Am Mittwoch ist das NSU-Urteil gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte verkündet worden. Das Bündnis „Kein Schlussstrich“ fordert weitere Aufklärung und hat zu Aktionen aufgerufen. In Hamburg wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gefordert.
Hunderte Prozesstage, Zeugen und Aktenordner: Im NSU-Prozess wurde das Urteil verkündet. Trotz des Schuldspruches von Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft und der Verurteilung von vier Mitangeklagten fordert das bundesweite Bündnis “Kein Schlussstrich” die weitere Aufklärung der NSU-Verbrechen. Viele Fragen seien nach wie vor unbeantwortet. Daraufhin wurden unterschiedliche Aktionen angekündigt – auch in Hamburg: Das Bündnis gegen Rechts und die Interventionistische Linke (IL) organisieren für Mittwochabend eine Kundgebung am Alma-Wartenberg-Platz und für Samstag eine Demonstration.
Nach über fünf Jahren und mehr als 430 Prozesstagen wurde am Mittwochvormittag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München das Urteil gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte gesprochen: Zschäpe wurde wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, Ralf Wohlleben zu zehn Jahren für Beihilfe zum Mord. Auch André Eminger, Holger Gerlach und Carsten Schultze sollen Haftstrafen verbüßen.
Mit dem Urteil findet das Verfahren um die Morde und Anschläge des “Nationalsozialistischen Untergrunds” ein erstes Ende. Sowohl die Pflichtverteidiger als auch die Vertrauensverteidiger Zschäpes kündigen jedoch Revision an. Der Prozess gilt als einer der längsten und aufwendigsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Das Urteil ist gesprochen, der NSU-Komplex aber nicht aufgeklärt. Wir müssen reden über rechtsextreme Netzwerke, das vollständige Versagen der Sicherheitsbehörden und über Rassismus in Deutschland. #KeinSchlussstrich #NSUProzess
— Cem Özdemir (@cem_oezdemir) 11. Juli 2018
“Kein Schlussstrich”-Bündnis fordert parlamentarischen Untersuchungsausschuss
Gemeinsam mit den Angehörigen des vom NSU ermordeten Süleyman Taşköprü fordert das Bündnis gegen Rechts und die IL einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg. Dieser soll unbeantwortete Fragen zu dem NSU-Mord klären. Der Gemüsehändler Süleyman Taşköprü wurde am 27. Juni 2001 in Altona vor dem Laden seines Vaters erschossen. Zunächst wurde im persönlichen Umfeld des Opfers ermittelt. 2011 stellte sich dann heraus, dass der Nationalsozialistische Untergrund für den Mord verantwortlich war. Warum Süleyman Taşköprü zum Opfer des NSU wurde und ob die Mörder in Hamburg Unterstützung hatten, ist bis heute ungeklärt.
Als bekannt wurde, dass der NSU hinter der Tat steckt, sprach der damalige Hamburger Innensenator Michael Neumann von der Notwendigkeit einer “rückhaltlosen Aufklärung”. 2014 veröffentlichte der Senat eine Mitteilung an die Bürgerschaft. In dieser wurden die Ermittlungen, die Aufarbeitung der Tat und die darauf folgenden Konsequenzen in Hamburg beschrieben. Zur Aufklärung haben diese Untersuchungen, laut den Angehörigen, nur bedingt beigetragen.
Angehörige sehen den NSU-Mord nicht als aufgeklärt an
Die Schwester von Süleyman Taşköprü schrieb 2014 in einem offenen Brief: “Eine weitere bittere Erfahrung ist, dass wir uns von der Politik nicht ausreichend unterstützt fühlen.” Auch, weil in Hamburg, als einzigem Bundesland, kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Ein Sprecher der SPD-Fraktion erklärte dem Abendblatt im April 2018, dass sich “an der ablehnenden Haltung der Regierungsfraktion” dazu nichts geändert habe.
Im Juni, 17 Jahre nach dem Mord, richtet sich die Hamburgische Bürgerschaft direkt an die Familie des Opfers. „Die Bürgerschaft spricht den Angehörigen von Süleyman Tasköprü ihr Mitgefühl und tiefes Beileid für den erlittenen Verlust aus und bedauert zutiefst das erlittene Leid, dass sie durch die mit einem falschen Verdacht geführten Ermittlungen erfahren haben“, heißt es in einer Resolution. Sie endet mit den Worten: „Dafür bittet die Bürgerschaft um Entschuldigung.“
Die Entschuldigung könne aber nicht bedeuten, dass ein Kapitel deutscher Geschichte beendet sei, sagt die innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider, dem Abendblatt. Auch der Münchener Prozess beende dieses Kapitel nicht. “Erstens ist der Komplex NSU eben nicht aufgeklärt. Und zweitens hat nicht nur der Staat, sondern die ganze Mehrheitsgesellschaft im Zusammenhang mit dem Terror des NSU versagt.“
Angekündigte Aktionen in Hamburg
Damit kein Schlussstrich unter die Verbrechen des NSU gezogen werde, soll am Samstag um 14 Uhr eine Demonstration am Hansaplatz stattfinden. Zuvor findet am Mittwochabend um 18 Uhr eine Kundgebung am Alma-Wartenberg-Platz statt. Die Polizei rechnet mit rund 1000 Teilnehmer*innen.
Bereits am Dienstag, einen Tag vor der Urteilsverkündung am Münchener Oberlandesgericht, haben linke Aktivist*innen in einer Protestaktion Straßen in Hamburg umbenannt: Sie überklebten Straßenschilder mit den Namen der Opfer, um “das Ausmaß rassistischer Gewalt sichtbar zu machen und den Opfern des NSU und ihren Angehörigen Respekt zu erweisen”, teilte die IL mit.
dpa/ps