Twitter und Facebook veröffentlichten die Redakteure durch unzureichende Recherche falsche Berichte – das sei “in der Hitze des Moments” passiert, verteidigen sich die Verantwortlichen.
„Fake-News wird es immer geben“
Washington, D.C., hier befindet sich das Kapitol, der Internationale Währungsfond, die Weltbank. Männer in Anzügen, Frauen mit Aktentaschen, dazwischen etliche Touristen, junge Menschen, Obdachlose. Eine Million Menschen sind wochentags in der 600.000-Einwohner-Stadt unterwegs, viele pendeln zur Arbeit hierher.
Mittendrin ein graubraunes Gebäude mit Glasfassade: Hier befindet sich das Washington-Büro von Cultural Vistas. Wir treffen Dr. Cindy Gueli, Historikerin, Autorin und Medienexpertin. Sie hat Fake-News und Desinformation in historischen Kontexten analysiert und dabei festgestellt: „Fake-News treten in Zyklen auf. Immer dann, wenn ein Land in einer Identitätskrise steckt und sich Politik, Technologie oder soziale Normen wandeln.“ Menschen seien geneigt, das zu glauben, was sie glauben wollen – und Fake-News würden ihre Ideen und Ängste in Zeiten des Umbruchs bekräftigen.
Schon bei der US-Präsidentschaftswahl 1800 verbreiteten Thomas Jefferson und der amtierende Präsident John Adams Lügen übereinander – damals noch auf Flugblättern. Adams wurde als Verrückter und Krimineller bezeichnet, Jefferson als Schwächling, der das Land gottlos machen wolle.
Gueli relativiert deswegen den Hype und erklärt: „Fake-News wird es immer geben.“
Was können wir tun?
Unser Weg zu Carrie Brown führt durch eine Übungsredaktion, vorbei an eifrig schreibenden Studenten. Vieles erinnert an FINK.HAMBURG. Carrie Brown ist Professorin an der CUNY, einer Journalistenschule in New York, und hat sich auf sozialen Journalismus spezialisiert. Gemeinsam mit ihr fassen wir die Thesen und Erkenntnisse der letzten Tage zusammen und suchen nach Lösungsansätzen. Der erste Versuch: Um die Verbreitung von Falschinformationen einzudämmen, muss die Medienkompetenz gefördert werden, und zwar in allen Generationen. Hier liegen sowohl Amerika als auch Deutschland noch weit zurück. Wichtig, um das Vertrauen in die Medien wieder zu stärken, sind Transparenz und saubere Recherche sowie interaktive Formate, die den Lesern eine Stimme geben.
Alle Erkenntnisse von #JED18 werden wir Teilnehmer der Reise in den nächsten Wochen und Monaten detailliert ausarbeiten und Ende des Jahres in einem Thesenpapier veröffentlichen.