Er sei 1944 nicht freiwillig Wachmann im KZ geworden, er habe nie zur Waffe gegriffen, sagte der 93 Jahre alte Angeklagte im Hamburger Stutthof-Prozess. Eine Äußerung bezeichnet die Richterin als “Ohrfeige” für die Überlebenden.

Am vergangenen Donnerstag fand der Prozessauftakt gegen einen ehemaligen Wachmann des KZ Stutthof statt. Der 93-jährige Bruno D. ist der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagt. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Da er zur Zeit der Taten in den Jahren 1944 und 1945 minderjährig war, findet der Prozess vor der Jugendstrafkammer am Hamburger Landgericht statt.

“Ich habe viele Leichen gesehen”, sagte er zu Beginn seiner Aussage. “Die Bilder des Elends und des Grauens haben mich mein ganzes Leben verfolgt.”  Es sei ihm wichtig zu sagen, wie leid ihm tue, was den Menschen in Konzentrationslagern angetan worden sei. Sein Einsatzort sei ein “Ort des Grauens” gewesen.

Angeklagter: “Ich habe nie zur Waffe gegriffen”

Der 93-jährige Angeklagte betonte, dass er nicht freiwillig Wachmann geworden sei und sich auch lange geweigert hätte, in die Hitlerjugend einzutreten. Im Sommer 1944 sei Bruno D. als 17-Jähriger in die Wehrmacht eingezogen worden. Wegen eines Herzfehlers sei er nicht kriegsverwendungsfähig gewesen. Als er den Marschbefehl nach Stutthof erhalten habe, habe er vergeblich versucht, in eine Wehrmachtsküche oder -bäckerei versetzt zu werden.

Als Wachmann des KZ habe Bruno D. nie von seiner Waffe Gebrauch gemacht. Vor seiner Arbeit im KZ habe er gehört, dass Juden aus ihren Wohnungen geholt werden. “Wo die hinkamen, ob die ausgewiesen wurden, das war mir nicht bekannt”, sagt er. Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring hakte nach: “Fanden Sie das richtig?”. Bruno D. antwortete mit Nachdruck: “Nein! Fand ich nicht richtig.”

Meier-Göring stellte den Angeklagten wegen einer anderen Äußerung zur Rede, in der sich der Angeklagte mit den Opfern in den Konzentrationslagern verglichen habe. Er habe gesagt, bei der Musterung habe er vor dem Militärarzt so nackt wie die Häftlinge im Konzentrationslager gestanden. Ob er verstehe, dass dieser Vergleich völlig unpassend und eine “Ohrfeige” für Überlebende sei? “Es ist was anderes, auf jeden Fall. (…) Das darf man eigentlich nicht so vergleichen”, antwortete er.

Prozess nach 74 Jahren

Aufgrund einer Änderung in der Rechtsprechung gegenüber NS-Verbrechern steht Bruno D. erst knapp ein Dreivierteljahrhundert nach den Taten vor Gericht. Mit der früheren Rechtssprechung des BGH war eine Verurteilung nur möglich, wenn ein konkreter Tatbeitrag zur Tötung nachgewiesen werden konnte.

2016 verurteilte das BGH den früheren SS-Offizier Oskar Gröning. Dies war das erste Urteil, bei dem die Beihilfe zum massenhaften Mord während der NS-Zeit verurteilt wurde. Erst danach wurden weitere noch lebende Mitglieder des Wachpersonals überprüft.

Die Befragung von Bruno D. soll am Freitag fortgesetzt werden. Nebenklage-Vertreter Christoph Rückel stellte den Antrag, das Gericht möge den Tatort, das ehemalige KZ Stutthof im heutigen Polen, selbst in Augenschein nehmen. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.

lis/dpa