Aus ihren Heimatländern mussten sie fliehen, nun helfen sie anderen Exilanten in Hamburg – mit Lokaljournalismus in ihren Muttersprachen. “Amal Hamburg” ist schon das zweite derartige Projekt in Deutschland. Ein Redaktionsporträt.
Die Verbindung in ferne Länder hat Hamburg zur Großstadt gemacht – immer noch treffen hier Menschen und Geschichten aus aller Welt aufeinander. „Wir sind nach Hamburg gekommen, um unsere eigenen Geschichten zu erzählen“, sagt Omid Rezaee in einem Video zum Launch des neuen Hamburger Nachrichtenportals “Amal Hamburg”. Der 29-Jährige ist der Leiter der Redaktion. Er und seine zwei Kollegen berichten seit dem 10. April auf Arabisch, Farsi und Dari über lokale Geschehnisse in der Hafenstadt.
Ein Porträt über die afghanische Fußballerin Shabnam Ruhin gehört ebenso zum Themenmix wie U-Bahn-Behinderungen im HVV oder der Ärztestreik. Für Migranten und Geflüchtete ist dieser fremdsprachige Lokaljournalismus gedacht, aber auch für alle anderen Hamburger Bürger.
Rezaees eigene Geschichte beginnt im Iran, wo der 29-Jährige in Rascht eigentlich Maschinenbau studierte. „Journalismus war immer so ein Traum“, erzählt er bei einem Kaffee. Neben dem Studium arbeitet er deshalb für regionale Zeitungen und gründet ein Studentenmagazin. Ein kritischer Artikel führt 2011 dazu, dass er verhaftet wird. Zwei Monate sitzt Rezaee in einem iranischen Gefängnis. „Dann kam ich auf Kaution frei. Mir drohten aber zwei Jahre Gefängnis“, erzählt er. Vor der Verhandlung flieht er in den Irak und verliert seine Freunde, seine Familie, seine Bibliothek. Erst zwei Jahre später bekommt er wegen der politischen Verfolgung die Einreisegenehmigung für Deutschland.
Aus ihrem Heimatland Afghanistan fliehen musste auch seine Kollegin Nilab Langar. Drei Jahre hatte sie dort als studierte Journalistin gearbeitet, als sie einen Artikel über den IS verfasst. „Nach der Veröffentlichung musste ich meine Heimat verlassen“, sagt die 27-Jährige. Sie erhielt Drohungen von der Terrorgruppe, bangte um ihr Leben. 2015 flüchtete sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn per Flugzeug, Schiff, Bus und Bahn über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Einen Monat war die kleine Familie unterwegs. „Das war richtig schwer mit einem einjährigen Kind“ erinnert sich Langar. Positives über Deutschland hatte sie zuvor von ihrem Vater gehört, der vor Jahren als Arzt eine Weiterbildung in der Bundesrepublik gemacht hatte.
Wie es ist, im Exil die Sprache nicht zu verstehen, wissen beide. Die wichtigsten Weltnachrichten habe er damals über englischsprachige Medien mitbekommen, erinnert sich Omid Rezaee zurück. „Aber nicht, was in der Stadt, im Lokalen passiert ist“, sagt er. Genau diese Lücke wollen beide nun als Mitglieder der Redaktion von “Amal Hamburg” schließen.
Das Projekt hat einen erfolgreichen Vorläufer: Seit März 2017 schreiben in der Hauptstadt zehn Exiljournalisten aus Afghanistan, Syrien, dem Iran und Ägypten für die Webseite “Amal Berlin” über Lokalpolitik und das, was Berlin bewegt. Initiiert wurde das Projekt von den beiden Schwestern und Journalistinnen Julia und Cornelia Gerlach. Eine „Idee am Küchentisch“ sei das gewesen, sagt Julia Gerlach, die zuvor Korrespondentin in Kairo war.
Drei weitere Jahre “Amal Berlin”
Nach der Flüchtlingswelle 2015 habe es unter den Geflüchteten in Deutschland viele Journalisten gegeben und auf der anderen Seite viele, die Informationen brauchten. Das wollten die Geschwister zusammenbringen, „für gute, verlässliche, seriöse Informationen“. Mit der evangelischen Journalistenschule Berlin war schnell ein Träger gefunden. Und das Projekt ist durchaus erfolgreich: Rund 75.000 Webseitenaufrufe verzeichnete das Portal “Amal Berlin” im vergangenen Monat. Gerade konnte die Finanzierung um drei weitere Jahre verlängert werden.
„Klar gab es am Anfang aber auch Schwierigkeiten“, sagt Julia Gerlach. Von dem daraus entwickelten Arbeitsfluss, den Strukturen und der Qualitätskontrolle könne “Amal Hamburg” nun profitieren. Erfahrung bringt auch Omid Rezaee mit, der bereits eineinhalb Jahre in der Berliner Redaktion gearbeitet hat. Ein Publikum gibt es in Hamburg auf jeden Fall: Allein die afghanische Community in der Hansestadt ist die größte außerhalb Afghanistans. Hinzu kommen etliche Migranten aus dem Iran, dem Irak und Syrien, wo Arabisch und Persisch weit verbreitet sind.
Amal bedeutet Hoffnung
Der Anstoß, das Projekt nach Hamburg zu exportieren, kam von der Körber-Stiftung. „Es gibt hier eine große Community, von der man aber nichts sieht“, sagt Sven Tetzlaff, Leiter des Bereiches Demokratie, Engagement und Zusammenhalt. Unter dem Schwerpunkt „Neues Leben im Exil“ fördert die Stiftung das Projekt finanziell, um den Austausch zwischen Zugewanderten und den Hamburgern zu fördern. Die Kritik, warum dann nicht auf Deutsch berichtet werde, weist Julia Gerlach mit dem Hinweis auf die Sprachbarriere zurück: Es würde eine Weile dauern, bis die hier neu Angekommenen in der Lage wären, so etwas wie eine Zeitung richtig zu verstehen. Bis dahin wären sie „informationslos und anfällig für Falschinformationen“. Wenn sie mitbekämen, was um sie herum passiere, motiviere das, Deutsch zu lernen.
Ähnlich sieht das auch Redaktionsleiter Omid Rezaee. Er hat die „Hoffnung“ – so kann man „Amal“ übersetzen -, mit Nachrichten auf Arabisch und Persisch zur Integration und Partizipation beitragen zu können. Für ihn und für Nilab Langar ist es zudem eine Chance, im Exil wieder als Journalisten tätig zu sein.
Ihren Arbeitsplatz haben Omid Razeaa, Nilab Langar und der syrische Videoreporter Ahmad Alrifaee mitten im Newsroom des Hamburger Abendblattes. “Jetzt haben wir die Chance, Leute, die nicht aus Hamburg kommen, dazu zu befragen, was sie von Hamburg denken“, sagt “Abendblatt”-Chefredakteur Lars Haider. Die Amal-Redakteure profitieren dafür vom Netzwerk und der Ausstattung.
Ein gemeinsamer Artikel ist bereits entstanden. „Ich denke, dass so auch die Inhalte der Zeitung bunter werden“, sagt Julia Gerlach. Für sie ist “Amal Hamburg” auch ein Testlauf für weitere Städte. Anfragen von interessierten Exiljournalisten habe es schon gegeben. 900 – 1000 Seitenaufrufe pro Tag verzeichnet “Amal Hamburg” schon jetzt.
Titelfoto: Jonas Ziock