Im Buch von Heinz Strunk und im Film von Fatih Akin wird die Kiezkneipe Zum Goldenen Boxhandschuh als schmiersuffiger Ort für tragische Gestalten beschrieben. Zu gruselig, um wahr zu sein? Zeit für einen Realitätscheck.

An einem Montagabend sitzen in der Kneipe Zum Goldenen Handschuh etwa zehn Gäste. Das Haus am Hamburger Berg ist in ein Baugerüst gehüllt. Im linken Schaufenster hängt ein Astra-, im rechten ein Holsten-Leuchtschild. Über der Eingangstür steht „Honkastube“ geschrieben. Eine Anspielung auf den Serienmörder Fritz Honka, der in den 70er-Jahren hier seine Opfer am Tresen kennenlernte.

Seine Geschichte wurde kürzlich von Kultregisseur Fatih Akin verfilmt, nach einer Romanvorlage des Hamburger Autors Heinz Strunk. Von tragischen Gestalten ist in dem Buch die Rede. Vom „Schmiersuff“ und „Schimmeligen“, die im hinteren Bereich des Gastraumes auf den Bänken schlafen. Wer wach ist, trinkt exzessiv Bier und Schnaps. Die Aufmerksamkeitsspanne der Stammgäste reicht oft nur vom Barhocker bis zum Zapfhahn.

Gruselig klingt dieser Ort auf dem Kiez. Zu schmierig, um wahr zu sein? Zeit für einen Realitätscheck.

Um den Ecktresen herum sitzen vier ältere Herren. Drei von ihnen sind in ein Gespräch vertieft. Der vierte ist allein, bewegt sich nur langsam und nie weit von seinem Barhocker weg. Hinter ihnen drückt eine Frau auf die Knöpfe eines Spielautomaten. Ihr blondes Haar ist zu zwei Zöpfen gebunden. Eine andere tanzt zur lauten Musik: Schlager, Popsongs, Hits der 2000er. Bei „Rhythm is a Dancer“ steigt sie auf einen der Tische. Durch die Mitte der Platte führt eine Stange vom Boden bis zur Decke. Eine Gruppe junger Männer betritt die Kneipe. Mittanzen wollen sie nicht. Die Frau kehrt an die Theke zurück und verlässt schließlich das Lokal.

Familienbetrieb seit 66 Jahren

Feierabend ist aber noch lange nicht. Der Handschuh hat rund um die Uhr geöffnet, seit er 1953 vom ehemaligen Profiboxer Herbert Nürnberg eröffnet wurde. Der Name geht auf das US-amerikanische Boxtunier „Golden Glove“ zurück, welches Herbert Nürnberg 1937 gewann. 1995 starb der Wirt. Die Kiezkneipe ist heute noch immer in Familienbesitz.

Enkel Jörn Nürnberg führt heute die Geschäfte. 1982 stand er mit Anfang 20 das erste Mal offiziell hinterm Tresen, umgeben von Fußballschals, Spielautomaten und roten Lichtschläuchen. Acht Jahre später übernahm er die Geschäftsleitung und 2006 schließlich die volle Verantwortung.

Dem Hamburger Autor Heinz Strunk wurde in seinem Lokal schon oft ein Getränk über den Tresen gereicht. “Der war zunächst Stammgast in Rosies Bar, neben dem Handschuh einer der ältesten Kneipen auf dem Kiez und nur ein paar Meter von uns entfernt”, so Jörn Nürnberg. Manchmal sei er noch im Handschuh vorbeigekommen. Als Sascha Nürnberg, sein kleiner Bruder, vor etwa zehn Jahren das Schild “Honka-Stube” über dem Eingang anbringen lies, kam Strunk auf die Idee zum Buch.

Das Publikum hat sich verändert

Als Jörn Nürnberg vor 37 Jahren in der Kneipe seines Großvaters anfing, ähnelte das Publikum noch sehr Strunks Beschreibungen im Roman. „Die Charaktere, die Heinz dargestellt hat, die gab’s”, so der Wirt. Den Typen, der sich die Tampons an die Ohren gebunden hat. Und auch den Durchgeknallten von der Bundeswehr. “Die hatten nur andere Namen“, sagt Jörn Nürnberg.

Im Roman bleiben einige Gäste gleich mehrere Tage am Stück. Das kommt heute auch noch vor: “Manchmal sehe ich am Sonntagnachmittag Leute, die auch schon Freitagmittag am Tresen saßen”, sagt Jörn Nürnberg.

Nicht nur ein Wochenende, gleich mehrere Jahrzehnte ist eine besondere Kundin dem Handschuh treu. Sie war 1955 das erste Mal in der Kneipe und besuchte auch noch mit 93 Jahren regelmäßig den Handschuh. Einer der Angestellten, ein Herr mit Schnauzbart namens Steffen, erinnert sich gut: Im hohen Alter war sie sogar noch zwei Tage am Stück im Handschuh.

Die Zeiten, in denen überwiegend die unterste Schicht, die Verlierer der Gesellschaft, in den Handschuh kamen, sind vorbei. Heute ist das Publikum durchmischt: Für Touristen ist der Handschuh eine Attraktion, für Stammgäste und Nachbarn ein Wohnzimmer.

Buch und Film sind authentisch

Der Roman von Strunk und der Film von Akin brachte dem Handschuh nochmal einen Schub an neuen Gästen. Manche kommen direkt aus dem Kino hierher. Jörn Nürnberg hat sowohl das Buch gelesen als auch den Film geschaut – und ist zufrieden. „Authentischer konnte man das glaube ich nicht bringen.” Besonders die Leistung von Hauptdarsteller Jonas Dassler lobt er: „Das ist so ein junger Kerl und dann spielt er so eine Rolle und füllt die so aus, das ist schon schwer beeindruckend.“

Auch im Handschuh ist bereits die junge Generation nachgerückt. Jörn Nürnbergs Sohn arbeitet im Betrieb mit. „Er identifiziert sich mit dem Laden und möchte ihn so erhalten, wie er ist. Das wäre auch in meinem Interesse“ sagt der Wirt.

Titelfoto: Jonas Ziock